Die Jungfrau im Grünen.
Von Raffael Santi.
Es gingen nicht viele Leute mehr von der Jnnerstadt nach den Wieden, denn die neunte
Abendstunde war gekommen und das Februarwetter machte sich rauh und unheimlich mit Sturm
und gelegentlichem feinen Regen. Auf dem weiten, zur rechten Seite noch Halbwüsten Platze vor
der Carolskirche zeigten einzelne Laternen die Richtung auf die Hauptstraße der Vorstadt Wieden
an und wie Irrwische erschienen die blechernen Reverberen der Fiacres, welche sich „da draußen"
noch etwas zu schaffen machten.
Keuchend und mit dem von den Wieden herblafenden und auf die Bastei des alten Wiens
gerichteten Sturme kämpfend schritt ein kleiner, in einen blauen Mantel gehüllter Mann auf die
Carolskirche los, deren beide Thurmsäulen von den vor der Kirche angebrachten vier Laternen
unsicher angestrahlt wurden.
„Das ist mir eigentlich gar keine rechte und echte „Wiäner"-Nacht!" meinte der Wanderer,
stehen bleibend und zu den Säulen der Carolskirche aufschauend. „Wär' die Kirche nicht und gäb's
ein paar Büsche anstatt der kleinen Häuser drüben, die wie zermorschte Tandelbuden ausfchauen,
so wär' dies eine ganz leidliche Ossiansnacht und die athemschwachen Laternen auf der Bastei
drüben könnten gar schöne Sterne vorstellen, die vor dem wüsten Wind die Augen zumachen und
außerdem sich immer zurechtfinden im Moor... Horch! Der Wind macht meiner Seel' eine
Sextolenpassage... Aber, Samt Joseph, warum steh ich hier denn noch immer und schwatz'
mir selbst was vor ... Ich hab' doch längst denkt, daß der lauge Schatten da drüben ganz
unmöglich der Waldl, der Mayrhofer, sein könnte... Ich hält' doch nicht sollen das „Rothe
Kreuz" im Grund so starrsinnig verlassen. Die Alle sitzen so glorienhaft da in der Ecke vom
Himmelpfortgründel und machen ohne mich auch eine ganz polirte Schubertiade... Aber es
muthet mich's seltsam an, als hätt's im Fortepiano daheim immer gepocht: „Franzl, i' wart' fcho'
längst, hast ganz drauf vergessen, Wein-Schwammerl?"
Der Mann summte in einer dem Sturme ähnlichen Art und schlug sich nach dem Hause
zunächst der Kirche, wo er mit der Sicherheit eines Menschen, der hier zu Hause war, seine Stiege
wählte und aufwärts giug.
Nach einer Reise in das obere Stockwerk kam er auf einen erleuchteten Corridor.
„Die Olea ist doch ein merkwürdig gutes Geschöpf", sagte der Ankommende. „Da hat sie
meinen Tritt erkannt und setzt mir das Talglicht hin."
Von Raffael Santi.
Es gingen nicht viele Leute mehr von der Jnnerstadt nach den Wieden, denn die neunte
Abendstunde war gekommen und das Februarwetter machte sich rauh und unheimlich mit Sturm
und gelegentlichem feinen Regen. Auf dem weiten, zur rechten Seite noch Halbwüsten Platze vor
der Carolskirche zeigten einzelne Laternen die Richtung auf die Hauptstraße der Vorstadt Wieden
an und wie Irrwische erschienen die blechernen Reverberen der Fiacres, welche sich „da draußen"
noch etwas zu schaffen machten.
Keuchend und mit dem von den Wieden herblafenden und auf die Bastei des alten Wiens
gerichteten Sturme kämpfend schritt ein kleiner, in einen blauen Mantel gehüllter Mann auf die
Carolskirche los, deren beide Thurmsäulen von den vor der Kirche angebrachten vier Laternen
unsicher angestrahlt wurden.
„Das ist mir eigentlich gar keine rechte und echte „Wiäner"-Nacht!" meinte der Wanderer,
stehen bleibend und zu den Säulen der Carolskirche aufschauend. „Wär' die Kirche nicht und gäb's
ein paar Büsche anstatt der kleinen Häuser drüben, die wie zermorschte Tandelbuden ausfchauen,
so wär' dies eine ganz leidliche Ossiansnacht und die athemschwachen Laternen auf der Bastei
drüben könnten gar schöne Sterne vorstellen, die vor dem wüsten Wind die Augen zumachen und
außerdem sich immer zurechtfinden im Moor... Horch! Der Wind macht meiner Seel' eine
Sextolenpassage... Aber, Samt Joseph, warum steh ich hier denn noch immer und schwatz'
mir selbst was vor ... Ich hab' doch längst denkt, daß der lauge Schatten da drüben ganz
unmöglich der Waldl, der Mayrhofer, sein könnte... Ich hält' doch nicht sollen das „Rothe
Kreuz" im Grund so starrsinnig verlassen. Die Alle sitzen so glorienhaft da in der Ecke vom
Himmelpfortgründel und machen ohne mich auch eine ganz polirte Schubertiade... Aber es
muthet mich's seltsam an, als hätt's im Fortepiano daheim immer gepocht: „Franzl, i' wart' fcho'
längst, hast ganz drauf vergessen, Wein-Schwammerl?"
Der Mann summte in einer dem Sturme ähnlichen Art und schlug sich nach dem Hause
zunächst der Kirche, wo er mit der Sicherheit eines Menschen, der hier zu Hause war, seine Stiege
wählte und aufwärts giug.
Nach einer Reise in das obere Stockwerk kam er auf einen erleuchteten Corridor.
„Die Olea ist doch ein merkwürdig gutes Geschöpf", sagte der Ankommende. „Da hat sie
meinen Tritt erkannt und setzt mir das Talglicht hin."