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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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Volker Hanke

Geistliche Erneuerung der Kirche —
eine Anmerkung

„In der Kirche geht es ja auch zuletzt nicht um
steinerne Gebäude. So schön viele unserer Kirchen
sind, und so reich gerade auch die Hauptkirche
Beatae Mariae Virginis innen und außen ist — die
eigentliche Kirche ist ein geistliches Haus... Ent-
scheidend ist, was dort geschieht.“ So sagte Lan-
desbischof Prof. Dr. Müller in seiner Predigt im
Gottesdienst zur Wiedereinweihung der Haupt-
kirche am 10. November 1985.
Restaurationen historisch wie kunsthistorisch
bedeutsamer Kirchenbauten, so wollte er damit
doch wohl zum Ausdruck bringen, verfehlen ihr
eigentliches Ziel ohne eine spirituelle Erneuerung
der Kirche als der „Versammlung aller Gläubigen,
bei denen das Evangelium rein gepredigt und die
Hl. Sakramente dem Evangelium gemäß gereicht
werden“.1’ Gute, oft ebenso intelligente wie ge-
lehrte Ratschläge zu einer solchen Erneuerung der
von immer deutlicher sichtbar werdenden Erosio-
nen heimgesuchten Kirchen Europas und Nord-
amerikas füllen denn inzwischen auch ungezählte
Schriften und Bücher. Bei ihrer Lektüre fällt eines
auf: Es fehlt fast durchgängig ein Rat, ohne dessen
Beherzigung eine geistliche Erneuerung der Kir-
chen — sowie übrigens auch ihr Aufeinanderzuge-
hen in der Ökumene — nicht gelingen kann. Es gilt,
die weithin vergessene, ja verlorene Bibel wieder-
zugewinnen als Heilige Schrift, d. h. als das ver-
bindliche Wort Gottes an den einzelnen, an die
Kirche und an die Welt.
Kann man die Gleichung aufstellen: Bibel =
Wort Gottes? So fragt Theodor Schwarz in „ABC
des Glaubens“.2’ Und er antwortet: „Diese Glei-
chung meint nicht, daß die Bibel als Buch Gottes
Wort ist ... Nicht die Bibel ante et extra usum,
nicht die zugeschlagene Bibel ist Gottes Wort, son-
dern die Bibel in usu erweist sich als Gottes Wort
... Nicht die Bibel im Schrank oder auf dem Altar
ist Gottes Wort, sondern die gebrauchte — gelesene
und bedachte — Bibel macht Gottes Wort ver-
nehmbar. Weder ist noch enthält die Bibel Gottes
Wort, sondern sie wird Gottes Wort, indem sie
mich anredet.“3’
Th. Schwarz erweist sich hier als ein treuer Schü-
ler Karl Barths, für den das gelesene oder verkün-
digte Bibelwort an sich Menschenwort ist. Dieses
Menschenwort, so meint er, werde jeweils zum
Wort Gottes für den, der es vernimmt, wenn der

Heilige Geist es dazu macht, „wo und wann es ihm
gefällt“.4’ Doch das ist ein Mißverständnis des er-
sten großen lutherischen Bekenntnisses, das ja
gerade in diesem Artikel mit kaum zu überbieten-
der Deutlichkeit lehrt, daß nach Gottes Willen der
Hl. Geist sich an die Gnadenmittel (Wort und Sa-
krament) bindet. Jeder begegnete also im Wort
dem Hl. Geist. Ob diese Begegnung dann zum
Glauben führt, das hat Gott sich in seiner Freiheit
und Souveränität vorbehalten. Wenn also bei-
spielsweise in einem Beichtgottesdienst vor einem
Dutzend oder ein paar hundert Menschen die Zehn
Gebote vorgelesen werden, so hat jeder Gottes
Wort gehört und nicht nur der, welcher das Ge-
hörte im Glauben als solches annimmt.
Zweifellos ist die Rückgewinnung der Bibel als
Wort Gottes und damit als Heilige Schrift keine
leichte Aufgabe nach bald drei Jahrhunderten einer
Bibelkritik, welche die Autorität der Schrift zer-
setzt und schließlich zerstört hat. Wollen wir dieser
Aufgabe gerecht werden, dann müssen wir zwei
beständig lauernden Gefahren beharrlich aus dem
Wege gehen.
Die eine ist der Historismus der modernen
Theologie seit J. S. Semler (1725—1791), der die
Schriften der Bibel in die allgemeine Literaturge-
schichte einordnet und in ihnen mithin allein das
Werk menschlicher Autoren sieht. Wohl kann die
historische Theologie den Schriften der Bibel eine
hohe ethische und religiöse Bedeutung beimessen,
aber sie ist niemals imstande, Bibel und Heilige
Schrift, Bibel und Wort Gottes in irgendeinem
Sinne für identisch zu erklären. Es ist ihr ganz un-
möglich, etwa mit Semlers Zeitgenossen J. G. Ha-
mann (1730 — 1788) zu sagen: „Der Schöpfer des
Universums ist ein Schriftsteller“.5’
Die andere Gefahr bei der Wiedergewinnung der
Bibel als Wort Gottes ist der Dogmatismus. Für
ihn ist die Bibel das Buch, in dem Gott der Welt in
übernatürlicher Weise nicht nur religiös-dogmati-
sche, sondern beispielsweise auch historische und
naturwissenschaftliche Wahrheiten mitteilt. Hin-
ter dieser Position steht jene schon in der alten Kir-
che aus dem hellenistischen Judentum übernom-
mene Auffassung von göttlicher Inspiration, nach
der die biblischen Schriftsteller in einer Art Ekstase
unter Ausschaltung des menschlichen Verstandes
mit seinen Bedingtheiten schreiben. In der prote-

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