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Glaser, Curt; Cohn, William [Hrsg.]
Die Kunst des Ostens (Band 11): Ostasiatische Plastik — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.53084#0074
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DIE KUNST DER FUJIWARA-ZEIT IN JAPAN

kann, so setzt in China selbst das tiefe Nichts ein mit den Wirren, in die das
Reich nach dem Ende derT’angdynastie versank. Weiß man doch um so weniger
noch von dem China des 10. Jahrhunderts, als nun auch der Spiegel japanischer
Kunst, der schon in der Jöganzeit ein nur mehr unsicheres Bild zurückwarf,
seiner reflektierenden Kraft verlustig geht, da das Inselreich endlich sich kulturell
von dem chinesischen Mutterboden zu emanzipieren begann.
Auch in Japan hatten sich mittlerweile große politische und kulturelle
Umwälzungen vollzogen. Schon im Jahre 794 war die Hauptstadt von Nara
nach Heian, dem späteren Kyöto, verlegt worden. Allzu offen hatten die Äbte
der großen Klöster von Nara, deren Mönche zu streitbaren Kriegern geworden
waren, ihre Machtgelüste bekundet, so daß der Hof ihrer gefahrdrohenden
Nähe zu entweichen sich genötigt fand. Mit dem Ende des 9. Jahrhunderts
war nun die politische Gewalt an die Familie der Fujiwara übergegangen, die
als Hausmeier und in Wahrheit als Reichsverweser die Zügel der Regierung
in ihren Händen hielten. Es entfaltete sich unter der Herrschaft dieses Ge-
schlechtes in der neuen Hauptstadt zum ersten Male eine kulturelle Blüte des
Landes, die den Namen einer national-japanischen Kultur beanspruchen darf,
da die Brücken zu dem politisch zerklüfteten China der Nach-T’angzeit nahezu
gänzlich abgebrochen waren.
Die regelmäßigen Gesandtschaften Japans an den kaiserlichen Hof in
Ch’ang-an nahmen mit dem 9. Jahrhundert ihr Ende. Eines der ersten ge-
schichtlichen Daten der Fujiwarazeit ist die Weigerung des Michizane, eines
der berühmtesten Staatsmänner des alten Japan, dem Befehle des Kaisers Uda
folgend die Reise nach China anzutreten. Wohl waren auch hinfort nicht alle
Verbindungen mit dem Festlande gelöst, da buddhistische Priester nicht auf-
hörten, zu den Quellen der Lehre in den Klöstern Chinas zu pilgern, aber
nicht mehr wie ehedem galt künstlerischem Schaffen allein maßgebend das
große Vorbild des alten Mutterlandes japanischer Kultur. Dreihundert Jahre
stetiger Schulung und konsequenter Aneignung hatten die japanische Kunst
reif gemacht zu einer selbständigen Entwicklung, die am deutlichsten kenntlich
wird in der Blüte einer aufs äußerste verfeinerten Dichtung, deren Haupt-
träger in der Fujiwarazeit Frauen gewesen sind.
Auch die religiöse Entwicklung trägt die unverkennbaren Zeichen einer
nationalen Weiterbildung der ursprünglich fremden Elemente. Die esoterischen
Geheimlehren der mystischen Sekten wandeln sich in allgemein menschlich
 
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