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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Hrsg.]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0285
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von Frischem anhub, und zwar als gebe er nun eine wohl-
erwogene Entscheidung ab. Ranke wie Curtins belebten durch
ihre Gegenwart in hohem Grade. Sie gingen gern ins All-
gemeine, Treitschke dagegen sofort leidenschaftlich ins Detail
ein. Treitschke kommandirte jede Geselligkeit ohne Widerrede,
auch deshalb, weil man wußte, er vernehme ja doch nicht,
was etwa hätte erwidert werden können. Es umspielte seinen
Mund, wenn er dann scharf sprach, ein wohlwollendes Lächeln.
Auch Ranke sprach mit diesem Lächeln. Treitschke war prak-
tischer Politiker. Das augenblicklich sich Ereignende erregte
ihn und lockte scharfe Urtheile aus ihm heraus. Ranke und
Curtins waren nur theoretische Politiker. Treitschke trat in
Süd- und Nord-Deutschland selbständig als Lehrer der Jugend,
aber zugleich als Mann des Volkes auf; er erblickte in seinen
Zuhörern die streitenden Politiker der Zukunft, deren das
Vaterland bedurfte und denen er Gedanken lieferte, nicht wie
Ranke die zukünftigen Professoren, die er Manuskripte lesen
und Conjecturen machen lehrte, oder die Beamten, denen er
historischen Gleichmut!) predigte. Treitschke gab sich bei seinen
Vorlesungen der Eingebung des Augenblickes hin, Ranke und
Curtius lehrten bedächtig. Bei Ranke kamen die Gedanken
wie aus der Tiefe, Curtius flogen sie gleichsam zu. Curtius
sprach wie ein Seher, zuweilen als ob er mit den Gewölken
rede. Treitschke sah jedem Einzelnen fest in die Augen. Er
wollte packen, nicht überzeugen. Niebuhr soll seinen Zuhörern
versichert haben, was er ihnen von der Gründung Roms
vortrage, das könne er ihnen „auf Ehre" als wahr versichern:
bei Treitschke galt das von jedem Worte. Seine persönliche
Ueberzeugung war das Maßgebende. Er hätte seine Gegner-
verbrennen können wie Calvin gethan. Er war unbändig in
 
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