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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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Helmut Mayer
Von der Gemeinde der „Heinrichstadt“
zur Hauptkirchengemeinde

Es war die Gemeinde der jungen, aufstrebenden
7 „Henricopolis Wolffenbvtel“, der Heinrichstadt
Wolfenbüttel, die den regierenden Landesherrn,
den Herzog Heinrich Julius an der Wende vom 16.
zum 17. Jahrhundert bewog, dem Wunsche nach
einem neuen, der Größe der Ansiedlung angemes-
senen Gotteshaus nachzukommen. Dieses Begeh-
ren der Gemeinde kam der Absicht des Fürsten
entgegen, seine und seiner Untertanen in der Re-
formation wurzelnde Glaubensfestigkeit zu offen-
baren und zugleich die Macht und die Bedeutung
des Herzoghauses durch ein repräsentatives Kir-
chengebäude darzustellen.
Des Herzogs Großvater, Heinrich der Jüngere,
hatte zwar im Zuge des Wiederaufbaues seiner in
den Wirren des Schmalkaldischen Krieges nachhal-
tig verwüsteten Residenz Wolfenbüttel die „ ... an
der Heerstraße vom Schloße nach Osten...“ gele-
gene Marienkapelle erweitert und die Einrichtung
einer fürstlichen Grablege angeordnet, weil er
„... nicht in der ungehorsamen, bösen, hoffärtigen,
stolzen, vergessentlichen Stadt Braunschweig be-
graben sein wollte...“ — Jedoch war diese in der
erweiterten Marienkapelle angelegte Gruft durch
die Beisetzungen seiner beiden in der Schlacht von
Sievershausen gefallenen Söhne Karl Viktor und
Philipp Magnus (1553), des Herzogs Heinrich d.J.
selbst (1568), seiner zweiten Gemahlin Sophie,
Tochter König Siegmunds von Polen (1575), sowie
des ungeliebten, weil der Reformation anhängen-
den Sohnes und Nachfolgers Julius (1589) ausgela-
stet.
So kam der Wunsch der Gemeinde nach einem
Kirchenneubau neben dem jener frühabsolutisti-
schen, fürstlichen Machtstruktur entsprechenden
Repräsentationsbedürfnis der Absicht des nun re-
gierenden Heinrich Julius entgegen, eine neue,
großzügige Grablege für das Fürstenhaus zu schaf-
fen. Tatsächlich hat diese Gruft unter dem hohen
Chor der Hauptkirche bis zur Mitte des 18. Jahr-
hunderts 29 verstorbene Mitglieder des Weifen-
hauses aufgenommen. Die ältere, unter der Ma-

rienkapelle angelegte Gruft ist noch vorhanden, im 65
Gegensatz zur neuen Gruft jedoch nicht zugäng- 175
lieh.
Mit dem Bau der „Neuen Kirche“ erhielt die Ge-
meinde der Heinrichstadt, der vormaligen „Lieb-
frauenvorstadt“, ihr Gotteshaus, ihre Hauptkirche
Beatae Mariae Virginis. Deren Generalsuperinten-
dent (Superintendens Generalissimus) stand ge-
meinsam mit dem regierenden Fürsten der nach der
Einführung der Reformation im Jahre 1568, dem
Regierungsantritt des Herzogs Julius, geschaffenen
evangelischen Landeskirche vor. Diese bedeutende
Funktion als Landeshauptkirche hat der erste
große protestantische Predigtkirchenbau der Neu-
zeit bis in unsere Tage beibehalten und erst auf
Grund einer jüngeren Entscheidung der Landes-
synode an den Dom St. Blasii zu Braunschweig ab-
getreten.
Am 14. September 1643, dem Tag des Kreuz- 8
erhöhungsfestes, konnte die Gemeinde der vom
Dreißigjährigen Krieg arg heimgesuchten Stadt
Wolfenbüttel mit ihrem väterlichen Fürsten und
Landesherrn, dem Herzog August dem Jüngeren
durch einen Dankgottesdienst in ihrer Hauptkir-
che das für Wolfenbüttel vorzeitige Ende des
schrecklichen, die deutsche Heimat zerfleischen-
den Krieges feiern. In einer historischen Predigt
würdigte der Generalsuperintendent D. Wideburg
die Klugheit und das diplomatische Geschick sei-
nes „Durchleuchtigsten Herzogs, hochgeborenen
Fürsten und Herrn“, der es im Goslarer Frieden er-
reicht hatte, für sein Land und seine Residenz fünf
Jahre vor dem westfälischen Frieden die Möglich-
keit zum Wiederaufbau zu schaffen. Treffend
schilderte D. Wideburg die Situation unserer Stadt
in jener schlimmen Zeit:
„Was für böse Tage haben wir doch erlebt, was
für Bürden und Beschwerungen haben wir er-
tragen müssen! Man sehe das ganze Land an:
War’s zuvor nicht wie ein feiner gesunder
Mensch? Nun aber ist es wie ein Schwindsüch-
tiger, da alle Glieder verderbet und von der

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