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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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Klaus Renner

Entdecken und Bewahren
Zur Restaurierung der Hauptkirche
Beatae Mariae Virginis

Von jeder Himmelsrichtung, aus der man sich
der ehemaligen herzoglichen Residenzstadt Wol-
fenbüttel nähert, fällt der Blick auf den Turm der
Hauptkirche Beatae Mariae Virginis (BMV), der
damit über sich selbst hinauswirkt und zusammen
mit dem Hausmannsturm des Schlosses die Sil-
3 houette dieser Stadt entscheidend gestaltet. Bau-
werke der folgenden Jahrhunderte vermochten
daran nichts zu ändern, wie andernorts vielfach ge-
schehen. In ihrem engeren Umfeld prägt diese Kir-
che die Straßen- und Platzräume und wird zu
einem Orientierungspunkt der Stadtregion. Die
vom genialen Baumeister Paul Francke erdachte
199 Gestalt der Turmhaube mit den Stilmerkmalen der
Renaissance wäre allerdings noch eine Steigerung
200 gegenüber dem 1751 in barocker Form errichteten
-Turmabschluß gewesen.
Auch in ihrem Inneren verkörpert diese Kirche
„in Materie umgesetzte Symbole, Wahrzeichen
und Geistesinhalte“.1) Theologische, liturgische,
geistige aber auch machtpolitische Bestrebungen
der Landesherren haben das Bauprogramm ausge-
macht, Heils- und Profangeschichte bilden also
den Hintergrund bei der Entstehung dieses Sakral-
baues.
Der Beginn und das Durchstehen einer großen
Renovierung bedeuten daher wesentlich mehr als
das Beseitigen von Verfalls-, Verschleiß- und Ab-
nutzungserscheinungen. Die Erfahrung lehrt, daß
„wir mehr in den alten Gemäuern entdecken als
nur das, was wir in ihnen zu sehen gewohnt sind“.2'
Geschichte und Baugeschichte sind nicht zu ver-
wechseln mit Vergangenheit. „Vergangenheit ist
nur ein Teil der Geschichte, Gegenwart ist morgen
auch schon Geschichte.“3) Das Restaurieren stellt
sich somit als Prozeß dar, in dem Geschichte leben-
dig fortgeführt wird, denn „Architektur ist die ein-
zige Kunstgattung, die dem Nutzungszwang sehr
stark unterliegt“.3) „Zielsetzung der kirchlichen
Denkmalpflege muß es bleiben, neben den rein

baulich-konstruktiven Aufgaben der Substanz-
sicherung und der technischen Verbesserungen, die
Gestaltung der überkommenen Innenräume für
den Auftrag der Kirche in unserer Generation zu
bewältigen.“4)
Die Geschichte der Marienkirche zeigt, daß seit
der ersten Nutzung des Innenraumes für Gottes-
dienste im Jahre 1613 bis zum heutigen Tag das
Bauwerk nicht zur Ruhe gekommen und nie ganz
fertiggeworden ist. 1626, im achten Jahr des Drei-
ßigjährigen Krieges, kamen die Bauarbeiten als
Folge der Kriegsereignisse zum Erliegen. 1643,
noch vor dem endgültigen Ende des großen Krie-
ges, mußte „der während der Kriegszeit in der
Pflege vernachlässigte Bau äußerlich thunlichst in-
standgesetzt“5) und die innere Ausgestaltung fort-
gesetzt werden, bevor am 14. September mit dem
Einzug des Herzogs August des Jüngeren ein 8
Dankgottesdienst gefeiert werden konnte. Auch
bei diesem Anlaß verschmolzen wiederum Profan-
und Heilsgeschichte, erschien doch der Gemeinde
die Rückkehr des Herzogs als ein Zeichen der Erlö-
sung von Not und Sorge. Die Dankfeier wurde
gleichzeitig als ein Ruf zu neuem Leben empfun-
den.5) Vermutlich baute man zu diesem Anlaß ge-
genüber der Kanzel an dem nördlichen Eckpfeiler
des Chores eine fürstliche Prieche, die jedoch
schon 1667 wieder abgebrochen wurde.6)
1648 entstand die Empore im südlichen Seiten-
schiff, die sogenannte Geheimratsprieche mit den
Brustbildern von Moses, David und 16 Propheten, 160
die der Wolfenbütteler Maler Hans Gieseler in den 161
letzten Jahren des Dreißigjährigen Krieges schuf,6)
und dem Wappen von Herzog August.
Der morastige Baugrund in den Okerniederun-
gen hat dem Gefüge des Gemäuers schon sehr früh
zu schaffen gemacht, obwohl anzunehmen ist, daß
die mehrere Jahre dauernde Fundamentierung auf
einem eichenen Pfahlrost sehr sorgfältig vorge-
nommen wurde.7) Eine Absenkung des Grundwas-

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