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Carnev als-Abenteuer.

115

Der alte Säufer sah den fremden jungen Mann, der
so plötzlich für seine Tochter gegen ihn Partei ergriffen und
ihn an längst vergessene Geschichten erinnerte, verdutzt an,
ebenso die Gäste; noch mehr aber Karl Winter, der sich wirk-
lich nicht denken konnte, wie ein so ruhiger Mann, wie Stein-
berg, an wildfremden Menschen solches Interesse nehmen konnte.

Das Mädchen schlug für einen Augenblick die Augen
auf, um den jungen Mann, der sie so gegen ihren Vater in
Schutz nahm, zu betrachten, sie senkte aber sofort wieder den
Kopf und schien von dem Erfahrenen ganz niedergedrückt zu
sein.

Der Alte, als er die Blicke Aller auf sich und den Frem-
den gerichtet sah, gewann seine Sprache wieder. Da er wußte,
daß eine freche Erwiderung sofort Veranlassung geben würde,
ihn an die Luft zu befördern, so erwiderte er so geschmeidig
wie möglich: „Ach, lieber Herr, es mag wohl sein, daß Sie
mir damals das Leben gerettet; ich erinnere mich zwar nicht
mehr, aber man wird alt und da geht das Gedächtniß flöten.
Ich bin aber doch seitdem sehr mäßig gewesen und meine
Tochter hat es bei mir ganz gut gehabt. Nicht wahr, Elise?"
Das Mädchen gab keine Antwort, machte überhaupt keine
Bewegung.

Der Alte warf ihr einen wüthenden Blick zu und fuhr,
indem er den Gästen eine höflich sein sollende Verbeugung
machte, fort: „Meine Tochter wird sich jetzt das Vergnügen
machen, den Herren etwas vorzusingen. Allons, Eliser setzte
er anfmnnternd hinzu.

Das Mädchen machte auch jetzt keine Bewegung, sie ant-
wortete nur kaum hörbar: „Ich kann nicht, Vater, ich glaube,
ich bin krank."

„Ach was, Unsinn," schrie der Alte, „Du schämst Dich
nur ein wenig, das hast Du nicht nöthig, es sind hier alle
respektable Herren. Allons, mach' vorwärts."

„Na, jetzt habe ich es aber satt," fuhr da der Wirth
zum Alten ans, „Ihr seht ja, daß das Mädel nicht singen
will oder kann, macht, daß Ihr jetzt zum Saale hinauskommt.
Geht meinetwegen, wohin Ihr Lust habt, aber belästigt meine
Gäste nicht!"

„Jawohl," riefen jetzt auch die Gäste, und von ver-
schiedenen Seiten flogen Geldstücke an den Kopf oder vor die
Füße des Alten, „da habt Ihr, was Ihr für den Gesang
des Mädchens bekommen hättet, marschirt ab, aber laßt das
Mädchen in Ruh', oder es geht Euch nicht gut!"

In diesem Augenblicke wurde die Saalthüre aufgerissen
und ein bettelhast gekleideter Bursche stürzte herein und flü-
sterte dem Alten einige Worte in's Ohr. Dieser stutzte, fuhr
freudig ans und folgte dein Davoneilenden aus dem Fuße,
indem er seiner Tochter barsch zurief: „Jetzt gehe gleich nach
Hause, wir sprechen uns noch."

Das Mädchen schrack zusammen, sie nahm die Guitarre,
die ihr aus der Hand auf den Fußboden gesunken, schnell
ans, sagte hastig: „Gute Nacht!" und eilte flüchtigen Fußes
auf die Straße hinaus.

Die verwunderten Gäste nahmen ihre Plätze wieder ein.

Einige Neugierige wandten sich an Hugo, um ihn über seine
frühere Begegnung noch genauer auszufragen, aber bald er-
tönte wieder der alte Lärm im Saale und der kleine Zwischen-
fall war vergessen.

Die beiden Freunde saßen auch wieder an ihrem Tische
allein und sprachen angelegentlich zusammen.

„Aber so thue mir den Gefallen," sagte Winter leise,
„und erkläre mir, wie Du für ein wildfremdes Mädchen und
sogar aus der untersten Klasse so die allgemeine Aufmerk-
samkeit auf Dich lenken kannst, Du, der sonst so still und
bescheiden ist?"

„Ich weiß es so recht selbst nicht," erwiderte Steinberg,
leicht erröthend, „aber als ich diesen Menschen da so frech
stehen sah, gleichsam das arme Mädchen producirend, da fühlte
ich, wie mir das Blut zu Kopfe stieg. Du hättest sie da-
mals sehen sollen, als dieser alte Säufer blutend und hilflos
in seinem Bette lag, ivie sie jammerte und weinte, Du wür-
dest, wie ich, gleich gesehen haben, daß dieses Mädchen zu
dem Alten nicht paßte; und später, als er zu sich kam und
ihre Hand ergriff und wie ich etwas sogar wie Achtung vor
diesem Kinde ans seinem Gesichte sah, da kam mir wahrhaftig
das Mädel fast ivie ein Engel vor. Ich hatte nicht geglaubt,"
fuhr er, mehr mit sich selbst sprechend, fort, „daß ich sie heute
sofort wieder erkennen würde. Jetzt kannst Du Dir eher
denken," sagte er lauter, „weßhalb ich, stiller Mensch, für
das Mädchen Partei ergriffen habe."

„Allerdings," spottete Winter gntmüthig, „ich denke
mir, daß Du eine ganz romantische Zuneigung zu ihr fühlst
und daß Du mit inniger Freude Dein Leben für sie auf's
Spiel gesetzt hättest. Na, wenn Du sie vom Alten zur Frau
begehrst, so wird er nicht Nein sagen; ernähren kannst Du
sie mit Deiner Praxis auch, also mache morgen hinter ein-
ander Deinen Antrag."

„Mein geehrter Herr, spotten Sie nicht," sagte jetzt auch
Steinberg lächelnd, „so weit sind wir noch nicht, aber ab-
streiten will ich nicht, daß ich für das Mädchen eine kleine
Sympathie fühle; es ist mir, als müßte ich in kurzer Zeit
noch mehr von ihr hören."

Er nahm mit diesen Worten seinen Hut, da es inzwi-
schen spät geworden war, und die beiden Freunde verließen
das Lokal.

Freitag und Samstag mit seinem nächtlichen „Geister-
zng", so genannt, »veil eine Anzahl Carnevalsbrüder sich in
weiße Gewänder hüllen und, phantastische Masken vorgelegt,
zu Fuß oder zu Wagen mit Fackeln in der Hand und be-
gleitet von tausend und aber tausend Menschen die Straßen
durchziehen, waren vorbeigegangen. Ebenso der Sonntag, an
welchem Tage von Mittags 4 Uhr an die Straßen und
öffentlichen Lokale schon von Masken wimmeln, — und der
Rosenmontag brach an.

(Fortsetzung folgt.)
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