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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Oth.]; Meyer, Bruno [Oth.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0246
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18

Künstler-Biographien.

Firniß. Dem Papst mißfiel das, und er that die Aeußerung: „Der wird nie etwas zu Stande bringen,
da er noch vor dem Anfänge des Werkes schon an das Ende desselben denkt." Lionardo fühlte sich
durch diese Bemerkung um so mehr gekränkt, als er sich die Berechtigung derselben zugestehen mußte.
Hatte ihn doch sein zugleich unstätes und peinliches Wesen schon oft um den erhofften Erfolg seiner
Bemühungen betrogen. Dies, im Verein mit manchen anderen Umständen, zu denen wohl auch das
glänzende Auftreten des Michelangelo am römischen Hofe gehören mochte, veranlaßte ihn, Rom zu
verlassen; ohne daß hieraus etwa auf eine Feindseligkeit der beiden großen Männer oder Versuche
derselben einander zu verdrängen geschlossen werden dürfte. Lionardo fühlte sich, was er war, alt,
und räumte dem gigantischen Vertreter der jüngeren Generation, vielleicht nicht ohne Schmerz, aber
ohne Bitterkeit und ohne Niederlage das Feld; er ging nach Mailand zurück.
Hier war durch die Schlacht von Marignano (am 13. und 14. September 1515) der junge
kunst- und prachtliebende Franz I. von Frankreich wieder Herr geworden. Dieser nahm natürlich
sofort Lionardo in seinen Dienst. Während des Aufenthaltes in Pavia machte der Meister seinem
neuen Gebieter in sehr kunstreicher und sinniger Weise sein Compliment, indem er zu einem Feste
einen Löwen bildete, der, nachdem er durch den Saal geschritten und vor dem Könige angelangt war,
die Brust össnete und die Lilien, das Wappenzeichen Frankreichs, sehen ließ. Schon im Januar 1516
ging Lionardo mit dem Könige Franz nach Frankreich und nahm als dessen Maler mit einem Jahr-
gehalt von 700 Scudi in Amboise seinen gewöhnlichen Wohnsitz.
Die Hoffnung des Königs auf eine reiche künstlerische Thätigkeit Lionardo's wurde indessen
getäuscht. Er scheint in seinen letzten Lebensjahren so gut wie nichts mehr fertig gebrachtzu Haben.
Das Einzige, was zuverlässig erwähnt wird, ist eine Leda; doch machen nicht nur so viele Bilder,
sondern sogar so viele ganz verschiedene Compositionen Anspruch, diese Leda des Lionardo zu
sein, daß eine Entscheidung schwer wird; das Wahrscheinlichste ist, daß das Qriginalwerk nicht
mehr vorhanden, und daß diejenigen Bilder als Copien desselben anzusehen sind, in denen die Leda
aufrecht steht und mit beiden Händen den Hals des sehr groß gebildeten Schwanes umfaßt. —
Lionardo's ganze Persönlichkeit hatte etwas Gebietendes, Ehrfurcht Erweckendes, sein Auftreten
etwas Sicheres und Würdevolles. Wie in der Kunst, so war im Leben der Umgang mit der Schön-
heit ihm Bedürfniß. Er liebte es, eine gewisse Pracht um sich zu verbreiten; wenn er ausging,
war er von einem mehr oder weniger zahlreichen Gefolge begleitet, dessen Hauptzierde einige seiner
Schüler bildeten. Denn diese, aus vornehmen und reichen Geschlechtern entsprossen und zum Theil
der Kunst nur aus Neigung, nicht als ihrem Lebensberuf zugethan, waren als Hervorragende
Schönheiten unter den Zeitgenossen berühmt, und ihre noch vorhandenen Bildnisse beweisen, daß
sie ein Anrecht auf diesen Ruhm Hatten. Am meisten durch seine Zuneigung ausgezeichnet waren
jene Zwei, die als seine Begleiter nach Rom genannt worden.
Von dem Schöpfer eines hinreißenden weiblichen Jdealthpus, dem Meister des entzückendsten
Frauenbildniffes, ist keine Spur von einer ihn ties ergreifenden Leidenschaft oder auch nur von einem
gepflegten, wenn schon kühleren und mehr äußerlichen Verhältnisse zu einem weiblichen Wesen be-
kannt geworden. In seinen Lebensgewohnheiten war er originell, nicht selten capriciös. Der un-
gesättigte Forschertrieb und der rastlose Erfindergeist, welche sich in Grübeleien und Epverimenten
über alle möglichen schwierigen und wichtigen Probleme ergingen, gaben ihm eine Neigung zum Ge-
heimnißvollen, die, auf seine unerhörte Geschicklichkeit der Hand gestützt, z. B. auch in seiner Art,
 
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