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Görling, Adolph; Woltmann, Alfred [Bearb.]; Meyer, Bruno [Bearb.]
Deutschlands Kunstschätze: eine Sammlung der hervorragendsten Bilder der Berliner, Dresdner, Münchner, Wiener, Casseler und Braunschweiger Galerien : eine Reihe von Porträts der bedeutendsten Meister (Band 2) — Leipzig: Verlag von A.H. Payne, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.62335#0242
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14 Knilßler-Aiographien.
Gleichzeitig mit dem Abendmahl führte Lionardo in Leimfarben eine Himmelfahrt Mariä,
mit dem Herzog und der Herzogin als Donatoren und mit dem heiligen Dominicus und Petrus
Marthr, aus. Dies große, halbkreisförmige Bild, ehemals über der Thür der Kirche S. Maria
delle Grazie, ist seit 1726 auf räthselhafte und verdächtige Weise verschwunden.
Bald nach Beendigung des Abendmahls (1498) gerieth Lionardo mit seinem Herren in
Geldverlegenheiten, worüber er sich bitter beklagte. Sforza schenkte ihm durch eine Urkunde vom
26. April 1499 zur Deckung seiner Schuld einen kleinen vor dem Thore von Vercelli gelegenen
Weingarten. Die Herrschaft dieses Gönners ging aber gleichzeitig zu Ende, und Lionardo zog sich
wieder nach seiner Heimat zurück.
Ju Florenz angekommen äußerte er den Wunsch, das Bild für den Hochaltar der Ser-
vitenkirche zu malen, das bereits bei Filippino Lippi bestellt war. Dieser liebenswürdige und
bescheidene Künstler trat zurück; Lionardo aber zögerte, auch uur den Carton anzufangen. Endlich
wurde er fertig, und ganz Florenz wanderte zwei Tage mit allgemeinem Entzücken zu der Werkstatt.
Maria hält auf dem Schooße das Kind, welches sich zu dem kleinen Johannes am Boden wendet.
Neben der Maria sitzt die H Anna und weist, die H. Jungfrau begeistert anblickend, mit einem
Finger gen Himmel, um den überirdischen Ursprung des Kindes anzudeuten. Die Köpfe haben den
ausgesprochen Lionardesken Typus, das längliche Oval mit dem spitzen Kinn, die großen, Hellen
und milden Augen mit dem unaussprechlichen Liebreiz, die schmale, gerade Nase und den lieblichen,
in der Ruhe selbst wie von einem holdseligen Lächeln umspielten Mund. — Den sehr ausgeführten,
gleichwohl in einigen Partien noch unvollendeten Carton besitzt die Londoner Kunstakademie.
Ueber den Carton aber ist Lionardo nicht hinausgekommen. Ein großartiger Plan, den Arno
durch einen Canal zwischen Florenz und Pisa schiffbar zu machen, beschäftigte seinen Geist voll-
ständig. Die Ausführung dieser Idee blieb späteren Jahrhunderten Vorbehalten; während ein
anderer noch kühnerer Gedanke, die Kirche S. Giovanni, so wie sie stand, aus dem aufgehöhten
Straßeupflaster emporzuheben und auf eiuen Stufenunterbau zu stellen, lediglich als eine Unmög-
lichkeit angestaunt wurde. — 1502 aber bemächtigte sich seiner der furchtbare Cesare Borgia, der
auf dem Zuge war, sich eine Herrschaft zusammen zu eroberu und Lionardo zu seinem Architekten
und Generalingenieur eruaunte. Die beiden über das gemeine menschliche Maß gesteigerten Naturen
mochten sich auziehen; die unleugbar vorhandenen großen Eigenschaften in dem verbrecherischen
Sohne des ruchlosen Papstes Alexander VI. berührten sich mit dem Außerordentlichen in des
Meisters Wesen, und so diente Lionardo dem gewaltthätigen Manne. Er bereiste einen großen
Theil von Italien in Borgia's Auftrag und Interesse.
Gleich nach seiner Rückkunft 1503 ertheilte ihm die Florentiner Regierung den ehrenvollen
Auftrag, in dem Versammlungssaal des großen Rathes (im Palazzo vecchio) eine Wand mit einer
umfangreichen Malerei zu schmücken, die eine ruhmvolle Begebenheit aus der Florentinischen Ge-
schichte darstellen sollte. Er wählte den Sieg der Florentiner über die Truppen des Mailändischen
Feldherrn Niccolo Piccinino bei Anghiari am 25. Juni 1440. Bis 1505 vollendete er den Carton
in dem Papstsaale des Klosters S. Maria novella, der ihm zur Werkstatt eingeräumt war, und be-
zog während dieser Zeit ein beträchtliches Gehalt (fünfzehn Goldgulden monatlich).
Bei Erhebung einer solchen Rate ereignete sich nach Vasari ein Zwischenfall, der zeigt, wie
Lionardo am rechten Orte sich seines großen Werthes voll bewußt war uud darauf hielt, ihm An-
 
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