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In der Luft.
enorm reiche Produktenhändler Mayers an. daß er seinen einzigen
Sohn Josua, den er. wie er jetzt bedauernd cinsicht. allzu ein-
geschränkt erzog, ans Reisen schickte, damit der Junge Selbst-
vertrauen gewinne. aber auch. um sich eine Frau zu suchen.
Mayers erinnerte sich. das; ich eine — Tochter habe, und
darum habe er seinen Sohn ans alter Freundschaft zuerst an
mich adressirt. — Lieber Doktor. Sic begreifen!... Ich werde
Leonore nicht zwingen, aber einer ... günstigen Chance aus dem
Wege zu gehen, verhindert meine verzweifelte Lage. Lassen wir
die Dinge gehen wie sic gehen, und geben Sie sich vorläufig
der Hoffnung hin. daß Leonore dem reichen Erben, der unter
dyn besten Familien zu wählen hat. gar nicht zusagen werde!"
Mit diesem höchst zweifelhaften Tröste für Doktor Roderich war
die Sache vorläufig abgeschlossen.
Wir hatten die Liebenden eben getroffen, als sie von dieser
Neuigkeit vollkommen bestürzt dasaßen. „Wo sollen wir uns hin-
wenden um Hilfe in unserer Roth zu finden!" jammerte der junge
Doktor endlich vor sich hin. — „Der Himmel wird uns nicht
verlassen!" sagte Leonore vertrauensvoll und schmiegte sich an den
Verzweifelnden. — „Der Himmel!" rief erbittert der junge
Mann, „das hieße eben so viel, als die Hilfe werde uns ans
der Luft zufliegen!" — „Vor Allem muß ich dem ans der
Luft geschneiten Herrn Josua gefallen! Hast Du das vergessen?"
ermunterte ihn das Mädchen. — „Das wirst Du leider nur
zu gewiß!" seufzte der junge Doktor. — „Wer weiß!" rief
Leonore mit einer Schalkhaftigkeit aus, welche sonst zu ihrer
Eigenart gehörte, dießmal aber wchmüthig gebrochen ans ihren
feuchten Angen blickte. — „Wer weiß!" wiederholte ärgerlich
der Doktor, „fast möchte ich glauben. Du seist jetzt zum Scherze
aufgelegt!" — „Du herzliebster Doktor!" sagte Leonore und
zog ihn an sich. „Du glaubst, cs sei absolut unmöglich. daß
ich ein Männerherz nicht gewinne!? Du Närrchen. Du! Und
wie wird es sein, wenn ich Alles thue, damit mich dieser Herr
Josua um keinen Preis will? . .." Dabei sah das Mädchen
den Doktor mit weit offenen Augen an. als wollte es damit
die Größe des ausgesprochenen Gedankens andeutcn. Der Doktor
stierte sie ebenfalls mit großen Augen an. dann rief er, indem
er ihr einen so lauten Kuß gab, daß die Sperlinge im nahen
Gebüsch aufschreckten: „Leonore. Du Engel! Ich setze meine
ganze Hoffnung auf Dich. aus Deine Treue. auf Deinen
Scharfsinn!" Und nun sahen die beiden Liebenden wieder so
frisch und wohlgemuth ans. als wäre nicht noch vor Kurzem
die schwärzeste Wolke über ihren Himmel gezogen! O du leicht-
beschwingte Jugend! O du würzige Lust der Liebe!
Zweites Kapitel.
Herrn Melchior Mayers, Firma: Mayers & Cie. in Fagerheim.
Lieber, guter Vater!
Ich suche Ihren geehrten Wunsch, wie Sic schon ans
meinen früheren Zuschriften ersehen haben werden, zu ersiillcn.
Ich bin bereits mit Fräulein Leonore Wcpenried so weit, daß
ich sagen kann, ich bin bis über die Ohren in sic verliebt!
Sie ist ein wahres Tcusclsmädchen. und Sic. geehrter Vater,
der Sie sich so oft über meine Langweiligkeit und Abspannung
geärgert haben. würden Ihre Freude daran haben. Sic ist
das personificirtc Quecksilber, ruhelos da und dort. Sic kehrt
das Unterste zu oberst, und reißt Jeden, der in ihren Zauber'
kreis geräth, mit sich fort, er mag wollen oder nicht. Denken
Sic sich nur. ich. der Tatzbär. wie mich Tante Mali zn
nennen beliebt, ich habe Loren zu
Liebe tanzen gelernt! Ich habe Blut
geschwitzt dabei, und das Mädel riß
mich herum, daß ich mich wundere,
wenn ich nicht in Stücke ging. Aber
nicht genug an dem. Sie bestand
darauf, daß ich das letzte Wettrennen
in eigener Person mitmachtc!! Sic
wissen, wie der Stallmeister Pincetti
Ihnen erklärte, an mir sei Hopfen
und Malz verloren, und wie ich im Galopp nicht anders reiten
konnte, als mit um den Hals des Pferdes geschlungenen Armen!
Sie können sich denken, mit welchen Gefühlen ich den Sport
mitmachtc; ich sah mich im Geiste schon mit gebrochenem Halse,
aber ich ergab mich um des satanischen Mädels willen, in mein
Geschick. Schweiß-
triefend . schnaufend
hob man mich vom
Pferde. und Lore
lachte so schonungslos
über die traurige Ge-
stalt . die ich beim
Forceritte gespielt
haben soll, daß ich
nahe daran war zn
sagen: „Den Dank,
Dame. begehr' ich
nicht!" aber sic reichte mir darauf ihre liebe kleine Hand mit
so süßem Lächeln, daß ich ihr zu Füßen hätte fallen mögen,
wenn ich nicht gefürchtet hätte, es würde etwas plump ausfallen, ■
hauptsächlich aber, weil mir von dem Ritte — alle Glieder
wehe thaten! Vorher aber, was ich unter den vielen Herkules-
Aufgaben. die ich auf Lore's Wunsch zn erfüllen hatte, bald ver-
gessen hätte, mußte ich mit ihr eine Parthie auf den nahen,
3700 Fuß hohen „Teufelskopf" machen! Lieber Vater. Sic
kennen meine Idiosynkrasie gegen das Bergsteigen! Ich brauche
also nichts weiter zn sagen, als daß ich von der äußersten
Fclsenspitzc des verdammten Teufelskopfs eine Alpenblume herab-
brachte und drei Tage im Bette zubringen mußte, um meine zcr-
schnndencn, braun- und blau- und blutrünstig tätowirten Glieder
zu pflegen.
Ich fürchte nur. daß mich das Mädel, dem immer tausend'
Launen und Einfülle durch das Köpfchen zucken und sputen,
noch in die verzwcifelsten Dinge verstricken werde, die meiner
Natur so entgegen sind, wie Feuer und Wasser. Denn offen
gestanden, manchmal trieb sie's schon, wie Sic ans den
kleinen Beispielen ersehen haben werden, so arg mit mir. daß
ich mit Vergnügen in die Luft gefahren wäre!
In der Luft.
enorm reiche Produktenhändler Mayers an. daß er seinen einzigen
Sohn Josua, den er. wie er jetzt bedauernd cinsicht. allzu ein-
geschränkt erzog, ans Reisen schickte, damit der Junge Selbst-
vertrauen gewinne. aber auch. um sich eine Frau zu suchen.
Mayers erinnerte sich. das; ich eine — Tochter habe, und
darum habe er seinen Sohn ans alter Freundschaft zuerst an
mich adressirt. — Lieber Doktor. Sic begreifen!... Ich werde
Leonore nicht zwingen, aber einer ... günstigen Chance aus dem
Wege zu gehen, verhindert meine verzweifelte Lage. Lassen wir
die Dinge gehen wie sic gehen, und geben Sie sich vorläufig
der Hoffnung hin. daß Leonore dem reichen Erben, der unter
dyn besten Familien zu wählen hat. gar nicht zusagen werde!"
Mit diesem höchst zweifelhaften Tröste für Doktor Roderich war
die Sache vorläufig abgeschlossen.
Wir hatten die Liebenden eben getroffen, als sie von dieser
Neuigkeit vollkommen bestürzt dasaßen. „Wo sollen wir uns hin-
wenden um Hilfe in unserer Roth zu finden!" jammerte der junge
Doktor endlich vor sich hin. — „Der Himmel wird uns nicht
verlassen!" sagte Leonore vertrauensvoll und schmiegte sich an den
Verzweifelnden. — „Der Himmel!" rief erbittert der junge
Mann, „das hieße eben so viel, als die Hilfe werde uns ans
der Luft zufliegen!" — „Vor Allem muß ich dem ans der
Luft geschneiten Herrn Josua gefallen! Hast Du das vergessen?"
ermunterte ihn das Mädchen. — „Das wirst Du leider nur
zu gewiß!" seufzte der junge Doktor. — „Wer weiß!" rief
Leonore mit einer Schalkhaftigkeit aus, welche sonst zu ihrer
Eigenart gehörte, dießmal aber wchmüthig gebrochen ans ihren
feuchten Angen blickte. — „Wer weiß!" wiederholte ärgerlich
der Doktor, „fast möchte ich glauben. Du seist jetzt zum Scherze
aufgelegt!" — „Du herzliebster Doktor!" sagte Leonore und
zog ihn an sich. „Du glaubst, cs sei absolut unmöglich. daß
ich ein Männerherz nicht gewinne!? Du Närrchen. Du! Und
wie wird es sein, wenn ich Alles thue, damit mich dieser Herr
Josua um keinen Preis will? . .." Dabei sah das Mädchen
den Doktor mit weit offenen Augen an. als wollte es damit
die Größe des ausgesprochenen Gedankens andeutcn. Der Doktor
stierte sie ebenfalls mit großen Augen an. dann rief er, indem
er ihr einen so lauten Kuß gab, daß die Sperlinge im nahen
Gebüsch aufschreckten: „Leonore. Du Engel! Ich setze meine
ganze Hoffnung auf Dich. aus Deine Treue. auf Deinen
Scharfsinn!" Und nun sahen die beiden Liebenden wieder so
frisch und wohlgemuth ans. als wäre nicht noch vor Kurzem
die schwärzeste Wolke über ihren Himmel gezogen! O du leicht-
beschwingte Jugend! O du würzige Lust der Liebe!
Zweites Kapitel.
Herrn Melchior Mayers, Firma: Mayers & Cie. in Fagerheim.
Lieber, guter Vater!
Ich suche Ihren geehrten Wunsch, wie Sic schon ans
meinen früheren Zuschriften ersehen haben werden, zu ersiillcn.
Ich bin bereits mit Fräulein Leonore Wcpenried so weit, daß
ich sagen kann, ich bin bis über die Ohren in sic verliebt!
Sie ist ein wahres Tcusclsmädchen. und Sic. geehrter Vater,
der Sie sich so oft über meine Langweiligkeit und Abspannung
geärgert haben. würden Ihre Freude daran haben. Sic ist
das personificirtc Quecksilber, ruhelos da und dort. Sic kehrt
das Unterste zu oberst, und reißt Jeden, der in ihren Zauber'
kreis geräth, mit sich fort, er mag wollen oder nicht. Denken
Sic sich nur. ich. der Tatzbär. wie mich Tante Mali zn
nennen beliebt, ich habe Loren zu
Liebe tanzen gelernt! Ich habe Blut
geschwitzt dabei, und das Mädel riß
mich herum, daß ich mich wundere,
wenn ich nicht in Stücke ging. Aber
nicht genug an dem. Sie bestand
darauf, daß ich das letzte Wettrennen
in eigener Person mitmachtc!! Sic
wissen, wie der Stallmeister Pincetti
Ihnen erklärte, an mir sei Hopfen
und Malz verloren, und wie ich im Galopp nicht anders reiten
konnte, als mit um den Hals des Pferdes geschlungenen Armen!
Sie können sich denken, mit welchen Gefühlen ich den Sport
mitmachtc; ich sah mich im Geiste schon mit gebrochenem Halse,
aber ich ergab mich um des satanischen Mädels willen, in mein
Geschick. Schweiß-
triefend . schnaufend
hob man mich vom
Pferde. und Lore
lachte so schonungslos
über die traurige Ge-
stalt . die ich beim
Forceritte gespielt
haben soll, daß ich
nahe daran war zn
sagen: „Den Dank,
Dame. begehr' ich
nicht!" aber sic reichte mir darauf ihre liebe kleine Hand mit
so süßem Lächeln, daß ich ihr zu Füßen hätte fallen mögen,
wenn ich nicht gefürchtet hätte, es würde etwas plump ausfallen, ■
hauptsächlich aber, weil mir von dem Ritte — alle Glieder
wehe thaten! Vorher aber, was ich unter den vielen Herkules-
Aufgaben. die ich auf Lore's Wunsch zn erfüllen hatte, bald ver-
gessen hätte, mußte ich mit ihr eine Parthie auf den nahen,
3700 Fuß hohen „Teufelskopf" machen! Lieber Vater. Sic
kennen meine Idiosynkrasie gegen das Bergsteigen! Ich brauche
also nichts weiter zn sagen, als daß ich von der äußersten
Fclsenspitzc des verdammten Teufelskopfs eine Alpenblume herab-
brachte und drei Tage im Bette zubringen mußte, um meine zcr-
schnndencn, braun- und blau- und blutrünstig tätowirten Glieder
zu pflegen.
Ich fürchte nur. daß mich das Mädel, dem immer tausend'
Launen und Einfülle durch das Köpfchen zucken und sputen,
noch in die verzwcifelsten Dinge verstricken werde, die meiner
Natur so entgegen sind, wie Feuer und Wasser. Denn offen
gestanden, manchmal trieb sie's schon, wie Sic ans den
kleinen Beispielen ersehen haben werden, so arg mit mir. daß
ich mit Vergnügen in die Luft gefahren wäre!
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"In der Luft"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsdatum
um 1882
Entstehungsdatum (normiert)
1877 - 1887
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Fliegende Blätter, 76.1882, Nr. 1907, S. 50
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg