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138

Blaue

Professor Delius war in der blauen Kanone angelangt,
und hatte sich an den Tisch zu seinen drei Kollegen gesetzt, dem
Professor der Mathematik und Physik, I)r. Viereckcr, dem
Professor der Philologie, vr. Düftel und dem Professor der
Philosophie, Dr. Dürrholz. Der Tisch, an dem die genannten
Herren täglich speisten, bot hinlänglich Platz für mindestens acht
Personen, aber um keinen Preis hätte ein anderer Gast es ge-
wagt, sich zu den Gelehrten zu setzen, oder gar am Gespräche
derselben sich zu betheiligen. So lange, als der Wirth und
die ältesten Gäste der blauen Kanone denken konnten, hatte ein
Einziger, ein tapferer Artillerieoffizier, es ein einziges Mal ver-
sucht, an dem verhängnißvollen „Professorentisch" sein Mahl zu

sich zu nehmen. Zehn Minuten hatte es der tapfere Offizier
mit heroischer Standhaftigkeit ausgehalten, daß die weisen Herren
l mit echtem Gelehrtenstolz seinen Gruß gänzlich unerwiedert ließen,
und daß sie ihn dann zuerst verwundert, dann geringschätzig
angeblickt und dabei allerhand anzügliche Bemerkungen und ab-
sprechende Urtheile geäußert hatten. Als ihn aber dann der
Professor Delius in vornehmem Tone fragte, wie er, der Artillerie-
offizier, eigentlich über die Vermuthungen denke, welche die
Leipziger orientalische Gesellschaft bezüglich der Grabschrift des
phöuizischen Königs Eschmunazar ausgestellt habe: als dann der
Mathematiker, der sehr charakteristisch sein Brod und Fleisch so
zerschnitt, daß die einzelnen Bissen geometrische Figuren bildeten,
sich in endlosen Zahlenspekulationcn gelegentlich einer Erörterung
über die Hyperbel und Parabel und die Aberration des Lichtes
erging: als ferner Professor Dürrholz kategorisch den Offizier
auffordcrte, seine Ansichten über den Begriff der Quiddität des
Thomas von Aquino möglichst klar zu äußern, und zum Uebcr-
fluß der Philolog ausführlich auseinander setzte, das Verhältnis;
des platonischen Kratylos zu den Eleusinischcn Mysterien sei
nichts, als ein Hirngespinnst des französischen Gelehrten Lenor-
mant: da war der Mann, der so oft, ohne zu zittern, den
feindlichen Kanonen entgegen geblickt hatte, entsetzt von seinem
Stuhl aufgesprungen, und hatte sich zum Ergötzen aller Gäste
in die fernste Ecke des Gastzimmers geflüchtet. Er erklärte

Augen.

später, es sei ihm gewesen, als ob er im Begriffe stände, den
Verstand zu verlieren, seine Suppe habe nach hebräischen Citaten
geschmeckt und er habe bei jedem Bissen, den er genossen, das
Gefühl gehabt, als ob zlvischen seinen Zähnen, auf der Zunge
und im Gaumen, spitzige, phönizische Buchstaben, sägespäntrockcne
Formeln und Zahlen und Vokabeln gleich Haaren oder Sand
oder Fischgräten hafteten. Die Professoren aber hatten den
„Sieg der Wissenschaft über die klägliche Unwissenheit der
Alltagsmenschen" — so nannten sie die Entfernung des Offiziers
von ihrem Tische — dadurch gefeiert, daß sie ein Glas Extra-
wein tranken, mit Ausnahme des Mathematikus, der, ein eifriger
Anhänger des Pythagoras, sich gleich diesem des Genusses des
Weines und der Bohnen enthielt, und in Folge dessen den Sieg
der Wissenschaft in Bier feierte. —

Nach beendetem Mahle begab sich Professor Delius in
seine Wohnung zurück. Das bekannte Gefühl der Behag-
lichkeit und der guten Laune, das- sich den übrigen Sterblichen
nach der Mahlzeit mitzutheilen pflegt, war ihm unbekannt, und
als er, an seinem Hause angelangt, bei Anna's Fenstern vor-
beischritt, sah er ganz so aus, als halte er es für eine gröb-
liche Beleidigung seiner Person, daß der Frühling es wage,
ohne seine Erlaubniß so schön zu sein. Anna bemerkte dies
und schüttelte leise und schmerzlich ihr blondes Köpfchen. Es
that dem gefühlvollen Mädchen in der Seele weh, zu denken,
daß ein Mann, wie der Professor es war, ein so ödes, trübes,
durch keinen Hellen Sonnenblick erheitertes Dasein führte. Sie
empfand für Delius ein tiefes Interesse, das, fern von jedem
selbstsüchtigen Hintergedanken, einzig und allein darin seinen
Grund hatte, daß sic, selbst verwaist und vereinsamt, wohl
besser, wie Andere im Stande war, die freudlose Leere des
Lebens, das Delius führte, mitzufühlen und richtig zu beur-
theilen. „Und ich," so sagte sic leise vor sich hin, „habe doch
wenigstens meine Armen, meine Invaliden, meine Schülerinnen,
die mich lieben, ich habe meine Musik und meine Blumen, und
er hat nichts, als seine alten, gelehrten Bücher, die ihn nicht
erheitern, sondern nur immer ernster und finsterer stimmen
können. Wie gern möchte ich ihm helfen, aber ich armes
Mädchen kann es nicht!"

Wirklich nicht? —

In seinem Zimmer angelangt, schickte sich Professor Delius
sofort an, seine Studien, die er durch das Mittagsmahl unter-
brochen hatte, wieder aufzunehmcn. Er setzte sich zum Schreib-
tisch und zündete sich eine Pfeife an. Dabei betrachtete er den
alterthümlich geformten Porzellankopf derselben mit aufmerksamen
Blicken, und je länger er dies thar, desto schöner wurde sein
bleiches Gesicht, das nach und nach seine Härte verlor und mit
dem Ausdruck von Innigkeit und Liebe auf der alten Pfeife
haftete. Ein männlicher Kopf — der seines verstorbenen Vaters,
war mit großer Kunst ans denselben gemalt, und Delius hätte
sich von dem thcuren Andenken um keinen Preis der Welt ge-
trennt. Mehrere Minuten laug blickte er, in freundliches Sinnen
vertieft, ans die Züge des Vaters; dann, als hätte er sich selbst
über einer Schwäche ertappt, fuhr er mit der Hand über die
Stirn, sein Gesicht nahm wieder den ernsten Ausdruck an, de»
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Blaue Augen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Spitzer, Emanuel
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Geschirr <Hausrat>
Gaststätte <Motiv>
Mittagessen
Nahrungsaufnahme <Motiv>
Stuhl <Motiv>
Offizier <Motiv>
Hochschullehrer <Motiv>
Tisch <Motiv>
Gespräch <Motiv>
Karikatur
Handgeste
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 63.1875, Nr. 1580, S. 138

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