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'S Vreneli.

sei ein braver Bursch und er könn' ihn gut leiden — nur
sein Vreneli könn' er nicht bekommen, weil er sie heut morgen
des Seckelmeisters (Landeskassier) „Sepp" zugesagt hält', der sie ja
auch lieb Hab' g'rad wie der Heiri, und sie zur reichen Frau
machen könnt', was doch besser sei, als da unten in des Heiri's
Schluchtengütlein zu versauern. Dann hat der Alte den
Heiri getröstet und gesagt: „Schau, kränk' Di' nit! I' Hab'
schon lang g'merkt, daß Ihr zwei, s' Vreneli und Du, viel
z'viel miteinand' zu nislen (leise sprechen) habt und hätt' schon
lang dem Ding ein End' machen sollen. Heirathen kann doch
nur Einer 's Vreneli, also sei nit traurig. 'S gibt noch viele
und andere Mädeln im Appenzellerland."

Der Heiri hat kein Wort gesagt, aber an der Tischecke
hat er sich gestützt, daß es knackte, und weiß ist er geworden,
wie die Wand. „Aber 's Vreneli hat mich lieb und nimmt
keinen Andern", preßte er endlich heraus. „Das sind Faxen,"
erwiderte der Alte, „die werden ihr schon vergehen. Zum
Heirathen braucht's nit so viel Lieb', als Ihr Euch ein-
bild't. 'S geht alleweil — wenn man einander nur nix vor-
z'werfen hat," und dabei hat er sich umgedreht und ist in seine
Kammer gegangen.

Die Fenster waren offen; vor dem Fenster draußen saß
das Vreneli und das hat Alles gehört, was da drinnen vor-
gegangen ist. Alles, Alles, und sein Herzli wollt' ihm schier
auseinandergeh'n. „Vreneli", sagt der Heiri neben ihr, „Du
hast's gehört. Jetzt ist Alles ans. Sag' mir noch einmal,
daß Du mich lieb hast, und dann leb' wohl. Es soll nit sein,
daß wir z'sammenkommen und da ist's besser, ich geh!"

Das Vreneli ist aufgestanden und hat seine Arme auf des
Heiri Schultern gelegt, und durch die Thränen schaut's ihm
tief in die Augen und sagt: „'S ist besser, Heiri, für Dich

und mich. Ich Hab' Dich lieb, bis sic mich unter'n Boden
legen; und so sei mir nit bös, wenn ich des Sepp Weib sein
muß. Ich will's tragen — der Vater will cs so, — und
wenn mir 's Herz darüber bricht: nun — so ist's bälder vor-
über"; krampfhaft drückt sie ihre Arme um seinen Kopf:
„B'hüt' Gott, Heiri", und langsam geht sie in's Haus hinein
und er steht allein und verlassen, von Allein verlassen. Wie grau
schaut Alles ans, ihn fröstelt und das Glockengeläute der Kühe
von drüben gellt ihm wie ein Armsünderglöcklein in die Ohren.

n.

Vom Dorf aus geht ein Weg weiter in's Thal hinauf
der Sitter nach. Hier sind unzählige Felsblöcke, die im

Lauf der Zeit sich oben von der Ebcnalp losgelöst haben und
in's Thal gestürzt sind, weit herum zerstreut. Sie sind zum

Theil verwittert und mit einer Moos- und Grasdecke über-
zogen. Da und dort klettern ein paar Ziegen darauf herum
und der Geißbub hat sich unter dem Felsen ein Feuer an-
gezündct. Das Thal wird enger und das Gestein wilder; die
Vegetation spärlicher, der Boden steiniger und plötzlich wird
das Thal vollständig von Bergen abgeschlossen. Hier in diesem
Felsenkeffel ruht ein kleiner Bergsee, „Seealpsee" genannt,
der mit seinem Qucllwasscr die Sitter speist. Die Sage

geht, der Sec sei unergründlich tief. Aus dem schwarzen
stillen Wasser steigen links die Säntiswände lothrecht bis
zur Scealp in die Höhe, der „alte Mann" taucht im Hin-
tergründe seine Felsenfundamente in den See und rechts be-
spülen die Wellen den Fuß der steilen Ebenalp. Kein Laut
tönt durch die öde Stille. Hoch oben zieht in stolzer Ruh'
ein Adler seine Bahn im Sonnenglanz; hier unten ist's kühl
und dunkel.

Am Ufer saß der Heiri auf einem der vielen Blöcke und
starrte dumpf iu das Wasser. Es war ihm Alles gleichgültig
geworden, seit's mit dem Vreneli ein End' hatte. Wär's nicht
besser, er wäre da unten in der grundlosen Tiefe des Seealp-
see's, der Keinen mehr herausgibt, den er hineingelockt! Dort
an der Felswand, wo der halsbrecherische Wildpfad viel hundert [
Fuß hoch über dem Wasserspiegel hängt, war schon manch'
Einer hinabgestürzt und Niemand hat ihn mehr gefunden — j
wär's nicht besser, der Heiri würd' auch hinunterschicßen in die
grausige Tiefe — dann hütt's ein End'. Und Alles wegen j
des Sepp, des Seckelmeisters Buben, seines Kameraden, seines
einzigen Freundes. Sie waren zusainmen ausgewachsen, die
Drei: 's Vreneli, er und der Heiri, als Nachbarskinder, und
hatten zusammengehalten wie ein Leib und ein' Seel', und nie
hat Eines neidig auf's And're g'schaut.

Dann ist der Sepp fortgekonimen, auf die Schul' nach der
Stadt, nach St. Gallen, — wo die schönen Hand-Stickereien der
Appenzeller Weiber so theucr bezahlt werden — und der Heiri hat
's Vreneli lieb gewonnen, und sie habe» sich Lieb' und Treu'
zugeschworcn bis zum Tod. Dann kani der Sepp wieder und
hat das Gut von seinem Vater übernommen, und viel Gutes
und Braves gethan für die Armen und Manches verbessert,
ward auch beliebt bei Jung und Alt, und Niemand könnt' ihm
bös sein; konnt's ihm auch Niemand verwehren, wenn er zum
alten Jakob kam und das Vreneli iinmcr mehr liebgewann.

Heiri hörte einen Tritt; er sah ans und vor ihm stand
der Sepp. Er sprang auf und blitzschnell sagt ihm der Teufel
in's Ohr: „Wirf ihn hinunter iu den See!" Sein Auge
glühte in wildem Feuer, die Fäuste ballten sich und die Adern
auf den nackten Armen schwollen an und traten wie Aeste heraus.

„Heiri," begann Sepp, „ich Hab' nit g'wußt, bei meiner
Seligkeit nit, daß Du schon eins bist mit dem Vreneli, und
erst jetzt hat sie mir's selbst g'sagt. Deßwcgen bin ich her-
'kommen; denn der Geißbub hat Dich heraufgeh'n seh'n und
mir's g'sagt.

Du weißt wohl, der Alte >vill 's Vreneli mir geben,
Ivcil ich reicher bin, als Du. Ich will aber nit, daß ich deß-
ivcgcn g'rad der Glückliche sein soll, Weil ich Geld Hab' und
Du kcin's, und die Leut' mit Fingern auf mich zeigen und
sagen: „Schaut, der hat sich dem armen Heiri iu sein' Gersten
'neing'setzt!" Tu hast's Vreneli lieb und ich hab's lieb, wer
weiß, der Welche mehr? Beide können wir's nit kriegen, also
gibt's nur ein' Weg. Lassen lvir 's Glück entscheiden: wir
wollen Eier werfen!"

Wie ein Hoffnungsstrahl kam Heiri der Vorschlag von
Sepp. Sic lvollten den Zufall walten lassen, wer von ihnen
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