von Ritter, Spengcl, Martin und Abeken,
819
Grundbegriff der aristotelischen Theorie, von dessen richtigem
Verständnis die Würdigung des Ganzen abhängt, gar zu kurz
und mangelhaft abgefertigt. Es ist zwar ein Zugeständnis, das
man den Herausgebern von Schriften, die von kritischer oder exe-
getischer Seite viel zu thun geben, machen muss, dass man nicht
auch noch eine philosophische oder ästhetische Prüfung des In-
haltes fordert: das Wort iilßvatg aber ist von der Art, dass sich
ohne eine Entwicklung des Begriffes auch keine rechte Wort-
Exegese geben lässt. Die oben genannte Abhandlung des Herrn
Abeken hätte hier nicht nur genannt, sondern auch benutzt wer-
den sollen. Die verschiedene Geltung, welche dieser Begriff bei
Plato und bei Aristoteles hat, ist darin sehr richtig aufgefasst.
Plato, dem es Hauptaufgabe seiner Philosophie ist, das Wesen
der Dinge, das in den Ideen besteht, anzuschauen, wurde durch
diese seine Ideologie zur Geringschätzung des dichterischen Schaf-
fens verleitet. Das Streben der Künstler, die Idee zu verkörpern,
erscheint ihm als ein Werk des Truges und der Täuschung, wo-
durch das urbiidlich Schöne in die niedrige Sphäre der Scheinwelt
herabgezogen wird, und daraus erklärt sich die Geringschätzung,
die er gegen die Dichter ausspricht. Aristoteles dagegen erkennt
in den Werken der Kunst den immanenten Ausdruck der ewigen
Ideen, und darum ist es ihm eine würdige Aufgabe, die in ihr
objectivirten Gesetze aufzusuchen. W'enn er daher die Dichtung
eine piprioig nennt, so beschränkt er sich nicht blos auf die
Nachahmung der Natur oder der menschlichen Verhältnisse, son-
dern er gesteht ihr neben diesem ein freies und ideales Schaffen
zu. Am deutlichsten sagt er das in der Physik II., 8: die Kunst
alimt theils der Natur nach, theils vollendet sie, was die Natur
nicht zu vollbringen vermag; man vergleiche damit die entspre-
chenden Aeusserungen in der Poetik 15, 14. 26, 1—3 und §. 28.
Ueberhaupt war der Begriff, den die Griechen mit ihrem Ausdruck
(Li14rixai Tt%vai verbanden, festzustellen. Dieser Ausdruck galt
ihnen so viel, wie uns der Ausdruck „schöne Künste“. Man hüte
• sich aber zu glauben, sie haben darum das Wesen dieser Künste
in eine blosse Nachahmung des empirisch gegebenen gesetzt; wie
wäre diese niedrige Ansicht mit den herrlichen Erzeugnissen ihrer
Kunst vereinbar? Allein vermöge des ihnen eigenthümlichen pla-
stischen Sinnes verliehen sie auch den freien Schöpfungen der
Phantasie sogleich Gestalt, die ihnen bei der Ausführung ihrer
Werke als Musterbild vorschwebte. Am treffendsten stellt dies
Cicero dar, wenn er in der bekannten Stelle (Orator O.. 9) von
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Grundbegriff der aristotelischen Theorie, von dessen richtigem
Verständnis die Würdigung des Ganzen abhängt, gar zu kurz
und mangelhaft abgefertigt. Es ist zwar ein Zugeständnis, das
man den Herausgebern von Schriften, die von kritischer oder exe-
getischer Seite viel zu thun geben, machen muss, dass man nicht
auch noch eine philosophische oder ästhetische Prüfung des In-
haltes fordert: das Wort iilßvatg aber ist von der Art, dass sich
ohne eine Entwicklung des Begriffes auch keine rechte Wort-
Exegese geben lässt. Die oben genannte Abhandlung des Herrn
Abeken hätte hier nicht nur genannt, sondern auch benutzt wer-
den sollen. Die verschiedene Geltung, welche dieser Begriff bei
Plato und bei Aristoteles hat, ist darin sehr richtig aufgefasst.
Plato, dem es Hauptaufgabe seiner Philosophie ist, das Wesen
der Dinge, das in den Ideen besteht, anzuschauen, wurde durch
diese seine Ideologie zur Geringschätzung des dichterischen Schaf-
fens verleitet. Das Streben der Künstler, die Idee zu verkörpern,
erscheint ihm als ein Werk des Truges und der Täuschung, wo-
durch das urbiidlich Schöne in die niedrige Sphäre der Scheinwelt
herabgezogen wird, und daraus erklärt sich die Geringschätzung,
die er gegen die Dichter ausspricht. Aristoteles dagegen erkennt
in den Werken der Kunst den immanenten Ausdruck der ewigen
Ideen, und darum ist es ihm eine würdige Aufgabe, die in ihr
objectivirten Gesetze aufzusuchen. W'enn er daher die Dichtung
eine piprioig nennt, so beschränkt er sich nicht blos auf die
Nachahmung der Natur oder der menschlichen Verhältnisse, son-
dern er gesteht ihr neben diesem ein freies und ideales Schaffen
zu. Am deutlichsten sagt er das in der Physik II., 8: die Kunst
alimt theils der Natur nach, theils vollendet sie, was die Natur
nicht zu vollbringen vermag; man vergleiche damit die entspre-
chenden Aeusserungen in der Poetik 15, 14. 26, 1—3 und §. 28.
Ueberhaupt war der Begriff, den die Griechen mit ihrem Ausdruck
(Li14rixai Tt%vai verbanden, festzustellen. Dieser Ausdruck galt
ihnen so viel, wie uns der Ausdruck „schöne Künste“. Man hüte
• sich aber zu glauben, sie haben darum das Wesen dieser Künste
in eine blosse Nachahmung des empirisch gegebenen gesetzt; wie
wäre diese niedrige Ansicht mit den herrlichen Erzeugnissen ihrer
Kunst vereinbar? Allein vermöge des ihnen eigenthümlichen pla-
stischen Sinnes verliehen sie auch den freien Schöpfungen der
Phantasie sogleich Gestalt, die ihnen bei der Ausführung ihrer
Werke als Musterbild vorschwebte. Am treffendsten stellt dies
Cicero dar, wenn er in der bekannten Stelle (Orator O.. 9) von