Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
738

Schone Literatur: Faust von Marlow.

Das Ganze lässt sich als ein Novalis’sches Märchen, Tieck-
isch dramatisirt, charakterisiren, aber von einem poetischen Leben
beseelt, das dem Verfasser eigenthümlich ist. Der Grundgedanke
ist rein speculativ, ja das ganze Gedicht eine Verkörperung der
ßegriffsphilosophie, eine Anthropomorphose des absoluten Geistes,
wobei der Verf. nur alle Abwege sorgfältig vermieden zu haben
glaubt, und durch die muthigste Polemik gegen alle Fleischeman-
cipation und deren Literatur sich vom jungen Deutschland ein für
allemal absondert.
Wir wollen versuchen, den Lesern die Grundzüge dieser küh-
nen Dichtung, mit einigen Proben illustrirt, vor Augen zu stellen.
Der Faust des Herrn Marlow ist nicht der handfeste Geselle sei-
nes englischen Namensvetters, kein derber Zauberer und Hexen-
meister, er ist nicht der Repräsentant des Geistes, den wider das
Fleisch und des Fleisches, das wider den Geist gelüstet, wie der
Göthe’sche Faust, er ist nicht eine durch Genuss und Zweifel ge-
peitschte, in ihrer Subjectivität verderbende unsterbliche Seele,
wie der Faust Lenau’s: —■ er ist etwas Bestimmteres als jener,
und etwas Allgemeineres als dieser, er ist der Gattungsmensch
des neunzehnten Jahrhunderts, als Zweifler, Forscher, Dichter,
Sünder ausgeprägt, unterjocht von der Natur, verführt vom Le-
ben, erlöst und gereinigt im Geist.
So führt uns das Gedicht durch die Trilogie Natur, Leben
und Geist, wie die dritte Abtheilung bezeichnender zu taufen
wäre, während sie der Verfasser, den Dichter vorzugsweise im
Menschen sehend, als Kunst überschrieben hat.
Im ersten Thcile tritt Faust, der Zweifler, zuerst in einer
Sommernacht auf einem Kirchhofe auf und philosophirt in einem
Monolog voll Young’scher Nachtgedanken der neuesten Zeit, 16t»
Verse hindurch, zum Theil an eines Gretchens Grab, über das
Leben:
— S’ist ein Traum das Dascyn.
Mehr noch das Werden selber ist ein Träumen,
Und suchst im Sterben du des Daseyns Wahrheit,
Wer bürgt dir, dass das Sterben selbst nicht Traum sey
So ist, was war, was ist, und was noch scyn wirrt
(Und dieser Zeitmomente Einheit selber)
Nichts weiter als das Seyn von einem Traume,
Der wieder nichts ist als vom Seyn das Nichtseyn.
So ist’s, nicht anders ; hiermit ruht mein Zweifel.
Und dennoch, dennoch, rasender Gedanke
D es Menschengeistes, stehst in Mitternächten
Du auf des Lebens grauser Schädelstätte,
 
Annotationen