36 Künstler-Biographien.
nacci im Atelier des Domenico Ghirlandajo Freundschaft und wollte mit aller Gewalt auch
Künstler werden. Aber die Familie war dagegen. Die Malerei erschien damaliger Vorstellung noch
(man denke, gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, selbst in Florenz!) als ein wenig angesehe-
nes Handwerk, unwürdig des Sprossen einer vornehmen Familie. Es gab Ermahnungen, Vorstellun-
gen, Schläge. Aber der vierzehnjährige Knabe setzte seinen Willen durch. Am 1. April 1489 trat
er in das Atelier Domenico's, damals des besten Meisters in Florenz, zu einer dreijährigen Lehr-
zeit ein.
Hier hatte er allsogleich Gelegenheit, ein großes Werk entstehen zu sehen, die neue Ausmalung
des Chores in S. Maria Novella, an der Ghirlandajo seit 1485 arbeitete. Aber er wuchs dem
Meister sehr bald über den Kopf, so daß er diesem unheimlich und ein Gegenstand des Neides
wurde. Als einst ein Mitschüler nach Zeichnungen Domenico's weibliche Gewandfiguren zeichnete,
corrigirte er die Vorlage mit derben, sicheren Federstrichen. Ein ander Mal fand Domenico zu
seiner Arbeit zurückkehrend ein Blatt, auf dem Michelangelo das Gerüst mit den darauf thätigen
Gehülfen so richtig abgezeichnet hatte, daß die schwierige Perspective des complicirten Gegenstandes
nichts zu wünschen übrig ließ, und Domenico verwundert ausrief: „Der versteht mehr als ich!"
Aber „Der" beschränkte sich eben auch keineswegs auf die Lehre des Meisters, sondern ging
bei Anderen zu Gaste und studirte nach der Natur. So kam ihm jener großartig phantastische und
gewaltig componirte Kupferstich Martin Schongauer's, die Versuchung des H. Antonius, unter
die Hände, er copirte das Werk des deutschen Meisters in größerem Maßstabe und malte es aus;
um aber die Farben der schuppigen Ungeheuer, die den armen Heiligen umgaukeln, recht natürlich
machen zu können, lief er auf den Markt und betrachtete aufmerksam Schuppen und Flossen der
Fische. Sein Erstlingswerk erregte Bewunderung.— So, lange vor Ablauf der drei Lehrjahre dem
Meister völlig entwachsen, löste er das Verhältniß, sobald sich eine passende Gelegenheit darbot. Sie
fand sich in der günstigsten Weise, und Domenico selbst ergriff sie mit Begierde, um den dämonischen
Jünger los zu werden.
Lorenzo de' Medici, der an der Spitze des Florentinischen Freistaates stand, Hatte aller-
hand Kunstwerke, darunter viele antike Sculpturen in seinem Palast und Garten bei S. Marco
gesammelt und wollte hier junge Talente unter Leitung Bertoldo's, eines Schülers Dona-
tello's, zur Bildhauerkunst heranbilden lassen. Granacci und Michelangelo wurden ihm empfohlen.
Kaum hatte sich Michelangelo in dem neuen Gebiete orientirt, als er auch schon den Meißel nach
Anweisung der im Garren beschäftigten Steinmetzen mit unerhörter Kühnheit handhabte. Er ver-
schaffte sich ein Stück Marmor und fing an, aus freier Hand eine antike Faunmaske nachzubilden;
doch nicht strenge: er öffnete den Mund zu grinsendem Lächeln und ließ beide Zahnreihen sehen.
Lorenzo wurde der Arbeit ansichtig und bemerkte scherzend, in dem Alter, das Michelangelo dem
Faun gegeben, habe man doch nicht mehr alle Zähne vollständig. Ohne zu zaudern, setzte der Rast-
lose sich wieder hin und meißelte seinem Faun eine so geschickte Zahnlücke, daß kein Meister es
besser gekonnt Hätte Damit war sein Glück gemacht. Lorenzo kam wieder, sah und staunte. Er
ließ den Vater rufen, drang demselben, dem er hart anging, daß sein Sohn nun gar noch Steinmetz
werden sollte, durch die zuvorkommendste Güte und freigebige Huld für ihn und seine ganze Fa-
milie sein Einverständniß ab, und sorgte von nun an für seinen Schützling.
Michelangelo bekam ein Zimmer im Palast, Lorenzo gab ihm neue Kleider und ein Taschengeld
nacci im Atelier des Domenico Ghirlandajo Freundschaft und wollte mit aller Gewalt auch
Künstler werden. Aber die Familie war dagegen. Die Malerei erschien damaliger Vorstellung noch
(man denke, gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, selbst in Florenz!) als ein wenig angesehe-
nes Handwerk, unwürdig des Sprossen einer vornehmen Familie. Es gab Ermahnungen, Vorstellun-
gen, Schläge. Aber der vierzehnjährige Knabe setzte seinen Willen durch. Am 1. April 1489 trat
er in das Atelier Domenico's, damals des besten Meisters in Florenz, zu einer dreijährigen Lehr-
zeit ein.
Hier hatte er allsogleich Gelegenheit, ein großes Werk entstehen zu sehen, die neue Ausmalung
des Chores in S. Maria Novella, an der Ghirlandajo seit 1485 arbeitete. Aber er wuchs dem
Meister sehr bald über den Kopf, so daß er diesem unheimlich und ein Gegenstand des Neides
wurde. Als einst ein Mitschüler nach Zeichnungen Domenico's weibliche Gewandfiguren zeichnete,
corrigirte er die Vorlage mit derben, sicheren Federstrichen. Ein ander Mal fand Domenico zu
seiner Arbeit zurückkehrend ein Blatt, auf dem Michelangelo das Gerüst mit den darauf thätigen
Gehülfen so richtig abgezeichnet hatte, daß die schwierige Perspective des complicirten Gegenstandes
nichts zu wünschen übrig ließ, und Domenico verwundert ausrief: „Der versteht mehr als ich!"
Aber „Der" beschränkte sich eben auch keineswegs auf die Lehre des Meisters, sondern ging
bei Anderen zu Gaste und studirte nach der Natur. So kam ihm jener großartig phantastische und
gewaltig componirte Kupferstich Martin Schongauer's, die Versuchung des H. Antonius, unter
die Hände, er copirte das Werk des deutschen Meisters in größerem Maßstabe und malte es aus;
um aber die Farben der schuppigen Ungeheuer, die den armen Heiligen umgaukeln, recht natürlich
machen zu können, lief er auf den Markt und betrachtete aufmerksam Schuppen und Flossen der
Fische. Sein Erstlingswerk erregte Bewunderung.— So, lange vor Ablauf der drei Lehrjahre dem
Meister völlig entwachsen, löste er das Verhältniß, sobald sich eine passende Gelegenheit darbot. Sie
fand sich in der günstigsten Weise, und Domenico selbst ergriff sie mit Begierde, um den dämonischen
Jünger los zu werden.
Lorenzo de' Medici, der an der Spitze des Florentinischen Freistaates stand, Hatte aller-
hand Kunstwerke, darunter viele antike Sculpturen in seinem Palast und Garten bei S. Marco
gesammelt und wollte hier junge Talente unter Leitung Bertoldo's, eines Schülers Dona-
tello's, zur Bildhauerkunst heranbilden lassen. Granacci und Michelangelo wurden ihm empfohlen.
Kaum hatte sich Michelangelo in dem neuen Gebiete orientirt, als er auch schon den Meißel nach
Anweisung der im Garren beschäftigten Steinmetzen mit unerhörter Kühnheit handhabte. Er ver-
schaffte sich ein Stück Marmor und fing an, aus freier Hand eine antike Faunmaske nachzubilden;
doch nicht strenge: er öffnete den Mund zu grinsendem Lächeln und ließ beide Zahnreihen sehen.
Lorenzo wurde der Arbeit ansichtig und bemerkte scherzend, in dem Alter, das Michelangelo dem
Faun gegeben, habe man doch nicht mehr alle Zähne vollständig. Ohne zu zaudern, setzte der Rast-
lose sich wieder hin und meißelte seinem Faun eine so geschickte Zahnlücke, daß kein Meister es
besser gekonnt Hätte Damit war sein Glück gemacht. Lorenzo kam wieder, sah und staunte. Er
ließ den Vater rufen, drang demselben, dem er hart anging, daß sein Sohn nun gar noch Steinmetz
werden sollte, durch die zuvorkommendste Güte und freigebige Huld für ihn und seine ganze Fa-
milie sein Einverständniß ab, und sorgte von nun an für seinen Schützling.
Michelangelo bekam ein Zimmer im Palast, Lorenzo gab ihm neue Kleider und ein Taschengeld