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ihrer Eigenthümlichkcit durchdrangen und organisch ver-
banden, so haben wir auch in der Baukunst das Geist-
liche und Weltliche scheiden, das Griechische und Gvthiscbe
in seiner Reinheit und charakteristischen Bestimmtheit
kennen, nachbilden und zweckmäßig anwenden gelernt.
Noch harren wir aber des architektonischen Styts, der
rin Ausdruck eines neuen Gesammtbewnßtseins, eines
gemeinsamen Volksgefühls werde, weil uns dich selber
noch fehlt, weil cs erst im Kampf der Gegensätze nach
Geburt ringt. Der gcräthbildenden Thätigkeit fehlt daher
der architektonische Halt, aber wie die Baukunst hat sie
gelernt die griechischen und mittelalterlichen Formen zu
verstehen und lieb zu gewinnen; sie gefällt sich indes
noch gar zu sehr in der Formenmischung und den
Schnörkcleicn des Roeoco, und eine organische Einheit,
bei der eine Linie aus der anderen erwächst und dnrch
sie bedingt wird, ist dem Geschmack unserer Zeit noch
lange nicht genug zur Hauptbedingung der Scbönbcit
geworden. Ich vermisse dieß z. B. sogleich bei dem viel-
gerühmten Tafelaufsatz, den Struve und Sohn von
Leipzig ausgestellt; abgesehen davon, daß die von Riet-
schel und Hähnel trefflich modcliirte» Figuren des Acker-
baues, der Waldeultur re. am Fuße des Ganzen bei
der angewandten Polirung des Silbers durch Spiegelung
und Reflexe um die Klarheit ihrer Form kommen, fehlt
dem architektonischen Gerüste des Ganzen Sinn und
Zusammenhang, und die gothischcn Dreiecke sind mit
den gewundenen Rococoliuien und den unglücklichen
Gottcrbüsten auf ibren halben Bogen gar nicht inner-
lich verbunden; der Hohenschwangauer Tafelaufsatz
nach Neureuthers Entwurf ist in dieser Beziehung ge-
lungen.
Da die Malerei unter ihren Schwesterlichsten zuerst
bei uns wieder einen würdigen Styl gefunden hat, und
da sie in der christlich germanischen Welt auch der Ar-
chitektur und Sculptur ebenso etwas von ihrem Gepräge
leiht, wie alle bildende Kunst im Orient einen architek-
tonischen, in Griechenland einen plastischen Charakter
trug, so ist es immer von neuem zu bedauern, daß Teich-
leins Plan nicht zu Staude kam, »eben der Industrie-
Ausstellung eine historischgeordnete Sammlung deutscher
Gemälde und Zeichnungen der bedeutendsten Meister
unseres Jahrhunderts im Anschluß und zur Ergänzung
der monumentalen Werke in München zu veranstalten.
Hier wäre ein Gesammtcindruck gewonnen worden, der
nicht bloß die Künstler gelehrt hätte: woher und wohin?

sondern der auch auf das Formcugefühl des beschauen-
den Publikums wie der Handwerker hätte einen maß-
gebenden Einfluß gewinnen können.
Der Fortschritt der Cultur beruht darauf, daß ein-
mal gewonnene Wahrheiten fcstgehalten und überliefert
werden; so ist auch die Kunstoriginalität keine eitle Jagd
nach Neuem um des Wechsels willen, und wenn das
christliche Gemüth in dem romanischen und gothischcn
Dom seinen kirchlichen Ausdruck erfunden bat, so wer-
den wir bei dem Bau der Gotteshäuser diese Grundty-
pen stets bewahren, so wird auch das Kirchengcräth der
Gegenwart sich ihm anschlicßen müssen. Und daß dieß
wieder geschieht, daß bis zu den gestickten Gewändern
der Priester oder zu den Monstranzen und Kelchen hin
die Formen mit der Architektur im Einklang stehen und
an dieselbe sich anlehnen, ist ein beachtenswerther Fort-
schritt znm Bessern. Der Styl als solcher ist auch hier
nichts vom Einzelnen zu erfindendes, sondern er ist aus
dem Geiste deS Ganzen hcrvorgegangen, wie der Ton
des epischen Volksgesangs, und die Aufgabe des Ein-
zelnen ist, ihn sich anzucignen und, von ihm geleitet und
getragen, ihn für die besonderen Zwecke auözubildcn und
innerhalb seiner auch die eigene Persönlichkeit walten zu
lassen.
Sodann gilt es auf dem Gränzgebiet von Kunst und
Handwerk einmal einfach wahr zu sein und der Natur
sich anmschließen. Jedes Material hat seine Vorzüge,
bat seinen Charakter; man zeige diesen, statt ihn zu ver-
hüllen; man muthc dem Thon nicht zu, was ihm nicht
gemäß ist, oder färbe ihn nicht wie Metall, oder suche
nicht aus Thon und Holz zu bilden, was seiner Form
und nothwendigen Stärke nach in Erz gegossen sein will.
So mnthct die Nympbcnburger Porzellanfabrik dem
Material zu viel zu — hier sehen wir sogleich den
Schaden, welchen die Trennung von Kunst und Hand-
werk mit sich bringt, worauf um so entschiedener hin-
gewiesen werden muß, je anmuthreicher und stylvoller
viele ihrer Zicrgefäße sind. Sodann lerne man von der
Natur, den Zweck und Sinn einer Sache auch durch ihre
Form auszudrücken. Denn die Sprache der Natur ist
die allgemein gültige und verständliche, und ohne die
Griechen blindlings wiederholen zu wollen, was, wie
alle äußerliche Nachahmung, zu nüchterner Kälte führen
würde, können wir gerade an ihnen ein Muster nehmen,
wie sie die Werke ihrer Hand so zu gestalten wußten,
als ob sic Naturprodukte wären, indem sie zugleich durch
 
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