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Die Hauptkirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel — Forschungen der Denkmalpflege in Niedersachsen, Band 4: Hameln: Verlag C.W. Niemeyer, 1987

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MECHTHILD WISWE

prunkvollen Trauerfeier diente. Erforderte doch
die Anfertigung des Metall- oder Steinsarges, mit
der in der Regel erst im Todesfall begonnen wurde,
eine geraume Zeit bis zu vielen Monaten. Entweder
wurde der Holzsarg in den endgültigen Sarg ge-
stellt oder aber man bettet den Verstorbenen um.
Das erfolgte in der Regel in aller Stille im engsten
Kreis. Dieser Vorgang wurde offenbar völlig ge-
sondert von den vorhergegangenen Trauerzeremo-
nien betrachtet. So erscheinen auffallenderweise
auf den Särgen keineswegs die gleichen Bibelzitate
wie in den Leichenpredigten auf die Bestatteten.
Den Drucken dieser Predigten sind wohl Wid-
mungsgedichte und mitunter auch Lebensbe-
schreibungen beigegeben, keineswegs aber Be-
schreibungen der Särge, wiewohl jene Drucke in
der Regel erst erschienen sind, wenn die endgülti-
gen Särge fertig gestellt waren. Lediglich der Lei-
chenpredigt für den Herzog August Wilhelm sind
180 zwei Kupferstiche seines Sarges beigegeben,7' die
181 weitestgehend der Ausführung entsprechen.
Der gegossene Sargschmuck aus Zinn, wie er auf
Zinn- und Holzsärgen üblich war, ist am Beispiel
einer Lübecker Werkstatt durch Franz-Adrian
Dreier untersucht und in allgemeinere Zusammen-
hänge eingeordnet worden.S) Dagegen fehlt noch
immer eine grundlegende Untersuchung zu Zinn-
särgen, wie wir sie in der Wolfenbüttel er Gruft an-
treffen, wiewohl K. Berling bereits 19209’ die Be-
handlung dieses Themas als ein wichtiges Desiderat
angesehen hatte. Dieser Mangel erschwert unsere
Arbeit, zumal jene Publikationen wenig hilfreich
sind, die sich mit verwandten Gebieten beschäfti-
gen.10'
Erst seit der Spätrenaissance verbreitete sich
offenbar in Mitteleuropa in nennenswertem Um-
fang die Sitte, Bestattungen von Angehörigen der
Fürstenhäuser sowie anderer hochgestellter und
vermögender Familien in Zinnsärgen vorzuneh-
men und diese in Grüften oder Grabkapellen von
Kirchen oder aber in besonderen Mausoleen aufzu-
stellen. Die größte Üppigkeit der Ausgestaltung
derartiger Särge wurde im 17. Jahrhundert und zu
beginn des 18. Jahrhunderts erreicht, wie auch die
Wolfenbütteler Beispiele verdeutlichen. Barockes
Schaubedürfnis und Gepränge fanden hier, wo Öf-
fentlichkeit im eigentlichen Sinn nicht mehr gege-
ben war, eigene Ausdrucksmöglichkeiten. Das be-
deutendste und bisher einzige eingehend und
mehrfach publizierte Beispiel dieser Art ist die
sogenannte Kapuzinergruft in Wien.11' In ihr sind
Mitglieder des österreichischen Kaiserhauses be-
stattet, beginnend mit Kaiser Matthias (1557—1619),
der in einem Bleisarg ruht. Unter den Särgen der
Kapuzinergruft lassen sich keine gestalterischen
Parallelen zu den Wolfenbütteler Stücken finden.
Indes ist hier wie da im Detail ein gewisser Stilwan-
del festzustellen, der allgemeinen Tendenzen des

Kunsthandwerks folgt. Den älteren, verhältnismä-
ßig schlichten Beispielen stehen die üppigeren aus
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und dem
beginnenden 18. Jahrhundert gegenüber.
Freilich zeigt sich dieser Wandel an den Wiener
Beispielen weit intensiver als an den schlichteren in
Wolfenbüttel. Eine „zeitgemäß-modische“ Sargge-
staltung war durchaus gewünscht und gewollt: So
etwa hat der Wolfenbütteler Herzog August Wil-
helm (13) sich noch als Totkranker in seinem letz-
ten Willen entsprechend geäußert: „an den Zinnern
Sarg wird gleich (nach seinem Tode) angefangen zu
arbeiten, da man dann ein schönes neues Fason
nehmen soll“. An anderer Stelle läßt der Herzog
kurz danach noch einmal verlauten, er wünsche
sich „ein Zinnsarg nach der neuesten Fagon“.12'
Woher man die entsprechenden Kenntnisse sich
verschaffte und wer die Entwürfe für die Wolfen-
bütteler Särge lieferte, ist, von einer Ausnahme
abgesehen, völlig unbekannt. Vorlagestiche oder
-Zeichnungen für derartige Särge sind bisher nicht
ermittelt worden, wiewohl ihr Vorhandensein
wahrscheinlich ist.13'
Es scheint, daß vornehmlich am Wolfenbütteler
Hof tätige Künstler für die hiesigen Entwürfe her-
angezogen worden sind, während die handwerk-
liche Ausführung Braunschweiger bzw. Wolfen-
bütteler Zinngießern übertragen wurde14' unter
Mitwirkung von Goldschmieden, Bildhauern und
Formstechern.
Nur ein Teil der Namen dieser Handwerker ist
aus Archivalien zu erschließen. Punzen der Zinn-
gießer, die beim derzeitigen Forschungsstand nicht
einwandfrei zu deuten sind, zeigen nur zwei Särge
(5,15). Ein Teil der Metallsärge hat Inschriften und
Dekors in Messingguß. Offenbar wurde ein Teil
dieser Arbeiten von Goldschmieden (s. u.), ein an-
derer Teil aber von Zinngießern ausgeführt. Bei-
spielsweise erhielt der Zinngießer Hans Giese(c)ke
in Braunschweig auf die Anfertigung des Sarges für
Herzog August den Jüngeren (3) einen Vorschuß 177
von 200 Tlr. zum Ankauf von Messing.15' Die
865 Messingbuchstaben für den bereits erwähnten
Doppelsarg (8/9) dagegen lieferte der Wolfenbüt-
teler Goldschmied Görig für 34 Tlr.16'
Andererseits hatte 1613 der Formstecher Elias
Holwein „wegen Verfertigung des Fl. Begräbnis“
36 Tlr. ausbezahlt bekommen.17' Das mag der
Lohn für den Entwurf oder auch für die Gravur des
großen Wappens oder anderen Zierrats am Sarg des
1613 bestatteten Herzogs Heinrich Julius (16) ge-
wesen sein.
Die Ausführung des Doppelsarges für Anton 178
Ulrich und Elisabeth Juliane (8/9) und die des Sar-
ges für Herzog August Wilhelm (13) stand unter 181
Leitung des bekannten Landbaumeisters Hermann
Korb als oberstem Baubeamten des Fürstentums
Wolfenbüttel.18' Zumindest die Entwürfe und die

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