Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Göbel, Heinrich; Göbel, Heinrich [Hrsg.]
Wandteppiche (II. Teil, Band 1): Die romanischen Länder: Die Wandteppiche und ihre Manufakturen in Frankreich, Italien, Spanien und Portugal — Leipzig, 1928

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16360#0306
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
To urs.

To uraine.

Grenzgebiete

Sammlung, denkt mit gewisser Einschränkung an deö faventi. Die Frage ist im üb-
rigen unwesentlich. Von ungleich größerer Bedeutung dünkt mich die Lösung des
Blumengrundes, der nicht die geringste Ähnlichkeit mit den bislang besprochenen
Folgen unserer Gruppe aufzuweisen hat, der vielmehr das typische Gepräge Tournaiser
Massenproduktion trägt, also mit einerReihe verwandter Behänge mit ziemlicher Gewißheit
Tournai zu überweisen sein dürfte (Christus und Magdalena, der Engel und der junge
Tobias [L. Bernheimer, München], St. Katharina aus der Sammlung Martin le Roy
u. s. w.). Der Teppich erinnert in der Modellierung der Flora an eine Reihe allerdings
wesentlich gröberer Verdüren, in erster Linie an den eigenartigen Sibyllenteppich im
Pariser Musee des Arts Decoratifs, der einstmals zu dem Bestände der Sammlung Emile
Peyre zählte (Abb. 321). Zur Linken der Fontäne steht die Cimmerische Sibylle, in den
Händen ein Füllhorn als Symbol der Saugflasche des Christuskindes; das Schriftband
zu Häupten nimmt Bezug auf das Lebensjahr der Prophetin, in dem die Verkündigung
erfolgte. Ihr zugewandt erscheint rechts die Samische Sibylle, im linken Arme die
Wiege des Heilandes. In dem vorliegenden Falle dürften Drucke in der Art der
„Heures de Simon Vostre ä l'usage du diocese de Chartres" oder „Le Mystere du Viel
Testament11 als Vorbild gedient haben. Den Vordergrund des Teppichs füllen blühende
Blumenbüschel, die gegenüber der Flora des Christusantependiums noch weit schema-
tischer erfaßt sind. Ganz eigenartig stellt sich die Durchführung des Hintergrundes
dar. Auf Hügeln, die Maulwurfshaufen ähneln, sproßt kümmerliches, durch geschwun-
gene Linien angedeutetes Gras, dem hie und da eine Blüte entspringt; Burganlagen in
gröbster Wiedergabe beleben das etwas eintönige Bild. Die beiden Sibyllen erscheinen
in den Gewändern der Zeit um 1510; seltsam mutet der helmartige Kopfputz der sa-
mischen Jungfrau an. Von der Bordüre ist nur die rechte Seite erhalten geblieben,
die in ziemlich langweiliger Weise ein Schnörkelmotiv wiederholt, das einer der zahl-
reichen kalligraphischen Vorlagen des 16. Säkulums entnommen zu sein scheint. Wreder
in Farbengebung noch in Technik ist der Teppich mit den Ateliers der Loire und
Nordfrankreichs in Beziehung zu bringen. Einen gewissen Rückschluß bietet vielleicht
das Schloßinventar von Gaillon — Kardinal de Bourbon ist 1550 Besitzer —; es nennt
neben zahlreichen Tournaiser Folgen Ja tapicerie faict ä fontaine, contenant huit
pieces compris le ciel"; auf Schloß Thouars, der Residenz der Herzöge de La Tremoille,
finden wir am 11. Dezember 1553 „une piece appelee la Sybille11, ferner „deux petites
pieces appelees Sibille ä mectre sur les cheminees ou portes11 u. s. w. Die Dokumente
besagen letzten Endes aber lediglich, daß in den verbündeten und befreundeten Fa-
milien der Bourbon, La Tremoille, Gouffier eine starke Vorliebe für Tournaiser
Folgen, insbesondere für Sibyllenbehänge vorhanden war. Der gehügelte Hintergrund
mit den grob aufgelegten Schloßbauten ist in erster Linie für Tournai charakteristisch.
Die grobe schematische Stilisierung der Flora kehrt wieder in einer Reihe von Holz-
hauer- und Winzerteppichen. Das vorliegende Material führt m. E. lediglich zu dem
Schlüsse, daß der Pariser Sibyllenteppich und die mit ihm zusammengehende Gruppe der
Winzer und Holzhauerteppiche entweder in Tournai oder Oudenaarde selbst oder in einem
von diesen Manufakturen stark beeinflußten ländlichen Wirkerzentrum entstanden sind, das
immerhin im französisch-niederländischen Grenzgebiet gelegen haben kann, für dessen
Aufbau und Organisation zunächst aber jede Unterlage fehlt. Möglicherweise handelt
es sich auch um gelegentliche, rein örtliche Erzeugnisse, die von wandernden Wirkern
in Schlössern und Abteien auf die Gezeuge gelegt wurden. Teile einer bemerkenswerten
Sibyllenfolge eignen der Sammlung Duveen, leider sind mir keine Abbildungen zugänglich,
die eine genauere Beurteilung ermöglichen. Der Beschreibung nach scheint es sich
um Tournaiser Arbeiten aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts zu handeln.

Kehren wir zu den Chorteppichen zurück, die mit der Stephanus- und der Augustinus-
folge in Verbindung zu bringen sind, so kommt u. a. die eigenartige Folge der Eucha-
ristie, einst im Besitze der Abtei zu Ronceray bei Angers, in Betracht. Das achte Bild
nennt die Stifterin „Dame Loyse Le Roux, doyenne et dame de chambre de c6ans".
Verschiedentlich ist ein Wappenschild aufgelegt, dessen einwandfreie Deutung sich

288
 
Annotationen