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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0019
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Die Rechtsverhandlung.
Von Christoph Paudiß.
Es war im Sommer 1648 noch in den frühen Morgenstunden, da tönte schon die silberne
Schelle des hochwürdigsten Herrn und Gebieters durch deu prächtigen bischöflichen Palast zu
Freising. Dies war das Zeichen, daß der Bischof seinen schönsten Pagen, Stellio Viccanelli, einen
armen lombardischen Edelknaben, erwartete, welcher ihm vorlesen und seine Befehle an die übrige
Dienerschaft abgeben mußte.
Stellio, im braunen Sammetwamms mit weißen Seidenpuffen, deu zierlich gefalteten flandri-
schen Spitzenkragen um den blüthenweißen Hals, flog durch die langen, getäfelten Gänge in das
Zimmer, welches die Zelle des Bischofs hieß. Dies war jedenfalls ein sehr bescheidener Name.
Das Cabinet des Hochwürdigsten war wahrhaft prächtig. Die Wände waren von Meisterwerken
der Malerei decorirt; ausländische Pflanzen strömten ihren Duft aus üud zwischeu deu Blättern
und Blüthen standen auf vergoldeten Sockeln von schwarzem Marmor Büsten und Miniaturstatuen
berühmter Männer oder Copien von werthvollen antiken Sculpturen. Das Einzige, was auf die
geistliche Würde des Gebieters hindeutete, war ein Bild, welches den Heiland zeigte, wie er die
Wechsler und Krämer ans dem Tempel trieb. Dies Gemälde, gegenwärtig die Zierde des Altars
im Freisinger Dome, war von Christoph Paudiß, dem Hofmaler des Bischofs. Vor diesem Bilde
brannten zwei kurze, aber armdicke Kerzen und zwischen beiden stand ein sehr kleines, massivgolde-
nes Crucifix von spanischer Arbeit.
Clamor Chrysostomus Bernwardus, der Gebieter selbst, saß in einem großen, schwerverzierten
Lehnstuhle, an dessen hoher Lehne oben über dem Haupte des Würdenträgers das bischöfliche Wappen,
farbig gestickt, prangte.
Der Bischof war eine imponirende Gestalt; er mochte sechsundvierzig Jahre alt sein, war
breitschulterig, wohlgebaut uud Hatte selbst jetzt im Sitzen eine ritterliche Haltung. Seine Hände
waren vorzüglich schön und mit Ringen von St. Peter geschmückt. Der Ausdruck seiues Gesichts
von feiner, weißer Farbe war vornehm, fast stolz; jetzt, da er sein Käpplein tief in die Stirn ge-
schoben, die dunklen Brauen gerunzelt und den Blick fest auf den Boden gerichtet Hatte, finster
und unzugänglich. Die Miene, womit er von Zeit zu Zeit seine delicate Hand auf sein seidenes
Ordenskleid und gerade dahin legte, wo unter dem weißen Kreuze sein Herz schlug, bezeugte, ein
inneres Weh habe sich seiner bemächtigt.
Stellio trat mit einer tiefen Verbeugung ein.

Deutschlands Kunirichätze ti.

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