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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0278
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meisten forderte er sie selbst von sich, und er hoffte Allen zu
genügen und mehr noch zu thun als verlangt wurde. Einem
erwartungsvollen Kreise jüngerer Männer ward er entrissen,
die ihn Alles in Allem bewunderten als Einen, der ihnen
über war und von denen Jeder stolz wäre, in seine Spuren
einzutreten. Wer aber wollte sich getrauen, sein Werk fort-
zusetzen? Curtius wurde betrauert, Treitschke's Tod erschreckte.
Curtius hatte seine wichtigsten Gedanken alle wohl längst in
Worte gefaßt, Treitschke noch Viel zu sagen. Der letzte Band
seiner Deutschen Geschichte war gleichsam nur der Schluß
der Einleitung zum eigentlichen Texte, mit dem nun erst be-
gonnen werden sollte. Treitschke war noch erfüllt von den
Geheimnissen des neuesten Lebens. Man ahnte nur im All-
gemeinen den bevorstehenden Gang seiner Erzählung. Er
hatte stets überrascht. Manche fürchteten sich. Sie Wichten,
daß er nichts verschweigen werde; zweifelten auch nicht, daß
er die rechte Form finden werde, hegten aber Besorgnisse.
Treitschke kannte keine fernen Vergangenheiten, in die einzu-
dringen Aufgabe und Genuß war: er wollte, was Goethe zu
vollbringen für unmöglich hielt: „den Tag dem Tage zeigen".
Treitschke würde Viele mit der Ueberzeugung erfüllt haben,
die Dinge lägen so und die Männer ständen so, wie sie in
seiner Phantasie sich spiegelten. Er ging fort, ohne das letzte
Wort gesagt zu haben, das wir nun aus dem Munde eines
Anderen erwarten, der es auszusprechen berufen ist. Das ist
das Wunderbare unserer Zeit: mir warten darauf. Die Ver-
gangenheit kümmert uns kaum noch. Die drohende Wolke der
Zukunft soll von den Adlerblicken eines berufenen Mannes durch-
schaut, und uns verkündet werden, was hinter ihr liegt. Es
kann Gutes uud Böses sein: als unsere Aufgabe empfinden
 
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