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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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Härmen Thies
Zu Bau und Entwurf
der Hauptkirche Beatae Mariae Virginis

Paul Franckes Heinrichstädter Kirche gilt als
eines der frühen Hauptwerke protestantischen
Kirchenbaus und gleichzeitig - neben dem /«-
leum, dem Kollegiengebäude der ehemaligen Uni-
versität des Herzogtums Braunschweig - als
Schlüsselbau für das Verständnis der Architektur
dieses Baumeisters.15 In weitgespannten, an-
spruchsvollen Vergleichen hat man sie ebenso
neben frühe protestantische Kirchenbauten wie
neben die baulichen Zeugen der von den Jesuiten
getragenen Gegenreformation gestellt.25 Das kann
angesichts der Eigenarten deutscher - vor allem
sakraler - Architektur des späten 16. und frühen
17. Jahrhunderts kaum überraschen. Denn ähnlich
wie die Bauten eines Julius Echter von Mespel-
brunn, Bischofs von Würzburg, wie die Jesuiten-
kirchen in München (Michaels- und Petrikirche)
oder Köln (Mariä Himmelfahrt) und wie viele an-
dere Sakralbauten, gleich ob katholischer oder pro-
testantischer Konfession, steht auch die Wolfen-
bütteler Hauptkirche zwischen den - prima vista
- sich ausschließenden Polen eines durch hetero-
genste Elemente aufgeladenen architektonischen
„Kraftfeldes“: hier dem längst zur Übung gewor-
denen Übernehmen und Anverwandeln ursprüng-
lich italienischer Konzepte und Formen, die eher
indirekt, über Frankreich, die Niederlande und
eine rasch anschwellende Traktatliteratur vermit-
telt wurden als durch das Kennenlernen der großen
Vorbildbauten Italiens selbst (Renaissance), dort
dem bewußten Aufgreifen, Festhalten und Weiter-
bilden „eigener“ Traditionen (Nachgotik).^ Reiz
und Qualität dieser Architektur bestimmen sich
denn auch wesentlich durch ihr konkretes Einge-
hen auf diese nach Ursprung und Erscheinungs-
weise so entgegengesetzten, „polaren“ Möglich-
keiten des Bauens und Bildens in jener Zeit.
Entwurf und Bau der Marienkirche lassen sich
daher kaum in den Grenzen regionaler Abhängig-
keit beschreiben; sie müssen sowohl räumlich wie

begrifflich in größeren Zusammenhängen gesehen
werden. So versteht sich fast von selbst, daß auch
dieser Beitrag nur als Detailskizze zu einem sehr
viel umfassenderen, außerordentlich vielschichti-
gen Bild der Architektur jener Zeit zwischen Re-
naissance und Barock, Gotik und Manierismus
verstanden werden will. Das um so mehr, als Fra-
gen zur individuellen Baugeschichte mehr im An-
schluß an die vorliegende Literatur referiert als
zum Ausgangspunkt neuer Forschungen gemacht
werden sollten und konnten.45
Der heutige Bau der Hauptkirche Beatae Mariae
Virginis wurde im frühen 17. Jahrhundert anstelle
einer älteren, wohl gotischen, sicherlich bescheide-
nen Manenkapelle errichtet, zu der sich eine frü-
heste Nachricht aus dem Jahre 1301 erhalten hat.
Diese Kapelle gehörte zum Pfarrsprengel des ver-
schwundenen Dorfes Lecheln, stand aber, vermut-
lich von Anfang an, unter dem Patronat der in un-
mittelbarer Nachbarschaft residierenden Herzöge.
Die Gründung einer Kalandsbrüderschaft 1395
und Bestallungen, die seit dem 15. Jahrhundert
nachgewiesen sind, lassen die Bedeutung der Ma-
rienkapelle für das Gebiet im Umkreis des Schlos-
ses Wolfenbüttel zumindest ahnen. Diese konnte
nur wachsen, als der Herzog Heinrich d.J. Neuan-
siedlungen in der „Newenstadt vor Unserem
Schlosse Wolfenbüttel“, der später so genannten
Heinrichstadt, systematisch förderte und die Ma-
rienkapelle damit zu einem Kristallisationspunkt
neuen Lebens und neuer städtebaulicher Unter-
nehmungen werden mußte. All dies ist im Zusam-
menhang der einschneidenden Umwälzungen und
Auseinandersetzungen im Gefolge der Reforma-
tion zu sehen: Das Land des katholischen Herzogs
war durch die protestantischen Braunschweiger
und die Verbündeten des Schmalkaldener Bundes
1542—1547 verwüstet und vorübergehend besetzt,
die zur Dammfestung, zum Schloßkomplex also
und wie die Marienkapelle zur Pfarre Lecheln (Le-

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