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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0176
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Die Spitzenklöpplerin.
Bon P. van Slingelandt.
Einen wonniger» Ostertag als denjenigen im Jahre 1662 hatte die gute Stadt Lehden seit
Menschengedenken nicht gesehen. Voller Frühling regierte hoch oben über den Spitzgiebeln der
stattlichen Bürgerhäuser und senkte sich hinab in die Straßen und auf die Grachten und drang ein
in die wie im Hochsommer allenthalben geöffneten Fenster. In den schmalen Blumengärten vor
den Häusern blühten Tulpen, Hhacinthen, Marienglöckchen und Maiblümchen um die Wette, und
hier und da gewahrte man schlanke, hohe Baumstämmchen mit vollen prächtigen Kronen von Früh-
rosen. Die Andächtigen befanden sich in den Kirchen: aber dennoch wogten Spaziergänger — an
anderen Sonntagen selten sichtbar — durch die Hauptstraßen, des herrlichen Sonnenscheins sich
erfreuend.
Die langgedehnten Töne der Betglocken ließen sich vernehmen, ein Zeichen, daß die Zeit des
Gottesdienstes zu Ende gehe. In langen Zügen schlenderten die Studenten mit ihren Federbarreten,
buntfarbigen Mänteln und Raufdegen nach der Universitäts- und Hauptkirche, um sich auf dem
breiten, gepflasterten Wege des Kirchhofes aufzustellen und die Schaar der schönen jungen Damen
zu mustern, welche heute in neuen Kleidern in der Kirche paradirten. Kaum weniger unternehmend
als die Studenten erschienen die Gehülfen der Kaufmannschaft, in ehrsamen, dunklen Costümen,
aber auch wohl mit Rappieren ausgerüstet. Gleich den Studenten hatten auch die Kaufleute schöne
Blumensträuße in der Hand, oder an das Hutband gesteckt.
In einzelnen kleinen Gruppen kamen die Malerschüler daher geschritten — ein sinnig heiteres
Völkchen, nicht so laut und lärmend wie die Studenten und eleganter in ihren schimmernden
Costümen. Die Glasmaler stellten sich neben die Kausmannsaltburschen und ihnen schlossen sich
die Tafelmaler an.
Die Knaben und Mädchen vom Hochchor, von ihren Lehrern gefolgt, stürmten bereits aus
der Kirche und suchten Blumensträuße von den draußen Harrenden zu erhaschen, was in den selten-
sten Fällen gelang. Eine kleine Gruppe von Tafelmalern erschien erst jetzt und nahm an den
beiden großen Steinpfeilern der Kirchhofspforte Stellung. Es waren Schüler vom Meister Gerard
Dow, ebenso vornehm in ihrem Aufzuge, wie der berühmte Schilderer selbst.
Der älteste der Maler war Frans van Mieris, welcher schon achtundzwanzig Jahre zählte;
aber jünger aussah mit seiner zierlichen, beweglichen Figur, seinem frohen Lächeln und mit seiner
ungeheuren, dunkelbraunen Lockenfrisur. Er war ganz in Sammet gekleidet, braun mit weißseidenen
 
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