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Grimm, Herman; Grimm, Herman [Editor]
Fragmente (Band 1,1) — Berlin, Stuttgart: Spemann, 1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.47241#0340
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den Eindruck eines adligen, geistigen Werkzeuges hohen Ran-
ges. Sie verstummten beide vor Bewegung als sie sich zum
ersten Male begegneten. Mau dachte für Leopardi an eine
„Dante-Professur" in Berlin. Bunsen's Briefe, die er von
Leopardi empfing, hat A. Tobler herausgegeben. Der Dich-
ter, noch nicht ganz so hoffnungsverlassen wie in den folgen-
den Jahren, strebte nach einer Stellung, die ihm die Geltend-
machung feiner geistigen Gaben gestattete, und Bunsen suchte
ihm dabei behülflich zu sein.
Sein ganzes spateres Leben ist ein fruchtloses Bemühen
gewesen, auch nur das Geringste zu erreichen, das ihn wenig-
stens selbständig machte. Doch erscheint mir unmöglich, den
vollen Umfang feines Leidens in wenig Worten darzustellen,
weil zu sehr der allgemeine Zustand des Landes hier in Be-
tracht kommt. Die Lage der Seinigen war die vieler altadlig
herabgekommener Familien. Der Vater, literarisch gebildet
und im Besitz einer umfangreichen Bibliothek, lebte mit seinen
Söhnen und einer Tochter in Recanati. Er gewährte den
Kindern, was sie bedurften, nur sehr Geringes aber außer-
halb des väterlichen Hauses. Er gab nichts, er that nichts
für sie, er behielt sie um sich. Was Leopardi's Briefe aus-
sprechen, wird erst verständlich, wenn wir nicht nur den Zu-
stand Italiens in den beiden Jahrzehnten der höheren Ent-
wicklung des Dichters, sondern den Europa's in Betracht
ziehen. Leopardi's beste Jahre waren die, die Byron und
Shelley in Italien verlebten, die Anfangszeiten Mazzini's,
die der Carbonari, der großartigsten Verschwörung, die Eu-
ropa jemals erlebte. Wie fast nichtssagend klingen Leopardi's
Briefe, die er damals schrieb, Briefe, die Wochen gebrauch-
ten, um anzulangen (sehr oft aber verschwinden sie ohne je
 
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