HEIDELBERGER
Nr. 38.
1849.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
♦>
Tlllieri Geschichte der Eidgenossenschaft.
(Schluss.)
„Die Staalseinrichtungen vor 17Ö8 waren, wenn auch für das
neunzehnte Jahrhundert nicht mehr passend, dennoch für die Zeit, in der
sie bestanden, weit haltbarer als diejenigen des Jahres 1814, weil sie
auf einer bestimmten und durchgreifenden Grundlage, dem altherkömm-
lichen Lehenrechte, beruhten, während man im Jahre 1814 überall
unzusammenhängende, grundsatzlose und darum zugleich lockere und
schwerfällige Bestimmungen aufstellte, welche in Zeiten der allgemeinen
Aufregung und Erschütterung vergeblich nach einem Grundpfeiler suchten,
an dem sie sich halten konnten. So entstand während der ganzen Re-
staurationsepoche ein beständiger Kampf zwischen Altem und Neuem, ohne
dass weder das Alte noch das Neue aufrichtig vertreten gewesen wäre,
was nebst vielen nicht mehr zeitgemässen Verhältnissen und an sich
schiefen und dem allgemeinen Besten nicht entsprechenden Richtungen zu
den Hauplübeln jener Zeit gehörte, während ein langer Zeitraum von
Friede, Ruhe und Ordnung für manches Bessere Raum liess, viele treff-
liche Männer mit Ehre, Würde und Unabhängigkeit in den öffentlichen
Angelegenheiten wirkten, in Kunst und Wissenschaft manches Vorzügliche
geleistet wurde, w’as keineswegs zu verkennen ist. “ — In diesem
eklektisch-synthetischenVerfahren, welches namentlich für die Schweizer-
verhältnisse galt, liegt allerdings eine Hauptursache des Schwankens und
der Ungewissheit. Während man in Frankreich, Teutschland und andern
Staaten das monarchische Princip als höhere Einheit festhielt und ihm
so ziemlich alle weitere Beziehungen der Gesellschaft unterordnete: wurde
in dem restaurirten Bunde der Eidgenossen für die Ausführung der
republikanischen Grundkraft keine strenge Folgerichtigkeit beobachtet.
Nicht nur liess man, wie in Holstein-Dänemark, Luxemburg-Holland, für
den neuen Kanton Neuenburg die Doppelstellung eines souveränen
Fürsten und republikanischen Mitstandes zu, sondern stellte auch
den Begriff der Kantonalsouveränetät unter schwachen und bieg-
samen Beschränkungen an die Spitze des Staatsrechts, nahm bei der bün-
LXII. Jahrg. 4. Doppelheft. 38
Nr. 38.
1849.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
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Tlllieri Geschichte der Eidgenossenschaft.
(Schluss.)
„Die Staalseinrichtungen vor 17Ö8 waren, wenn auch für das
neunzehnte Jahrhundert nicht mehr passend, dennoch für die Zeit, in der
sie bestanden, weit haltbarer als diejenigen des Jahres 1814, weil sie
auf einer bestimmten und durchgreifenden Grundlage, dem altherkömm-
lichen Lehenrechte, beruhten, während man im Jahre 1814 überall
unzusammenhängende, grundsatzlose und darum zugleich lockere und
schwerfällige Bestimmungen aufstellte, welche in Zeiten der allgemeinen
Aufregung und Erschütterung vergeblich nach einem Grundpfeiler suchten,
an dem sie sich halten konnten. So entstand während der ganzen Re-
staurationsepoche ein beständiger Kampf zwischen Altem und Neuem, ohne
dass weder das Alte noch das Neue aufrichtig vertreten gewesen wäre,
was nebst vielen nicht mehr zeitgemässen Verhältnissen und an sich
schiefen und dem allgemeinen Besten nicht entsprechenden Richtungen zu
den Hauplübeln jener Zeit gehörte, während ein langer Zeitraum von
Friede, Ruhe und Ordnung für manches Bessere Raum liess, viele treff-
liche Männer mit Ehre, Würde und Unabhängigkeit in den öffentlichen
Angelegenheiten wirkten, in Kunst und Wissenschaft manches Vorzügliche
geleistet wurde, w’as keineswegs zu verkennen ist. “ — In diesem
eklektisch-synthetischenVerfahren, welches namentlich für die Schweizer-
verhältnisse galt, liegt allerdings eine Hauptursache des Schwankens und
der Ungewissheit. Während man in Frankreich, Teutschland und andern
Staaten das monarchische Princip als höhere Einheit festhielt und ihm
so ziemlich alle weitere Beziehungen der Gesellschaft unterordnete: wurde
in dem restaurirten Bunde der Eidgenossen für die Ausführung der
republikanischen Grundkraft keine strenge Folgerichtigkeit beobachtet.
Nicht nur liess man, wie in Holstein-Dänemark, Luxemburg-Holland, für
den neuen Kanton Neuenburg die Doppelstellung eines souveränen
Fürsten und republikanischen Mitstandes zu, sondern stellte auch
den Begriff der Kantonalsouveränetät unter schwachen und bieg-
samen Beschränkungen an die Spitze des Staatsrechts, nahm bei der bün-
LXII. Jahrg. 4. Doppelheft. 38