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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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PETER KÖNIGFELD/ROLF-JÜRGEN GROTE

allerdings bei der Untersuchung bald heraus, daß
dies aus materialtechnischen Gründen nicht mög-
lich war. Die Fassung von 1888/89 war zwar über-
131 all erhalten, hatte jedoch völlig ihre Bindung verlo-
ren, war stark pudernd, erheblich abblätternd oder
in Schollen abstehend und zeigte großflächige
Fehlstellen. An den Sandsteinquadern waren stel-
lenweise Abplatzungen erfolgt, die Fugen standen
z.T. ohne Mörtel. Eine Restaurierung der Raum-
polychromie des späten 19. Jahrhunderts hätte zu
einer völligen Neuausmalung führen müssen.
Die restauratorischen Befundermittlungen ge-
stalteten sich äußerst schwierig und bedurften ein-
gehender archivalischer Absicherungen. Im Ergeb-
nis zeigte sich eindrucksvoll, wie stark Raumhülle
und Ausstattung, vor allem der Hochaltar, bis in
Einzelheiten hinein durch die originale Polychro-
mie zu einem harmonisch gestalteten Gesamt-
kunstwerk komponiert waren.
Überraschen mußte allerdings die Tatsache, daß
die Raumschale ganz offensichtlich ursprünglich
farbig nicht gefaßt war und wohl erst in einem fort-
geschrittenen Baustadium, nach Einbringung der
wichtigsten Ausstattungsgegenstände, ihr Farb-
kleid erhielt. Wichtige Anhaltspunkte hierfür er-
brachte unter anderem der Abbau der Kanzel vom
südöstlichen Vierungspfeiler: Der Platz, den sie auf
Grund ihrer nachweislich erst 1626 erfolgten Um-
setzung einnahm, war natursteinsichtig und zeigte
eine nicht gefaßte Wandfläche. Ein identischer
Sachverhalt war auch für andere Bereiche des Kir-
chenraumes zu konstatieren, an denen aus Restau-
rierungsgründen die Innenausstattung entfernt
werden mußte (Chorwände, Altar- und Chorge-
stühlbereich).
Bemerkenswerterweise und für die sorgfältige
132 Vorgehensweise 1888/89 kennzeichnend konnten
133 an verschiedenen Stellen große, bewußt konser-
vierte Stellen mit der ursprünglichen Raumausma-
lung aufgefunden werden. Die entscheidenden Be-
funde lagen beiderseits des Scheitels an der Laibung
des südlichen Scheidbogens des östlichen Mittel-
schiffsjoches. Über Wandgestaltung und Pfeiler-
gliederung gaben hinter Epitaphien, vor allem dem
von Paul Francke neben dem südlichen Eingangs-
portal, flächig erhaltene Reste Grau in Grau ausge-
führter Fugenmalereien klar Auskunft.
Die Belege der Ausmalung des 17. Jahrhunderts
erwiesen eindrücklich, daß die vom Ende des
19. Jahrhunderts stammende Ausmalung in ihrer
zeittypischen, in ockrig-braunem, schwerem
Grundton gehaltene Farbigkeit dem spezifischen
Charakter des lichten Hallenraumes nicht gerecht
werden konnte. Die nachweisbaren Fassungen des
18. und frühen 19. Jahrhunderts stellten sich als
monochrome Anstriche dar. — Ganz prächtig da-
gegen die Originalfassung: Die Wände und Pfeiler
in hellgrauem Kalkanstrich mit dunkelgrauem Fu-

gennetz, die Rippen, Gurte und Scheidbögen von
Ornamentbändern in Blau, Rot und Gelb begleitet,
die reich skulpierten Pfeiler-Kapitelle durch reich-
farbige Gestaltung in ihrer Schwere aufgelöst; damit
ganz der Farbhaltung der Zeit entsprechend, die
mit Vorliebe offensichtlich Grau- und Schwarz-
werte bevorzugte.
Die Befundbereiche wurden nach Festigung mit 134
Kalksinterwasser in Kalkkaseintechnik retuschiert
und dienten als Ausgangspunkte für die Rekon-
struktion der Raumfassung. Die desolate Farbfas-
sung von 1888/89 konnte durch Abwaschen und
Abbürsten entfernt werden. Das Schließen der
Fehlstellen im Sandstein erfolgte mit Mineros und
Kalkmörtel. Gleichzeitig wurde an Teilbereichen
der Südhälfte des Scheidbogens zwischen südli-
chem Seitenschiff und Querhaus mit Kalk-Kuh-
dung-Gemisch eine Isolierung gegen Wasserflecke
und Dunkelverfärbung vorgenommen, was zu er-
staunlich guten Ergebnissen führte.
Es folgte die farbige Gliederung der Bögen durch
die überlieferten Rapporte, wobei eine gründliche
Vorzeichnung erforderlich war. Für einen beson- 134
deren Abschluß der Ornamente am Bogenansatz
gab es keine Befunde, daher wurden die Orna-
mente vom Scheitelpunkt beginnend nach unten
geführt. Sie laufen dort aus, ohne daß der Rapport
zerschnitten wird.
Zur Fassung wurden kalkechte Pigmente (Weiß-
kalk mit Kaseinzusatz) verwendet. Notwendige
Vergoldungen erfolgten auf den mit Schellack ab-
gesperrten Stein mit Mixtion. Die Gewölbeflächen,
Kreuzrippen und Schlußsteine wurden von einer
ortsansässigen Malerfirma in Absprache sowie
unter Anleitung und Aufsicht der Restauratoren
bearbeitet. Die Wandflächen und Pfeilerschäfte er-
hielten einen Mineralfarbanstrich. — Eine Aus-
nahme stellen die beiden portalumrahmenden Ma-
lereien im Chorbereich dar, die aus dem Jahre
1888/89 datieren, jedoch maltechnisch so qualität-
voll waren, daß sie zur Dokumentation konserviert
und retuschiert werden konnten.

Anmerkungen
1J Eberhard Hempel: Der Altar der Marienkirche zu Wolfen-
büttel. In: Festschrift Friedrich Winkler. Berlin 1959,
S.267.
21 Die Kunstdenkmale der Stadt Wolfenbüttel (Kunstdenk-
mälerinventare Niedersachsens. Neudruck des gesamten
Werkes 1889-1976. Bd. 8) Osnabrück 1978, S. 57f.; Gu-
stav Spies: Geschichte der Hauptkirche B.M.V. in Wolfen-
büttel (Quellen und Forschungen zur Braunschweigischen
Geschichte 7). Wolfenbüttel 1914, S. 60—63, 80—82; Eber-
hard Hempel: Der Altar der Marienkirche zu Wolfenbüttel.
In: Festschrift Friedrich Winkler. Berlin 1959, S. 254—267;
August Fink: Die Marienkirche. Hauptkirche B.M.V. in
Wolfenbüttel. 4. Aufl. erw. von Horst Appuhn (Heimatli-
che Kirchen. H. 3). Wolfenbüttel 1965, S. 21—23; Friedrich
Berndt u. Peter Poscharsky: Der Kirchenbau seit der Refor-

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