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Schmiedeberg-Blume, Else von [Hrsg.]; Mal- und Zeichen-Unterricht GmbH <Berlin> [Hrsg.]; Meru, Johannes [Mitarb.]
Handbuch und Lehrkursus für die Kunst des Zeichnens und Malens (Band 1): Grundlagen der Technik und Komposition: mit 213 einfarbigen und farbigen Abbildungen — Braunschweig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.23972#0036
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Eine Morgenluft wird ganz anders aussehen als ein Abendhimmel, und die Wolken,
die mittags im blauen Luftmeere segeln, sind anders als jene, die am späten Nach*
mittag oder bei sinkender Sonne sich ballen oder in langen Streifen das Firmament
durchziehen.

In erster Linie ist für die Wolkenbildung der Witterungscharakter maßgebend, aber
dann spricht auch der Stand der Sonne, die auf die Wolken ihr Licht wirft, ent*
scheidend mit.

Nach dieser kleinen Betrachtung gehen wir weiter und schlagen einen Seitenpfad
ein, der uns durch hohe Ähren führt, die in der späten Sonne wie fließend Gold
schimmern. Da kommen schon Felder, die abgeerntet sind; fern sieht man noch die
Männer, die die Sensen schwingen, im Vordergründe suchen ein paar alte verhutzelte
Weiblein die letzten Ähren zusammen. Wie sie tief sich bücken, mit suchenden
Händen die Erde abtasten, ergeben sich die interessantesten Verkürzungen, und mit
Eifer und Lust halten wir das schnell auf dem Papier fest.

Die Sonne sinkt tiefer, und wir kehren heimwärts. Wie anders sieht jetzt die Land*
Schaft aus! Das Licht ist erloschen, alles schwimmt in ein mattes Grau zusammen, aus
dem sich etliche hohe Bäume dunkel emporheben. Bald haben wir die Stadt mit ihren
Toren und Mauern und spitzen und runden Türmen wieder in Sicht, aber als schwarze
Silhouette ragt sie jetzt in den stahlblauen Nachthimmel.

Betrachten wir nun zu Hause das skizzierte Erlebnis des Tages, so werden all die
mannigfachen Eindrücke wieder lebendig, und in ihrer Nachwirkung beschäftigen sie
uns tage*, oft wochenlang. Dann werden die schwächeren verblassen, die kräftigeren
uns gedanklich um so ausschließlicher beschäftigen, bis alles Nebensächliche fortfällt
und eine klare Bildvorstellung uns beherrscht.

Sind wir so weit gelangt in der geistigen Verarbeitung sinnfälliger Eindrücke, so
machen wir uns im Studio den Entwurf auf einem Karton oder Zeichenrahmen.
Das bequemste Material dafür ist die Kohle, da man mit den kräftigen Strichen und
Flächen, die dieses leicht abgebende Material erlaubt, rasch eine Wirkung erzielt. Helle
Lichter werden mit Knetgummi herausgenommen, in die gewischten Flächen mit kräf*
tigen Strichen die dunkle Zeichnung gesetzt, und durch Abnehmen und Hinzutun ent*
steht in Kürze eine Abbildung des geschaut Erlebten, wie wir sie im Kopfe tragen.
Der Entwurf ist also fertig, und nun gilt es, sich eine genaue Studie nach der
Natur zu machen, bzw. mehrere. Wollen wir ein Bild malen, so brauchen wir natür*
lieh eine farbige Studie, und meistens wird man auch mit seinem Ölkasten hinaus*
gehen und das erwählte Stück Natur so treu wie möglich wiedergeben.

Eine solche Studie vor der Natur kann so weit gebracht werden, daß sie zu einem
abgeschlossenen Bilde wird. Hat man nicht viel Zeit, so macht man sich Farben*
skizzen, zeichnet die Hauptsachen, besonders des Vordergrundes, noch mal besonders
und baut danach im Atelier das Bild zusammen.

Es ist durchaus persönlich, ob man es vorzieht, eine Landschaft vor der Natur als
fertiges Bild zu malen oder in eben angedeuteter Weise zu Hause. Die Fertigstellung
im Freien ist oft durch wechselnde Beleuchtung und veränderliches Wetter beeinträchtigt,
aber das Malen eines Bildes nach Studien im Atelier setzt doch eine erhebliche Schulung
des künstlerischen Gefühls und Gedächtnisses voraus.

Ich habe bisher nur von der Landschaft gesprochen, aber für alle anderen Gebiete
ist der Arbeitsvorgang ein ähnlicher, auch beim figürlichen Bild. Beim Porträt,
besonders aber bei der Komposition ist der Weg so, daß die künstlerische Inspiration,

Die Studie

Das Bild

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