GESCHICHTE DER RENOVIERUNG
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nur als Folge ungleichmäßiger Setzungen des
Turmmauerwerks erklärt werden konnten. Diago-
nale Kipperscheinungen des Turmes hatten insbe-
sondere am südöstlichen Mauerwerk eine Locke-
rung des Gefüges verursacht. Im Februar 1983
mußten zusätzliche Verankerungen und Mauer-
werksverfestigungen angeordnet werden, um auch
hier die Standfestigkeit wiederherzustellen und im
Inneren des später wieder unzugänglichen Orgel-
gehäuses Beeinträchtigungen des Orgelwerkes aus-
zuschließen.
Das Schadensbild an den Gurtbögen, Gewölbe-
rippen, Gewölbefeldern und Kapitellen brachte an
den Jochen, die unmitelbar an den Turm anschlie-
ßen, weitere Überraschungen. Die Kippung des
mächtigen Turmmauerwerkes hatte durch Pres-
sungen und Verschiebungen auch an den Decken-
teilen Spuren hinterlassen. Schon bei früheren Re-
staurierungen war versucht worden, breitklaffende
Risse mit Blei-, Eisen- und Hartholzkeilen zu
schließen. Diese Teile hatten sich gelockert und
drohten gemeinsam mit angrenzenden losen Stein-
quadern abzustürzen. Die gefährdeten Gewölbe-
rippen mußten an Stahlbetonverstärkungen aufge-
hängt werden, die oberhalb der Gewölbe angeord-
net wurden. Zur Vermeidung von Materialunver-
träglichkeiten kamen Edelstahlanker und Epoxyd-
harzverpressungen zum Einsatz. Die Verformun-
gen der Gurtböden und Gewölberippen, die bis zu
10 cm betrugen, wurden steinmetzmäßig beigear-
beitet, sie sind jedoch bei genauem Hinsehen er-
kennbar. Bevor Maler und Restauratoren mit ihrer
Arbeit begannen, wurden die Durchbrüche für die
Beleuchtungskörper gebohrt und zusätzliche Öff-
nungen an den Hochpunkten der Gewölbe ange-
legt, um einen Wärme- und Feuchtigkeitsabbau in
den Dachraum zur Schonung der neuen Farbfas-
sung zu ermöglichen.
Ein Erlebnis besonderer Art bedeutete die Be-
steigung der Gerüste, das nahe Betrachten der
schmückenden Elemente und die Begegnung mit
den vielen Engelköpfen. „Die mittelalterliche
Gleichsetzung des Kirchengebäudes mit dem Him-
melsgewölbe, indem die Engel der Gemeinde vor-
singen, war um 1600 noch durchaus lebendig.
Diese Vorstellung erklärt den Schmuck zahlloser
Engelköpfe, die man im Inneren an den Kapitellen
und Konsolen sowie an den Schaftringen der frei-
stehenden Achteckpfeiler findet. Diese Schaftringe
stehen nämlich in derselben Höhe wie die Orgel-
empore und müssen also zu der Schicht der musi-
zierenden Engel hinzugerechnet werden. Nach
dem ursprünglichen Plan Paul Franckes sollten die
Seitenemporen ebensohoch liegen. Am Außenbau
sieht man die Engelköpfe an den Strebepfeilern in
derselben Höhe. Das will doch sagen, daß die Schar
der Engel über den Menschen die erste Stufe auf
dem Weg zum Himmel anzeigt. Die nächst höhere
223 Sicherungsarbeiten am Gurtbogen im Turmbereich.
Schicht der prunkvollen Kapitelle und Konsolen
mag die Tore des Himmels bedeuten, da das Ge-
wölbe selbst, der Tradition gemäß, als das Him-
melsgewölbe gilt.“9"1
Die Konstruktion der beiden Seitenemporen, die
nach der Erneuerung von 1889 als tragfähig ange-
nommen werden mußten, erwiesen sich nach Öff-
nung der unteren Verkleidung und des Fußbodens
als instabil und einsturzgefährdet. Bei der Planung
der Verstärkungsmaßnahmen wurde davon ausge-
gangen, die überlieferte äußere Gestalt der Empo-
ren möglichst wenig zu verändern. Für die Last-
abtragung in den Wänden mußten Stahlunterzüge
vorgesehen werden, die auf neuen Konsolen aufla-
gern. Aus Kostengründen verzichtete man auf Na-
tursteinkonsolen und verkleidete statt dessen die
Stahlkonsolen mit Kunststeinmaterial aus Mu-
schelkalkzuschlägen. Die Anzahl der Querbalken
zur Aufnahme der Lasten aus dem Fußboden
wurde verdoppelt. Die Lastabtragung über den
Stützen erfolgt durch die Balken der Brüstung, die
mit 28 mm dicken Tischlerplatten zu einem Trag-
system in Form eines brüstungshohen Überzugs
zusammengebunden wurden. Die Brustbilder von
Moses, David und 16 Propheten sowie die Wappen
an der Südempore waren wegen des äußerst restau-
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nur als Folge ungleichmäßiger Setzungen des
Turmmauerwerks erklärt werden konnten. Diago-
nale Kipperscheinungen des Turmes hatten insbe-
sondere am südöstlichen Mauerwerk eine Locke-
rung des Gefüges verursacht. Im Februar 1983
mußten zusätzliche Verankerungen und Mauer-
werksverfestigungen angeordnet werden, um auch
hier die Standfestigkeit wiederherzustellen und im
Inneren des später wieder unzugänglichen Orgel-
gehäuses Beeinträchtigungen des Orgelwerkes aus-
zuschließen.
Das Schadensbild an den Gurtbögen, Gewölbe-
rippen, Gewölbefeldern und Kapitellen brachte an
den Jochen, die unmitelbar an den Turm anschlie-
ßen, weitere Überraschungen. Die Kippung des
mächtigen Turmmauerwerkes hatte durch Pres-
sungen und Verschiebungen auch an den Decken-
teilen Spuren hinterlassen. Schon bei früheren Re-
staurierungen war versucht worden, breitklaffende
Risse mit Blei-, Eisen- und Hartholzkeilen zu
schließen. Diese Teile hatten sich gelockert und
drohten gemeinsam mit angrenzenden losen Stein-
quadern abzustürzen. Die gefährdeten Gewölbe-
rippen mußten an Stahlbetonverstärkungen aufge-
hängt werden, die oberhalb der Gewölbe angeord-
net wurden. Zur Vermeidung von Materialunver-
träglichkeiten kamen Edelstahlanker und Epoxyd-
harzverpressungen zum Einsatz. Die Verformun-
gen der Gurtböden und Gewölberippen, die bis zu
10 cm betrugen, wurden steinmetzmäßig beigear-
beitet, sie sind jedoch bei genauem Hinsehen er-
kennbar. Bevor Maler und Restauratoren mit ihrer
Arbeit begannen, wurden die Durchbrüche für die
Beleuchtungskörper gebohrt und zusätzliche Öff-
nungen an den Hochpunkten der Gewölbe ange-
legt, um einen Wärme- und Feuchtigkeitsabbau in
den Dachraum zur Schonung der neuen Farbfas-
sung zu ermöglichen.
Ein Erlebnis besonderer Art bedeutete die Be-
steigung der Gerüste, das nahe Betrachten der
schmückenden Elemente und die Begegnung mit
den vielen Engelköpfen. „Die mittelalterliche
Gleichsetzung des Kirchengebäudes mit dem Him-
melsgewölbe, indem die Engel der Gemeinde vor-
singen, war um 1600 noch durchaus lebendig.
Diese Vorstellung erklärt den Schmuck zahlloser
Engelköpfe, die man im Inneren an den Kapitellen
und Konsolen sowie an den Schaftringen der frei-
stehenden Achteckpfeiler findet. Diese Schaftringe
stehen nämlich in derselben Höhe wie die Orgel-
empore und müssen also zu der Schicht der musi-
zierenden Engel hinzugerechnet werden. Nach
dem ursprünglichen Plan Paul Franckes sollten die
Seitenemporen ebensohoch liegen. Am Außenbau
sieht man die Engelköpfe an den Strebepfeilern in
derselben Höhe. Das will doch sagen, daß die Schar
der Engel über den Menschen die erste Stufe auf
dem Weg zum Himmel anzeigt. Die nächst höhere
223 Sicherungsarbeiten am Gurtbogen im Turmbereich.
Schicht der prunkvollen Kapitelle und Konsolen
mag die Tore des Himmels bedeuten, da das Ge-
wölbe selbst, der Tradition gemäß, als das Him-
melsgewölbe gilt.“9"1
Die Konstruktion der beiden Seitenemporen, die
nach der Erneuerung von 1889 als tragfähig ange-
nommen werden mußten, erwiesen sich nach Öff-
nung der unteren Verkleidung und des Fußbodens
als instabil und einsturzgefährdet. Bei der Planung
der Verstärkungsmaßnahmen wurde davon ausge-
gangen, die überlieferte äußere Gestalt der Empo-
ren möglichst wenig zu verändern. Für die Last-
abtragung in den Wänden mußten Stahlunterzüge
vorgesehen werden, die auf neuen Konsolen aufla-
gern. Aus Kostengründen verzichtete man auf Na-
tursteinkonsolen und verkleidete statt dessen die
Stahlkonsolen mit Kunststeinmaterial aus Mu-
schelkalkzuschlägen. Die Anzahl der Querbalken
zur Aufnahme der Lasten aus dem Fußboden
wurde verdoppelt. Die Lastabtragung über den
Stützen erfolgt durch die Balken der Brüstung, die
mit 28 mm dicken Tischlerplatten zu einem Trag-
system in Form eines brüstungshohen Überzugs
zusammengebunden wurden. Die Brustbilder von
Moses, David und 16 Propheten sowie die Wappen
an der Südempore waren wegen des äußerst restau-
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