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Schmiedeberg-Blume, Else von [Hrsg.]; Mal- und Zeichen-Unterricht GmbH <Berlin> [Hrsg.]; Meru, Johannes [Mitarb.]
Handbuch und Lehrkursus für die Kunst des Zeichnens und Malens (Band 1): Grundlagen der Technik und Komposition: mit 213 einfarbigen und farbigen Abbildungen — Braunschweig, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.23972#0203
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alter Basiliken zieren. Mosaikbilder werden, wie Ihr wohl wißt, aus kleinen Steinchen
zusammengesetzt, und die umständliche Technik zwingt schon zu größter Vereinfachung
und zur Beschränkung auf das Wesentliche. So entwickelte sich in diesen Mosaiks
bildern ein Stil von großer Feierlichkeit und einer starren Größe. Der Hintergrund
ist meist einfarbig, aber wie auf dem Mosaik in der Apsis von S. Corma e Dorniano
in Rom wird der blaue Hintergrund belebt dadurch, daß Wolken hineingebaut sind,
auf denen Christus schwebt, und goldene Palmen steigen zu beiden Seiten von der
Erde hinauf. Die Apostel und Heiligen, zu denen Christus herniederschwebt, sind streng
symmetrisch angeordnet; die Gestalt Christi im antiken Gewände mit einfach großer
Gebärde wirkt außerordentlich feierlich. Mit der Vorherrschaft des oströmischen Reiches
gewann auch in Italien der byzantinische Stil Boden, und die heiligen Gestalten hoben
sich vom prunkvollen Goldgründe gebieterisch ab.

Der thronende Christus auf goldenem Hintergründe in der Apsis von S. Marco in
Venedig wird für jeden Besucher der Lagunenstadt ein unvergeßlicher Eindruck bleiben.
Kommt Ihr einmal dahin, dann versäumt nicht, nach der kleinen Insel Torcello zu
fahren. Ein verlorener Rest alter Größe; wenig Menschen leben heute noch dort in
bescheidenen Fischerhäusern. Aber unter hohen Bäumen liegt der alte Dom, eine alt*
christliche Basilika. Und in dieser alten weltfernen Kirche, da gibt es noch ein alt*
byzantinisches Mosaik, »Christus mit Heiligen«, was zu dem Stärksten gehört, was jene
Kunstepoche geschaffen hat. Gespenstisch wirkt der hellere Fleischton auf dunkelblauem
Grunde und erfüllt den Besucher mit mystischem Schauer.

Außer den Mosaiken sind Zeugen jener ersten nachchristlichen Jahrhunderte für
figürliche Abbildungen hauptsächlich Miniaturen in Schriften und Gebetbüchern.

Wir wissen ja aber schon, daß die bildende Kunst im Trecento anfing, sich zu einer
Wirklichkeitsdarstellung zu entwickeln, und daß Giotto der erste große Maler war,
vor dessen Figuren wir ein Gefühl der Bewunderung empfinden. Seine Fresken in der
Oberkirche zu Assisi zeigen eine völlige Lossagung von der byzantinischen Tradition.
Er gestaltete frei nach seinem starken Gefühlsleben, und seine Gestalten zeigen schon
individuelles Leben, ohne daß sie an Größe verlieren. Bei aller Kunstübung, sei es
im Orient, sei es in Italien und Frankreich, in Deutschland oder den nordischen Staaten,
ist die Entwicklung die gleiche. Alle haben sie ein Abbild des Menschen zuerst im
Schema gesehen. Dann bildeten Auge und Vorstellung eine gewisse typische Erscheinung
heraus. Wie sich aber aus dem Typus Mensch allmählich das Individuum heraus*
schälte, so drängte sich auch den Genialen unter den Künstlern eine Unterschiedlich*
keit der Menschen auf, sowohl in bezug auf ihre äußere Erscheinung wie im Nieder*
schlag des Seelenlebens, wie er sich im Ausdruck des Gesichts offenbart.

Diese Erkenntnis war die Voraussetzung für eine persönliche Auffassung der Be*
Sonderheiten, die den einen Menschen vom anderen unterscheiden. Als der Bann ge*
brochen war, mit dem die Tradition der ältesten schematischen Kunstauffassung Augen
und Hirn gefangen gehalten, tat sich ein weites Gebiet auf, das für jeden ernsthaft
Forschenden Entdeckungen in Hülle und Fülle verhieß. Die Künstler fingen an, nicht
mehr ausschließlich durch die Zeitbrille zu sehen, sondern sie fanden, daß zwar die
menschliche Gestalt als Typ der Ausdruck eines gleichen Organismus sei, daß aber
in diesem Rahmen ungeheure Abwandelungen möglich waren. Schon rein äußerlich
drängte sich dem forschenden Auge diese Erkenntnis auf, wie noch heute jeder Einzelne
die gleiche Entwicklung durchmacht. Das Kind sieht primitiv und schematisch, aber
bei intelligenten Kindern findet schon sehr früh die Unterscheidung statt, nicht nur in
 
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