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Glaser, Curt; Cohn, William [Hrsg.]
Die Kunst des Ostens (Band 11): Ostasiatische Plastik — Berlin: Bruno Cassirer Verlag, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.53084#0059
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DIE KUNST DER TEMPYO-ZEIT IN JAPAN 51
Erscheinen die Gesichtszüge des Amida (87) mit der in einfacher Bogen-
linie gezeichneten Unterlippe ebenso vergleichsweise altertümlich neben der
reifen Pracht der Yakushi-Trinität wie die unbewegte Haltung der Begleit-
figürchen und die breitflächige Anlage ihrer Gewänder, so sind offenbar schon
hier, gleichwie im Aufbau der großen Statue der Shö-Kwannon, Elemente
archaisierender Rückwendung amWerke, während zur gleichen Zeit das zierliche
Beiwerk der Lotusblüten, die, auf ihren Kelchen Genien tragend, aus dem
bronzegetriebenen Teiche aufsprießen (88), den Schrein in die vordere Reihe
der köstlichen Reliquien reif entwickelter T’angkunst einrücken läßt. In diesen
von anmutigem Linienspiel hochflatternder Bänder umzogenen Gestalten erfüllt
sich das Ideal von Zartheit und Eleganz, das die erste Höhe der klassischen
Kunst des Ostens kennzeichnet. Schon die gewölbten Decken der Felsenhöhlen
von Yün-kang waren von fliegenden Himmelswesen bevölkert, wie sie ähnlich
die hohen Baldachine der Votivsteine der T’angzeit umschweben (73—74),
aber niemals zuvor und niemals auch in späterer Zeit hat östliche Kunst diese
Märchenwesen so taufrisch liebreizend gestaltet wie in dem Lotuswalde des
Tachibanaschreines, der doch eine Ahnung aufsteigen läßt, wessen die höchste
Kunst der T’angzeit fähig gewesen, von deren Wundern die alten Quellen sich
nicht genug tun können, andachtvoll staunend zu berichten.

DIE KUNST DER TEMPYO-ZEIT IN JAPAN
Die Japaner schätzen das 8. Jahrhundert, das mit der Tempyö- oder Nara-
periode ihrer Zeitrechnung annähernd zusammenfällt, ebenso als einen
Höhepunkt künstlerischer Kultur, wie die Chinesen die erste Hälfte der T’ang-
zeit, die etwa das 7. und den Beginn des 8. Jahrhunderts umfaßt. Niemals
zuvor war Japan so ganz dem Vorbilde Chinas ergeben, an dessen hoher kultu-
reller Blüte es nun unmittelbar, nicht mehr auf dem Umwege über die kore-
anischen Ableitungen chinesischer Schöpfungen, teilzunehmen begann. Nach
dem Vorbilde von Ch’ang-an errichtete die Kaiserin Gemmei die erste feste
Hauptstadt des Landes in Nara, als dessen Gründungsdatum das Jahr 710
genannt wird, das zugleich als der Beginn einer perikleischen Blütezeit der
Künste in Japan gilt.
 
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