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Carnevals-Abenteuer.

Nachdem der Zug die Hauptstraßen passirt hat, ist der
vollständige Carueval losgelassen. Alles, was noch Beine zum
Gehen hat, eilt auf die Straßen, die schließlich so überfüllt
sind, daß inan sich nur stoßweise von der Stelle bewegen
kann. Besonders an sich kreuzenden Straßen ist man oft ge-
nöthigt, einen Weg einzuschlagen, der demjenigen, den man
zu gehen beabsichtigt, gerade entgegengesetzt ist. Kommt inan
schließlich an eine Stelle, wo alles Gehen aufhört, weil das
Gedränge zu groß ist, so kann man sicher darauf rechnen,
hinter seinem Rücken plötzlich ein lautes: Hopp! Hopp! takt-
förmig hervorgestoßen, zu hören, und ein Zug von allen mög-
lichen Menschen und Thierarten, die sich an den Kitteln,
Rockschößcn oder Schwänzen der Vorangehenden festhalten, er-
scheint, alles unwiderstehlich rechts und links bei Seite werfend.
Mädchen dürfen sich nun nicht mehr, wenn sie nicht von
starken männlichen Armen beschützt sind, allein auf die Straße
hinauswagen. Eine Verwegene, die vielleicht auf ihre Un-
nahbarkeit pocht und sich allein zeigt, würde sofort von
einem Dutzend Masken umringt werden. Es wird dann ein
Kreis um sie geschlossen und die Masken tanzen so lange um
sie herum, bis sie sich ergibt und einen leichten Kuß duldet.
Das ist Maskenfreiheit. Männliche Begleitung wird dagegen
stets respektirt, obgleich ein Einzelner gegen eine ganze Suite
von Narren natürlich nichts ansrichten kann.

Nunmehr hat der Fremde Gelegenheit, den ganzen Car-
neval zu betrachten, da jetzt der Höhepunkt eingetreten ist.
In einer Ecke Postirt, >vv ihn das Gewühl nicht erreichen
kann, oder von einem Fenster aus, das ihm der gastfreund-
liche Besitzer zu dem billigen Preise von zehn Thalern pro
Tag vermiethet hat, läßt er das bunte Leben an sich vor-
übergehen.

Da ziehen alle Augenblicke Musikbanden über die Stra-
ßen, von der einfachen Musik einer Harmonika oder einer
Violine mit Guitarrebegleitnng an, bis zu der rauschenden
Militärmusik.

Da nähert sich ein Schwarm der verschiedensten Masken,
an einer Ladenthür, die natürlich verschlossen ist, bedächtig
stillhaltend. Man fängt an, mit den Ladenmädchen über die
Uebergabe der Festung, will sagen: das Oeffnen der Thüre
zu parlementiren. Verneinendes Kopfschütteln. Neuer Sturm,
Flehen rc., endlich nach abermaligen fünfminutenlangen, heldcn-
müthigen Widerstand von der einen und einer ebenso langen,
aber schließlich siegenden Ueberredungskraft von der andern
Seite, wird die Thür geöffnet und durch die Fenstergläser
siehst du bald Sieger und Besiegte einträchtig Muzen, Mandeln
und Bonbons verzehren.

Da nähert sich ein großer Schuljunge mit mächtigem
Bart, so in den Dreißig, bitterlich weinend. Theilnehmend
fragst du, was ihn so betrübe. Oh, oh, oh, antlvortet er
schluchzend, ich kann das Pünktelchen über dem i nicht machen
und da bekomme ich morgen Strafe von meinem Lehrer.
Dahinter kommt ein Anderer und bittet dich 'flehentlich, ihn:
ein rrrrr zu schreiben und fo fort.

Zuweilen erscheinen auch arme, in Sack gekleidete

Büßende, die mitten auf der Straße mit donnernder Stimme
die Welt zur Besserung und Bekehrung auffordern, daun aber
mit den Umstehenden ihre mächtigen mit Schnaps gefüllten
Flaschen leerend.

Damit der Fasching aber auch in etwas seine Polizei
hat, da die gewöhnliche zu dieser Zeit gar keine Kraft besitzt
— ziehen die kölnischen Funken herum, Leute mit rothen
Röcken und weißen Hosen, nach dem Schnitt des preußischen
Militärs von anno 13, ferner mit flächsernen Perrücken und
bewaffnet mit hölzernen Flinten und Säbeln. Treibt es
Jemand auf der Straße zu bunt, so wird er gepackt, auf
die Wachtstnbe geschleppt, dort über einen Bock geschnallt und
ihn: 25 ans die Kehrseite applieirt. Nachdem aber das Straf-
amt ansgeübt ist, wird er losgebunden und feierlichst mit Bier
und Wurst traktirt.

So eilt und drängt sich alles an dir vorüber, bunt-
farbig, wie die Strahlen des Prisma und du kannst nicht schnell
genug sehen und denken, um alles völlig auffassen zu können.

Die beiden Freunde hatten die Absicht, nachdem sie den
großen Zug angesehen, sich nach Tische in Dominos unter
das Gedränge zu mischen und den Faschingsjubel in nächster
Nähe zu betrachten. Winter wurde jedoch gehindert, da er
einen Brief von seinem Vater erhielt, den er schleunigst be-
antworten nmßte, und so begab sich Steinberg allein in
seinem Domino auf die Straße.

Das Gewühl auf derselben war jetzt gerade sehr groß,
und Steinberg, der sich plötzlich, ohne es zu wollen, mitten
darin befand, sah sich gezwungen, nolens volens mitzugehen,
wohin sich die Menschenmasse bewegte. Eine Zeit lang ainü-
sirte ihn das ansgelassene Treiben, aber nachdem er etwa
zivei Stunden Straßen auf und ab promeniren geführt wor-
den war, wurde ihm doch der Kopf wirr und die Beine müde,
und er faßte den Plan, sich durch das Gedränge nach einer
Seitenstraße stoßen zu lassen und ein Lokal zu suchen, wo er
ausruhen konnte. Bald gelang ihm dies, und nachdem sich in
dem Gäßchen, in das er geflüchtet, der Menschentroß ein wenig
verlaufen hatte, erhielt er wieder das Recht, seine Beine dort-
hin zu lenken, wohin er wollte. Er passirte das Gäßchen, kam
in eine größere Straße und sah darin ein Häuschen stehen, das
an seiner Fronte mit großen bunten Buchstaben die Worte:
„Wein, Kaffee, Punsch, Liquer und bairisch Bier" trug.

Er trat in das kleine Wirthszimmer, in welchem sich
eben Niemand befand, und worin erst nach einem Viertelstunde
langen Schellen ein etwa 12jährigcs Mädchen erschien, das
nach seinem Begehren fragte. Die bestellte Tasse Kaffee wurde
gebracht und der junge Mann setzte sich hinter den Ofen-
schirm, der sich der Thüre gegenüber befand, um möglichst
von der schloachen Wärme, die der Ofen ausströmte, zu pro-
fitiren. Die heimliche Stille des Ziminers that ihm gut,
und allmählich fielen ihm die Augen zu. Plötzlich ließ ihn
eine laute Mannsstimme aufschrecken, die auf der Flur nach
zwei Schnäpsen rief, und unmittelbar darauf wurde die Thür
aufgestoßen. Die beiden Hereintretenden, Steinberg hinter
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