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Kr. 51.

HEIDELBERGER

1870.


Ribbeck: Appendix Vergiliana.

(Fortsetzung.)
C i r i s.
Wenn Scaliger das unter Vergil’s Namen laufende Gedicht
Giris so sehr überschätzen konnte, dass er es nitore und elegantia
von keinem anderen lateinischen Gedicht übertroffen werden liess,
so ist diess nur ein Beweis dafür, wie sehr oft die ästhetischen
ürtheile selbst unserer grössten Philologen zu Vorurtheilen werden
und aus der natürlichen einfachen Norm der unmittelbaren Em-
pfindung abschweifen in das Barock-Launenhafte. Das diametral
entgegengesetzte Urtheil Bernhardy’s über jenes Gedicht ist eben
so unrichtig, und es ist schwer begreiflich, wie er und Paldamus
es an poetischem Werth der »Culex« nachsetzen konnten. Der
Verfasser war offenbar ein Nachahmer Catulls (vgl. Haupt quaest.
Catull. p. 45) und ein Plünderer Vergil’s, wie diess am deutlich-
sten aus v. 59 — 61 hervorgeht, welche sich wörtlich in der VI Eclogen
v. 75 seqq. wiederfinden. Wenn freilich Vergil selber es gewesen ist,
der sich wiederholt, so kann man ihm dieses und ähnliche an sich
selber begangene Plagiate verzeihen. Und in der That hat nicht
nur der alte Schrader sich für den vergilianischen Ursprung des
Gedichtes gewehrt — er hat sogar unter dem Messalla, der im
Gedicht angeredei wird, den berühmten, a. 685 u. c. geborenen
Valerius Messalla Corvinus zu erkennen geglaubt — sondern noch
Naeke hat diese Möglichkeit eingeräumt, indem er das carmen
für »perantiquum« hält, »quäle scribi a Vergilio non multo ante
Bucolica tempore potuerit«. Wenn irgendwo, so hat hier Sillig
mit sehr guten Argumenten diese Annahme bekämpft. Den Haupt-
fehler, an welchem das Gedicht leidet, hat schon Heyne mit rich-
tigem Blick erkannt, wie er denn auch nicht wohl zu verkennen,
sondern augenfällig genug ist: der Umstand nämlich, dass der Dichter
auch mit keinem Worte der entscheidenden, den ganzen Verlauf
bedingenden Handlung des Haarabschneidens gedenkt und auch
über das unmittelbar darauf Folgende bis zur Strafe der Scylla
glaubt wegspringen zu dürfen. »Exspectabam, sagt H., in primo
Minois conspectu, in pactione cum eo sancienda, in coma Nisi re-
secanda tradenda et fide Minois ex conditione pactionis exigenda
poetam disertum copiosum et ornatum.« Eine so grossartige Unter-
lassungssünde ist nun aber dem Vergil schlechterdings nicht zuzu«
LXIII Jahrg. 11 Heft. 51
 
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