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Schmiedeberg-Blume, Else von [Hrsg.]; Mal- und Zeichen-Unterricht GmbH <Berlin> [Hrsg.]; Meru, Johannes [Mitarb.]
Handbuch und Lehrkursus für die Kunst des Zeichnens und Malens (Band 1): Grundlagen der Technik und Komposition: mit 213 einfarbigen und farbigen Abbildungen — Braunschweig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.23972#0153
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Zarte schwarze Kreidestriche folgen den
Formen der Finger, betonen kräftiger die
Gelenke und beseelen durch Abwandelung
der Richtung mit Adern und Nerven die
gefalteten Hände. Zur Unterstützung der
Wirkung ist auf den belichteten Stellen
der Fingerkuppen, der Nägel, des kleinen
Fingers und äußeren Handrückens Weiß
fest oder in dünnen modellierenden Linien
mit spitzem Pinsel aufgetragen. Die kräftig
klare Form des Ärmelumschlags im Licht
wie im Schatten erhöht die nervig*
lebendige Wirkung der Hände.

Mit schwarzer und weißer Kreide
ist das Selbstporträt von Tiepolo gezeich*
net, das Abb. 194 uns zeigt. Hier hat
der Meister, ähnlich wie wir es bei der
weiblichen Figur von Rubens sahen, ganz
aus dem Ton heraus gearbeitet. Ihr seht
einen bartlosen männlichen Kopf, leicht
nach oben gedreht, das Auge himmelwärts
gewendet. Das leicht gekörnte Papier
ist mit ganz wenig schwarzer Kreide
eingewischt, so daß sich der Kopf von
einem lockeren Flintergrunde abhebt. Im
Geg ensatz zu all den Zeichnungen,
die wir bisher besprochen haben, ist hier die Wirkung Hell auf Dunkel, statt
umgekehrt. So ist die ganze Profillinie mit einem feinen weißen Strich gezeichnet,
und erst an den dem Licht abgewendeten Stellen setzt die schwarze Kreide ein, außer*
ordentlich weich und behutsam, um der zarten Zeichnung, die den inniggläubigen Aus*
druck erhöht, ihren Duft nicht zu nehmen. Nur an den Stellen, wo tiefe Dunkelheiten
organisch bedingt sind, hat sie der unendlich geschickte Stift des Künstlers ganz bestimmt
und bedeutsam eingesetzt. So ist wunderbar zart die Pupille, das Nasenloch, der feine Flügel,
der Winkel im Spalt des leicht geöffneten Mundes mit wenigen Druckern gegeben. Ein
weich gezeichneter Schatten trennt das Gesicht vom Halse und läßt deutlich den Knochen*
bau fühlen. Die Anatomie ist klar angedeutet, ohne aufdringlich das Auge auf sich zu
ziehen. Stirn, Nase und Wange, die dem Licht voll zugewandt sind, haben ein paar
zarte weiße Striche bekommen. Seht, wie fein das Glanzlicht im Auge, die kleinen
Reflexe auf Nase, Lippe, Mund, Kinn gezeichnet sind! Auch Ohr und Haar tragen
Licht neben den kräftigen, für die Gliederung notwendigen Strichen. Das Gewand ist
weiß angedeutet und schafft damit den Übergang zum lichttonigen Grunde.

Ganz wild wirkt gegen diese abgeklärte Ruhe die temperamentvolle Zeichnung von
Prud’hon, Abb. 195. Auch hier haben schwarze und weiße Kreide zusammengewirkt,
um auf bläulichem Papier die bewegte Gruppe zweier Menschen zu gestalten. Zart ist
der liegende Körper angedeutet. Der Papierton herrscht vor, und nur ein paar weiße
Kreidestriche auf Kopf, Hals und Brust zeigen uns die Belichtung, die von oben
kommt, hält doch die halb auf dem Bette kniende Frauenfigur ein Licht in der Hand

Abb. 194

Tiepolo: Selbstporträt. Schwarze und weiße Kreide
auf blauem Papier

Ans »Ilandzeichnungen grosser Meister«, Manz-Verlag, Wien

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