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Modernes Ritterthum.

fußten Entschlusses mit einem Zuge oK’ die kleinen Runzeln
und Fältchen vertilgt, welche der Liebeskummer der letzten
Wochen in dasselbe gezeichnet hatte. Eine Secunde nur der
Ueberlegung und Kurt stand wieder auf dem Boden der Wirk-
lichkeit, maß mit raschem Blicke noch einmal die ganze Kühn-
heit des Unternehmens und ging dann entschlossenen Schrittes
einem Hanse zu, das uns keinen Zweifel mehr laßt über den
modern-praktischen, anti-ritterlichen Charakter seiner Absichten
— er näherte sich der Kanzlei eines Dienstuiann-Jnstitutes.
Was er dort zur Förderung seiner Liebe verabredete, welcher
Dienste er sich zur Erreichung seines Zieles versicherte — wer
kann es wissen? — nur so viel steht fest, daß wirklich ein
Uebereinkommen zwischen unserem Helden lind einem Dienst-
manne abgeschlossen, daß eine nicht unbedeutende Zahlung ge-
leistet und für den Fall des Gelingens noch eine besondere
Erkenntlichkeit versprochen wurde. Und nun seheil mir Kurt
beruhigt, aber nicht ruhig an die Gepflogenheiten des Tages
gehen. Frühstück, Diner, Kaffee, Zeitungen, Promenade -—
Alles wird heute mit einer Aufregung behandelt, hinter wel-
cher sich doch tvieder nur eine, an einem Stndivsns, der kein
Examen vor der Thür hat — und das ist unser Held —
ganz ungewöhnliche Gleichgültigkeit gegen diese Dinge zu ver-
bergen sucht. Alle Symptome der gespanntesten Erivartung
vom Herausziehen de^Uhr zum so und so vielten Male,
vom Anzünden der so und so vielten Cigarre bis zur fieber-
haften Unruhe in allen Stellungen uub Lagen treten nach
iiiid nach bei Kurt ans und steigern sich im Laufe des Tages
bis zu einer bedenklichen Höhe. Doch ivir ivollen am freund-
lichen Leser den Kelch vorübergehen lassen — wenn auch nur
im Geiste — alle die Qualen unseres Heldeil an diesem Tage
dnrchmachen zu müssen. Wir überspringen deßhalb den Zeit-
ranm einiger Stunden, um Kllrt wieder anfzusuchen, wie er
eben im Begriffe ist, seinen gewöhnlichen Standort, ans dem
er die ans dem Theater heimkehrende Marie erivartet, einzu-
nehmen. Das Martyrium des Harrens ist endlich auch hier
überstanden, sie ist an ihm vorübergegangen nild — ohne da-
durch irgendwie von seinen täglichen Gewohnheiten abzuwei-
chen — folgt Kurt in ziemlich geringer Entfernung „ihrer
Spur." Daß sie ihn nicht bemerkt hatte, oder doch nicht be-
merkt zn haben schien, daß sie sich nicht ein einziges Mal
nach ihm umsah, im Gegentheil so viel als möglich eilte, um
ihre in einer Seitengasse gelegene Wohnung zu erreichen —
all dies war es nicht, was eine Ivesentliche Verschiedenheit ge-
rade dieses Abendes von seinen Vorgängern begründet hätte.
Doch dort, wo der Weg ans der Hauptstraße in die Seiten-
gasse einlenkt, dort sollte es geschehen das Neue, das Beson-
dere, auf dessen Grund Kurt das Gebäude seiner Hoffnungen
bis zu einer schwindelnden Höhe anfgeführt hatte. Jetzt war
sie erreicht die Ecke, jetzt bog Marie um dieselbe, da erhob
sich plötzlich von der Mitte der nur schwach beleuchteten Gasse
her das Geschrei eines Betrunkenen, welcher sich mit niächti-
gen, die ganze Gasse füllenden Schwankungen näherte. Einen
Moment zögerte unsere kleine Schauspielerin, ob sie unter
solchen Umstünden ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollte.

Endlich mochte ihr doch wohl ein Liebestrnnkener ungefähr-
licher, als ein Schnapstrunkener scheinen und sie schickte sich
zum Rückzuge an. Doch schon war es zu spät — der Trunken-
bold hatte sie erblickt, sich ihr mit einem auffallend sicheren
Sprunge genähert und indem er ihren schlanken Leib um-
faßte, jene zärtlichen Zudringlichkeiten gegen sie versucht, welche
bisweilen auch Nüchterne in so ekticher Weise deni schönen
Geschlechte zu spenden bereit sind. „Gib mir 'neu Kuß, Du
mußt mir 'neu Kuß geben!" lallte er mit unsicherer Zunge
und versuchte dabei durch Gewalt seinen Wünschen Gewähr-
ung zu verschaffen. Vor Schrecken unfähig um Hilfe zu rufen,
tag das reizende Kind in den Armen des Trunkenboldes und
suchte mit schwachen Kräften seine Liebkosungen von sich ab-
zuwehren. Doch die wenigen Sekunden, in welchen dies Alles
vor sich ging, hatten auch schon unserem Helden genügt, um

sich mit ein paar Sätzen den Beiden zu nähern. Mit starker
Faust befreite er Marie ans der unfreiwilligen Umarmung,
schleuderte den Berauschten zur Seite und bot der am ganzen
Leibe Zitternden seinen Arm und seine Begleitung an. Selbst-
verständlich wurden beide nicht abgelehut und dicht schmiegte
sich das liebliche Geschöpf an die Schulter seines unerwarteten
Beschützers. Glücklicherweise dauerte der Weg bis zn Mariens
Wohnung gerade lang genug, daß Kurt neben den obligaten
Versicherungen seiner innigsten Theilnahme noch Gelegenheit
fand, einige Worte über seine Neigung auf einen durch die
Befreiung ans einer augenscheinlichen Gefahr gelockerten Boden
fallen z» lassen. Sic konnten nicht schlecht ausgenommen wor-
den sein diese Worte, denn als Kurt beim Abschiede einen
zärtlichen Kuß ans Mariens Händchen drückte und mit einem
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Modernes Ritterthum"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Betrunkener
Angst <Motiv>
Rettung <Motiv>
Gasse
Heimkehr
Kleidung
Aggressivität
Belästigung
Karikatur
Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Verliebtheit <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 50.1869, Nr. 1238, S. 106
 
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