ZU BAU UND ENTWURF
„gotisch“ - die Gurte und Rippen eines alles
durchrüstenden Wölbsystems entfalten könnten.
Mauerwerksmassive und Gewölbe bleiben sich
„fremd“; sie müssen eigens, zum Teil nahezu ge-
waltsam, einander zugeordnet und durch einen
Apparat von Gelenkstücken miteinander verbun-
den werden. Im Inneren hat sich das Entwerfen
vornehmlich auf diese Gelenkstücke, auf die
Kämpfer, Kapitelle und Konsolen zum Aufneh-
men der Gewölbebogen und -rippen konzentriert.
52 Abermals stereometrische, Flächen und Kanten
56 bildende Grundkörper und wenige, der „Beschlag-
57 werks“-Renaissance entlehnte Dekorationsformen
bestimmen den Aufbau der großformigen, eigener
Wachstumsmomente gänzlich entsagenden Kapi-
48 teile, Konsolen und Kämpfer. Im Bereich des
Querriegels ist der kantig-einfache Kern der Kapi-
tellbildungen in den Quadermassiven der Pfeiler
und Wände bereits vorgegeben. Dort zeichnen
halbrunde Leisten und von übergroßen Eierstäben
gestützte Kranzprofile jene bandartigen, durch Be-
schlagwerk strukturierten und unterschiedlich
hohen „Köpfe“ auf die Pfeiler- und Mauerober-
flächen, die zwischen dem Gewölbeaufbau und
den Stützmassiven der Unterkonstruktion vermit-
teln sollen. Kurios geheftete und gerollte Laschen
stützen gemeinsam mit vortretenden, in den Ach-
sen höher als auf den Ecken reichenden Kopfkon-
solen die ausladenden Kranzgesimsplatten. Der
strukturelle Bezug zu den auf quadratischer Fuß-
fläche ansetzenden Bogen und Rippen des Gewöl-
bes ist nur im Auszeichnen der Mitten- und Diago-
nalachsen, nicht im Zuordnen der jeweiligen Pro-
file gesucht. Die Scheidbogen zwischen den Hal-
lenseitenschiffen und den „Emporenhäusern“ sind
denn auch — zugunsten des Wand-Bogen-Konti-
nuums auf der Empore — unbekümmert aus der
durch die Kämpferkonsolen betonten Mittenach-
sen der Pfeilerkämpfer heraus- und zur Seite ge-
rückt.
56 Die Kapitellblöcke der achtseitigen Freipfeiler
zeigen am ehesten, daß hier die Grundform eines
ursprünglich toscanisch-dorischen Kapitells dem
stereometrisch-flächenbildenden Charakter der
Architektur anverwandelt wurde. Was dort ein
runder Kelch war, ist hier zum sperrig-quadrati-
schen Block geworden, dessen Ecken und Kanten
durch Konsolsteine und -laschen unterfüttert und
gestützt erscheinen, die — zur Wandlung des Acht-
ecks zum Quadrat — den Facetten der Freipfeiler
57 einzeln aufgesetzt und angeheftet sind. Ganz ähn-
lich sind die großen Blockkörper der Kapitellkon-
solen aufgebaut, die mit einer mehrfach und kurz
gestuften Unterkonsole aus dem planen Mauer-
kontinuum der Außenwände heraustreten; keine
den Freipfeilern analog gesetzte oder geformte
52 Wandstütze bereitet ihren Aufbau vor (Ausnahme:
58 Turmflanken). Außen erst — in den Strebepfeilern
56 Pfeilerkapitell der Halle.
— wird man Merkmale der Freipfeilerbildung wie-
derfinden: hohe Postamente, attische Basen, 23
Schaftgürtung und Entasis.
Als Konstante aller Gewölbeträger ist die mehr
oder minder hoch unterbaute Kranzgesimsplatte
mit den stützenden Achslaschen und -köpfen zu
erkennen. Nur die ebenfalls — wie die Blockkonso-
len der Hallenseitenschiffe — im Stirn-Planum der
Mauer-, hier Pfeilermassive wurzelnden Schaft- 55
konsolen des Rippengewölbes im Chorpolygon
zeigen mit ihren diagonal gestellten Kapitellen, daß
ein engelskopfbesetztes Pfeilerchen mit fünf un-
gleichen Seiten eines achteckigen Schaftes als ihre
Grundform anzusprechen ist. Diese Sonderkonso-
len im Chorpolygon setzen denn auch höher an als
alle anderen, mit ihren Kämpferplatten einen Hori-
zont bezeichnenden Kapitelle und Konsolen der
Marienkirche.
Zur Gewölbebildung selbst ist noch zu bemer-
ken, daß die drei vorkommenden Gurt- und Rip-
penprofile nicht gleichartig verteilt sind. Während
im Nordseitenschiff jedes Joch in Analogie zu den
schiffsteilenden Bogenfolgen durch breite Band-
gurte gesondert ist, sind die jochteilenden Gurte im
Mittel- und südlichen Seitenschiff durch sehr viel
schlankere Bogen ersetzt, deren Profile seitlich von
Eierstäben begleitet werden und leicht zugespitzt
erscheinen. In der Längsachse wirken diese Schiffe
denn auch mehr zur Einheit gebunden als das
Nordseitenschiff. Und während die jochteilenden 48
Bogen in der Halle gestelzt-rundbogig geführt
sind, macht sich abermals die Sonderstellung des
Querriegels mit seinen „Emporenhäusern“ gel-
tend, indem dort die Scheidbogen zwischen Halle
und Querriegel bzw. Chorpolygon und Querriegel
als Spitzbogen ausgebildet sind.
Der Entwurf Paul Franckes ist nicht im Original
erhalten; Zeichnungen, Risse, Werkpläne oder ein
69
„gotisch“ - die Gurte und Rippen eines alles
durchrüstenden Wölbsystems entfalten könnten.
Mauerwerksmassive und Gewölbe bleiben sich
„fremd“; sie müssen eigens, zum Teil nahezu ge-
waltsam, einander zugeordnet und durch einen
Apparat von Gelenkstücken miteinander verbun-
den werden. Im Inneren hat sich das Entwerfen
vornehmlich auf diese Gelenkstücke, auf die
Kämpfer, Kapitelle und Konsolen zum Aufneh-
men der Gewölbebogen und -rippen konzentriert.
52 Abermals stereometrische, Flächen und Kanten
56 bildende Grundkörper und wenige, der „Beschlag-
57 werks“-Renaissance entlehnte Dekorationsformen
bestimmen den Aufbau der großformigen, eigener
Wachstumsmomente gänzlich entsagenden Kapi-
48 teile, Konsolen und Kämpfer. Im Bereich des
Querriegels ist der kantig-einfache Kern der Kapi-
tellbildungen in den Quadermassiven der Pfeiler
und Wände bereits vorgegeben. Dort zeichnen
halbrunde Leisten und von übergroßen Eierstäben
gestützte Kranzprofile jene bandartigen, durch Be-
schlagwerk strukturierten und unterschiedlich
hohen „Köpfe“ auf die Pfeiler- und Mauerober-
flächen, die zwischen dem Gewölbeaufbau und
den Stützmassiven der Unterkonstruktion vermit-
teln sollen. Kurios geheftete und gerollte Laschen
stützen gemeinsam mit vortretenden, in den Ach-
sen höher als auf den Ecken reichenden Kopfkon-
solen die ausladenden Kranzgesimsplatten. Der
strukturelle Bezug zu den auf quadratischer Fuß-
fläche ansetzenden Bogen und Rippen des Gewöl-
bes ist nur im Auszeichnen der Mitten- und Diago-
nalachsen, nicht im Zuordnen der jeweiligen Pro-
file gesucht. Die Scheidbogen zwischen den Hal-
lenseitenschiffen und den „Emporenhäusern“ sind
denn auch — zugunsten des Wand-Bogen-Konti-
nuums auf der Empore — unbekümmert aus der
durch die Kämpferkonsolen betonten Mittenach-
sen der Pfeilerkämpfer heraus- und zur Seite ge-
rückt.
56 Die Kapitellblöcke der achtseitigen Freipfeiler
zeigen am ehesten, daß hier die Grundform eines
ursprünglich toscanisch-dorischen Kapitells dem
stereometrisch-flächenbildenden Charakter der
Architektur anverwandelt wurde. Was dort ein
runder Kelch war, ist hier zum sperrig-quadrati-
schen Block geworden, dessen Ecken und Kanten
durch Konsolsteine und -laschen unterfüttert und
gestützt erscheinen, die — zur Wandlung des Acht-
ecks zum Quadrat — den Facetten der Freipfeiler
57 einzeln aufgesetzt und angeheftet sind. Ganz ähn-
lich sind die großen Blockkörper der Kapitellkon-
solen aufgebaut, die mit einer mehrfach und kurz
gestuften Unterkonsole aus dem planen Mauer-
kontinuum der Außenwände heraustreten; keine
den Freipfeilern analog gesetzte oder geformte
52 Wandstütze bereitet ihren Aufbau vor (Ausnahme:
58 Turmflanken). Außen erst — in den Strebepfeilern
56 Pfeilerkapitell der Halle.
— wird man Merkmale der Freipfeilerbildung wie-
derfinden: hohe Postamente, attische Basen, 23
Schaftgürtung und Entasis.
Als Konstante aller Gewölbeträger ist die mehr
oder minder hoch unterbaute Kranzgesimsplatte
mit den stützenden Achslaschen und -köpfen zu
erkennen. Nur die ebenfalls — wie die Blockkonso-
len der Hallenseitenschiffe — im Stirn-Planum der
Mauer-, hier Pfeilermassive wurzelnden Schaft- 55
konsolen des Rippengewölbes im Chorpolygon
zeigen mit ihren diagonal gestellten Kapitellen, daß
ein engelskopfbesetztes Pfeilerchen mit fünf un-
gleichen Seiten eines achteckigen Schaftes als ihre
Grundform anzusprechen ist. Diese Sonderkonso-
len im Chorpolygon setzen denn auch höher an als
alle anderen, mit ihren Kämpferplatten einen Hori-
zont bezeichnenden Kapitelle und Konsolen der
Marienkirche.
Zur Gewölbebildung selbst ist noch zu bemer-
ken, daß die drei vorkommenden Gurt- und Rip-
penprofile nicht gleichartig verteilt sind. Während
im Nordseitenschiff jedes Joch in Analogie zu den
schiffsteilenden Bogenfolgen durch breite Band-
gurte gesondert ist, sind die jochteilenden Gurte im
Mittel- und südlichen Seitenschiff durch sehr viel
schlankere Bogen ersetzt, deren Profile seitlich von
Eierstäben begleitet werden und leicht zugespitzt
erscheinen. In der Längsachse wirken diese Schiffe
denn auch mehr zur Einheit gebunden als das
Nordseitenschiff. Und während die jochteilenden 48
Bogen in der Halle gestelzt-rundbogig geführt
sind, macht sich abermals die Sonderstellung des
Querriegels mit seinen „Emporenhäusern“ gel-
tend, indem dort die Scheidbogen zwischen Halle
und Querriegel bzw. Chorpolygon und Querriegel
als Spitzbogen ausgebildet sind.
Der Entwurf Paul Franckes ist nicht im Original
erhalten; Zeichnungen, Risse, Werkpläne oder ein
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