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Fiedler, Karl Gustav
Reise durch alle Theile des Königreiches Griechenland: in Auftrag der Königl. Griechischen Regierung in den Jahren 1834 - 1837 (Band 1): Mit 6 lithographirten Ansichten — Leipzig, 1840

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https://doi.org/10.11588/diglit.9173#0163

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DAS ORAKEL ZU DELPHI.

Der Tempel des Apollon stand am obern Abhänge in der
Mitte der Biegung, welche das Gebirge macht, wo jetzt Kastrl
liegt; in ihm war das Orakel, was sich in einer Art tiefer
Höhle befand, in deren Mitte ein unterirdisches Luftloch hinab-
ging, ans welchem der prophetische Dunst heraufstieg. Die
Mythe von seiner Auffindung ist bekannt. Ueber diesem
Dunstloch stand der goldne Dreifuss, der aber so stark mit
Lorbeerzweigen und Kränzen umwunden war, dass man die
Oeffiiung nicht sah; es geschah, damit der Dunst sich nicht
rings herum verbreite, sonst hätten vielleicht die das Orakel
Befragenden auch angefangen zu wahrsagen. Wasser von der
oberhalb des Tempels befindlichen Quelle Kassötis (jetzt Krene)
war in das Allerheiligste geführt, und wenn der Jüngling aus
einem nahen Haine Lorbcerzweige geholt hatte, schöpfte er
auch aus der Kastälischen Quelle Wasser zur Füllung der in
der Vorhalle des Tempels befindlichen Gelasse. Die Pythia
erschien bleich und verstört, trank von dem Wasser der Kas-
sotis und kauete Lorbeer; mit Drohungen und oft auch mit
Gewalt zwangen sie die Priester, sich auf den Dreifuss zu
setzen, auf welchem sie nicht selten festgehalten werden
musste, bis sie in Raserei und unter Geheul unverständliche
Worte ausstiess, welche die Priester sorgfältig aufzeichneten,
ordneten und dem Fragenden schriftlich einhändigten, in frü-
hester Zeit in Versen, bis allgemeine Klage einlief, dass der
Gott der Dichtkunst die schlechtesten Verse machte, dann
 
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