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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0327
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Caspar Netscher.
Der jüngste der drei vornehmen holländischen Genremaler, Caspar Netscher, der Sohn des
Bildhauers und Baumeisters Johann Netscher aus Stuttgart, wurde im Jahre 1639 zu Heidel-
berg geboren. Mit genauer Noth entging er, kaum zwei Jahre alt, nach dem Ableben seines Vaters
dem Hungertode, dem zwei seiner Brüder erliegen mußten, während öiner Belagerung, und kam mit
seiner geflüchteten Mutter und seinen Schwestern nach Arnheim. Ein reicher Arzt Namens Tulle-
kens adoptirte ihn, ließ ihm eine sorgfältige Erziehung zu Theil werden und wollte ihn für seinen
eigenen Stand ausbilden. Doch die Neigung zur Kunst überwog die Kraft der wohlgemeinten
Wünsche, und so wurde er zu dem Stilllebenmaler Koster in die Lehre gegeben. Unter seiner
Leitung eignete er sich jene erstaunliche Fertigkeit in der Darstellung glänzender Stoffe und Geräthe
an, die in seinen Bildern einen der Hauptanziehungspunkte bildet. Er trat dann in das Atelier
Terburg's über, und vervollkommnete sich bei diesem in den übrigen Theilen der Genrekunst.
Nach kaum vollendetem zwanzigsten Jahre beschloß er, zu seiner weiteren Ausbildung, das Bei-
spiel seines Lehrers zu befolgen: die Weite Welt zu sehen. Sein Ziel war Rom, das er zur See am
schnellsten und bequemsten zu erreichen hoffte. Mit seinem Schiffe nahm er im Vorbeigehen einen
kurzen Aufenthalt in Bordeaux — und verliebte sich. Noch im Jahre 1659 heiratete er und ließ
sich nun häuslich in Bordeaux nieder. Er würde wohl Zeit seines Lebens daselbst geblieben sein,
wenn ihn nicht die Verfolgungen der Huguenotten aus seiner Ruhe aufgestört hätten. So ging er
1669 nach Holland zurück und wählte den Haag zu seinem Wohnsitz. Hier arbeitete er mit Emsigkeit
und ohne sich zu weiteren Ausflügen verleiten zu lassen — er schlug sogar die glänzenden Anerbie-
tungen Karl's II. von England aus — bis an seinen Tod, der am 15. Januar 1684 erfolgte.
Netscher steht dem Terburg und dem Metsu in den höchsten künstlerischen Qualitäten, der
Feinheit der Haltung und der Farbenharmonie, der Reinheit der Zeichnung und der freien Leichtigkeit
des Vortrages nach. Er übertrifft sie aber Beide an Schönheitssinn. Besonders war er als eleganter
Bildnißmaler der vornehmen Welt — gleich dem Terburg — ausgezeichnet und beliebt. — Bei
seinen einfach und höchst geschmackvoll componirten Genrebildern zeigt er eine erstaunliche Vorliebe
sür musikalische Gesellschaften, denen er alle Liebenswürdigkeit und allen Zauber eines feinfühligen
Genusses und einer gehobenen Stimmung in reizenden, hocharistokratischen Formen des Umgangs-
tones abzugewinnen weiß. Das Hauptbild dieser Gattung, wie nach Größe, Reichthum und Schön-
heit der Composition sein Hauptbild überhaupt, besitzt die an Werken seiner Hand reichste Galerie
der Welt, die zu Dresden: Eine entzückend liebliche Dame in weißem Atlas begleitet am Clavier
stehend den Gesang eines Herrn. Das herrliche Bild ist von 1668 datirt, entstammt also seiner
besten Zeit, die etwa von 1664 bis 1668 fällt. Später wurde seine Färbung kühler und verlor
allmählich die schöne Haltung, so daß sich der Eindruck der Buntheit herausstellte. Das zeigt z. B.
Vertumnus und Pomona, im berliner Museum, ein Bild, das zugleich als Beispiel seiner — nicht
eben sonderlich glücklichen — Behandlung historischer Gegenstände gelten mag.
Das Vorbild des Metsu ließ ihn sich auch in Scenen und Figuren aus dem Volke versuchen.
Ein interessantes Bild ist das liebende Schäferpaar in der münchener Pinakothek. Es repräsentirt
vielleicht die früheste Vorahnung (von 1681 datirt) der verkünstelten und gepuderten Natur, die im
Rococo in Kunst und Leben herrschend wurde. L. U.

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