Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
aber, damit man sie nachahme. Er haßte zopfige Wissen-
schaftlichkeit in der Erkenntnis, daß die vom Gelehrten ge-
fundene Wahrheit nur dann in die Massen dringe, wenn sie
in der Sprache dieser schlicht vorgetragen werde. Dazu sei
es nicht nur nötig, deutsch zu schreiben, sondern auch ein
von Fremdwörtern freies, reines Deutsch. Das war gerade
keine neue Anregung. Die Sprachgesellschaften aus der Zeit
nach dem Dreißigjährigen Kriege wollten dasselbe. Aber sie
blieben ohne Erfolg, da sie selbst sich nicht an ihr Gesetz
hielten, die Deutschtümelei bei ihnen zum Spiele wurde.
Sprachverbesserer gab es viele, aber es fehlte ihnen der
Ernst des Wollens und die Kraft deutschen Ausdrucks, die
Verbindung mit dem echten Volkston, der Mut, entschieden
Luthers Wege zu wandern. „Man muß nicht“, sagt dieser,
die „Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie
man deutsch reden soll, sondern man muß die Mutter
im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann
auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul
sehen, wie sie reden: so verstehen sie es dann und merken,
daß man deutsch mit ihnen redet“. Von dieser Weisheit war
man noch fern. Die Sprache hatte sich nach Ständen ge-
spalten. Der gemeine Mann sprach anders als der Gebil-
dete, der Ton des Marktes erschien als unschicklich im
Sitzungssaal des Rathauses, die Höhe der Bildung war nur
auf dem Wege über Fremdsprachen zu erlangen. Noch
schien es unmöglich, den Weg zur Verschmelzung der
beiden Ausdrucksformen zu finden.

Was den deutschsprechenden Gesellschaften nicht gelang,
das hatte in den Gelehrtenkreisen seine ausgesprochenen
Gegner. Sie hielten das Bestreben für geistig minderwertig,
weil es die Freiheit des Ausdruckes schädige. War doch ihre
Sprache durch Überfeinerung aber fast so verlottert, als es die
heutige ist. Glänzende Ausnahmen bestätigen die Regel.
Nur ein Unterschied: der Sprachsalat von heute wird von
Tagesschriftstellern in die Menge getragen, während jener

232
 
Annotationen