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Schwere Stunden einer leichten Person.
half! ... Ich weiß, was ein Grund mehr. war, Dich nach
dem angestrebten Ziele zu treiben: Du wolltest Deinen Ge-
schwistern, den verlassenen Kindern Deines armen Vaters eine
Retterin sein ans den Händen ihrer — Mutter! Du kannst
und wirst das besser erreichen, wenn Du ausharrst bei ihnen.
Durch Dein reines Herz, durch den Muth Deines edlen Pflicht-
gefühles bist Du berufen, alle Hindernisse zu überwinden, welche
sich Deinem heiligen Werke treuer Liebe unzweifelhaft entgegen-
stellen werden! Ich weiß es, daß es Dir gelingen wird! . . .
Was aber soll aus den armen lieben Kindern werden, wenn Du
sie gerade da, wo sie Deiner am meisten bedürfen, verlassen
müßtest, um das Labyrinth zu betreten, das uns ach so oft
weiter von dem höheren Lebenszwecke abführt, als wir je ahnen
konnten! ..."
Therese, über deren Lippen sonst nur heiter und, wir
möchten sagen oberflächlich sprudelnd die Rede floß, hatte die
Worte, die sie an das Mädchen diesmal richtete, mit solcher
Leidenschaft, aufrichtiger Theilnahme, und tiefer, trauriger Ueber-
zcugung gesprochen, daß Mili um so gewaltiger davon er-
schüttert war.
„Versprichst Du mir also", fuhr Therese fort, „daß Du
meinem Rathe, meiner Bitte Gehör schenken werdest?"
Einige Sekunden stand das Mädchen mit gesenkten Augen
und bewegter athmend da, dann sah es Theresen treu und gerührt
an: „Ich verspreche es!" sagte Mili leise, aber vernehmlich
und entschieden.
Therese schloß sie mit Thränen in den Augen in ihre
Arme. „Ich weiß, welchen Kampf es Dich kostet, mein gutes
Kind," sagte Therese, „aber um so größer erscheint mir die
Kraft Deiner Seele!"
Da erschallte Gesang von Kinderstimmen durch die offen
gebliebene Thüre. Es war ein rührendes Weihnachtslied.
„Es sind die Kinder des braven Tischlers, der neben Ihnen
wohnt!" erklärte Mili.
„Laß' uns zuhören!" sagte Therese.
Schweigend lauschten die Beiden dem lieblichen Chore.
Friede, Versöhnung zog dabei in ihre bewegten Gemüther.
„Und was kriegen heute Deine Schwestern?" unterbrach
endlich Therese das Schweigen.
„Ach, meine Kinder werden sehr ärmlich bedacht sein!"
erwiderte Mili traurig. „Ich habe Kleidchen für ihre alten,
verblaßten Puppen gemacht. Ach, wie mager sieht das aus!
Ich wollte Sie eben bitten, ob Sie nicht ein paar hübsche
Fleckchen zum Aufputz haben. ..."
„O Du liebes, kleines Mütter!!" rief Therese aus und
küßte das Mädchen. Dann sprang sie auf, raffte all' das
Spielzeug zusammen, das sie in kindischer Laune für sich ge-
kauft, die Puppe, die Zauberlaterne, den kleinen Wollpudel und
noch andere niedliche Dinger, Packte Alles in einen Korb und j
sagte: „Da Mili, damit läufst Tu jetzt zu Deinen Kindern >
hinunter, das gehört ihnen. Eile, denn es ist spät geworden,
und die armen Kleinen schlafen gewiß schon auf ihren Schcmmeln."
Das Mädchen war roth vor Freude über diese reichen
unerwarteten Gaben für ihre Schwestern geworden. „O, wie
gut sind Sie doch!" Mehr vermochte Mili nicht zu sagen.
Sie eilte niit dem Korbe hinab in die Stube ihrer Stiefmutter.
Hinter ihr aber war Therese leise und unbemerkt ans dem Fuße
gefolgt. Sie wollte, ohne daß sie gesehen wurde, Zeugin der
Ueberraschung und des Jubels der Kinder sein. Ein kleines
Fenster in der Thüre, durch welche Mili mit dem Korbe cin-
getreten, machte es ihr leicht möglich.
Die Kinder erwachten richtig aus einem Schlummer, in
den sic in Abwesenheit ihrer Schwester verfallen waren. Die
Mutter, welche eben, ein Glas Wein neben sich, in der Bibel
gelesen hatte — o sie war immer fromm, diese Frau! — sah
mit hartem, bösem Blicke auf Mili, als sie eintrat.
„Wo warst Du, Vagabundin?"
„Ich bringe hier Weihnachtsgeschenke für die Kinder!"
Damit breitete sic die Spielsachen mit vor Freude zittern-
den Händen auf den Tisch aus. „Das gehört alles Euch, Ihr
lieben Schwestern!"
Erst waren die Kinder wie versteinert, dann jubelten sic
laut auf. Hierauf sprangen sie auf Mili los, und herzten und
küßten sie in wilder Freude ab.
Theresen liefen, diese Scene mit ansehcud, die Thränen
über die Wangen.
„Aber woher ist das Alles?" fragte mißtrauisch und mit
schneidender Stimme die Mutter.
„Die Krones schickt Euch das Alles!" erwiderte harmlos
das Mädchen.
Da sprang das Weib wie von einer Viper gestochen
aus. Sie packte all' die Spielsachen zusammen, einige riß sic
’ den Kindern aus den Händen, warf sie in den Korb und
Schwere Stunden einer leichten Person.
half! ... Ich weiß, was ein Grund mehr. war, Dich nach
dem angestrebten Ziele zu treiben: Du wolltest Deinen Ge-
schwistern, den verlassenen Kindern Deines armen Vaters eine
Retterin sein ans den Händen ihrer — Mutter! Du kannst
und wirst das besser erreichen, wenn Du ausharrst bei ihnen.
Durch Dein reines Herz, durch den Muth Deines edlen Pflicht-
gefühles bist Du berufen, alle Hindernisse zu überwinden, welche
sich Deinem heiligen Werke treuer Liebe unzweifelhaft entgegen-
stellen werden! Ich weiß es, daß es Dir gelingen wird! . . .
Was aber soll aus den armen lieben Kindern werden, wenn Du
sie gerade da, wo sie Deiner am meisten bedürfen, verlassen
müßtest, um das Labyrinth zu betreten, das uns ach so oft
weiter von dem höheren Lebenszwecke abführt, als wir je ahnen
konnten! ..."
Therese, über deren Lippen sonst nur heiter und, wir
möchten sagen oberflächlich sprudelnd die Rede floß, hatte die
Worte, die sie an das Mädchen diesmal richtete, mit solcher
Leidenschaft, aufrichtiger Theilnahme, und tiefer, trauriger Ueber-
zcugung gesprochen, daß Mili um so gewaltiger davon er-
schüttert war.
„Versprichst Du mir also", fuhr Therese fort, „daß Du
meinem Rathe, meiner Bitte Gehör schenken werdest?"
Einige Sekunden stand das Mädchen mit gesenkten Augen
und bewegter athmend da, dann sah es Theresen treu und gerührt
an: „Ich verspreche es!" sagte Mili leise, aber vernehmlich
und entschieden.
Therese schloß sie mit Thränen in den Augen in ihre
Arme. „Ich weiß, welchen Kampf es Dich kostet, mein gutes
Kind," sagte Therese, „aber um so größer erscheint mir die
Kraft Deiner Seele!"
Da erschallte Gesang von Kinderstimmen durch die offen
gebliebene Thüre. Es war ein rührendes Weihnachtslied.
„Es sind die Kinder des braven Tischlers, der neben Ihnen
wohnt!" erklärte Mili.
„Laß' uns zuhören!" sagte Therese.
Schweigend lauschten die Beiden dem lieblichen Chore.
Friede, Versöhnung zog dabei in ihre bewegten Gemüther.
„Und was kriegen heute Deine Schwestern?" unterbrach
endlich Therese das Schweigen.
„Ach, meine Kinder werden sehr ärmlich bedacht sein!"
erwiderte Mili traurig. „Ich habe Kleidchen für ihre alten,
verblaßten Puppen gemacht. Ach, wie mager sieht das aus!
Ich wollte Sie eben bitten, ob Sie nicht ein paar hübsche
Fleckchen zum Aufputz haben. ..."
„O Du liebes, kleines Mütter!!" rief Therese aus und
küßte das Mädchen. Dann sprang sie auf, raffte all' das
Spielzeug zusammen, das sie in kindischer Laune für sich ge-
kauft, die Puppe, die Zauberlaterne, den kleinen Wollpudel und
noch andere niedliche Dinger, Packte Alles in einen Korb und j
sagte: „Da Mili, damit läufst Tu jetzt zu Deinen Kindern >
hinunter, das gehört ihnen. Eile, denn es ist spät geworden,
und die armen Kleinen schlafen gewiß schon auf ihren Schcmmeln."
Das Mädchen war roth vor Freude über diese reichen
unerwarteten Gaben für ihre Schwestern geworden. „O, wie
gut sind Sie doch!" Mehr vermochte Mili nicht zu sagen.
Sie eilte niit dem Korbe hinab in die Stube ihrer Stiefmutter.
Hinter ihr aber war Therese leise und unbemerkt ans dem Fuße
gefolgt. Sie wollte, ohne daß sie gesehen wurde, Zeugin der
Ueberraschung und des Jubels der Kinder sein. Ein kleines
Fenster in der Thüre, durch welche Mili mit dem Korbe cin-
getreten, machte es ihr leicht möglich.
Die Kinder erwachten richtig aus einem Schlummer, in
den sic in Abwesenheit ihrer Schwester verfallen waren. Die
Mutter, welche eben, ein Glas Wein neben sich, in der Bibel
gelesen hatte — o sie war immer fromm, diese Frau! — sah
mit hartem, bösem Blicke auf Mili, als sie eintrat.
„Wo warst Du, Vagabundin?"
„Ich bringe hier Weihnachtsgeschenke für die Kinder!"
Damit breitete sic die Spielsachen mit vor Freude zittern-
den Händen auf den Tisch aus. „Das gehört alles Euch, Ihr
lieben Schwestern!"
Erst waren die Kinder wie versteinert, dann jubelten sic
laut auf. Hierauf sprangen sie auf Mili los, und herzten und
küßten sie in wilder Freude ab.
Theresen liefen, diese Scene mit ansehcud, die Thränen
über die Wangen.
„Aber woher ist das Alles?" fragte mißtrauisch und mit
schneidender Stimme die Mutter.
„Die Krones schickt Euch das Alles!" erwiderte harmlos
das Mädchen.
Da sprang das Weib wie von einer Viper gestochen
aus. Sie packte all' die Spielsachen zusammen, einige riß sic
’ den Kindern aus den Händen, warf sie in den Korb und
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Schwere Stunden einer leichten Person"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1574, S. 90
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg