174 Hartmut Titze
2.1 Strukturbruch in den Bildungsprozessen
Die Verfachlichung der Bildung in der Moderne ist eine Konsequenz der fort-
schreitenden Arbeitsteilung und des Durchbruchs der Kommunikationsgesell-
schaft. Nach einer anschaulichen Formulierung Herders, im Rückblick auf die
erste große Revolution in Frankreich, hat „die Zunge", also die Kommunika-
tion und nicht die Gewalt („das Schwert") die Lebensweise der Menschen in
Bewegung gebracht. Nach etwa zwei Generationen der Wirksamkeit offenerer
Kommunikationsformen in den sozialen Beziehungen beschleunigte sich der
Wandel der Lebensweise. In der neueren Forschung verdichten sich die Belege,
dass sich in der Phase des Take-off ein für das Lebensgefühl der Menschen
wichtiger Übergang vollzogen haben muss. Durch das Zusammenwirken auf
der Handlungsebene verselbstständigten sich immer mehr Lebensbereiche zu
rationalisierten (versachlichten) Systemen, die ihrer eigenen Logik folgten. Das
ist der Kern dessen, was wir Modernisierung nennen. Die Arbeitsteilung schritt
seit den liberalen Reformen natürlich dauernd fort, aber auf allen drei Ebenen
(Volksschule, höhere Schule, Universität) lässt sich 1860-1880 eine beschleu-
nigte Verfachlichung registrieren:
(1) In der volkstümlichen Erziehung in den Volksschulen kristallisierte sich
bis etwa 1860 ein an christlich-religiöser Bildung orientierter Lehrplan aus,
der auf die elementaren Grundkenntnisse und Fertigkeiten konzentriert war.
1860-1870 öffnete sich die sittlich-religiöse Volksbildung für ein fachlich ori-
entiertes Unterrichtsangebot.26
(2) Auf der Ebene der höheren Schulbildung leiteten die akademisch ge-
bildeten Lehrer ihr berufliches Selbstverständnis spätestens seit den 1860er
Jahren aus der unterrichtlichen Tätigkeit her, das heißt: der Vermittlung von
Fachwissen und nicht aus der Erzeugung wie an den Universitäten. Die fort-
schreitende Fachdifferenzierung spiegelt sich in der organisationsstrukturel-
len Entwicklung der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Die
zunehmende Ausdifferenzierung der Philologie und Verselbstständigung der
Einzelfächer schlug sich in der Einrichtung von Sektionen für Germanisten,
Romanisten, Orientalisten usw. nieder. Spätestens seit 1868 war der Verlust ei-
ner eindeutigen Bezugswissenschaft für die Schulmänner offensichtlich.27 Be-
reits vier Jahre vorher (1864) war auf der Philologenversammlung in Hannover
erstmals eine eigene Sektion der Mathematiklehrer zustande gekommen.28
In diesem Zusammenhang ist gut nachvollziehbar, dass sich bei fortschrei-
tender Differenzierung als intermediäre Instanzen lernende Organisationen
herausbilden, die zwischen dem einzelnen Rollenspieler und dem allgemeinen
Lebenszusammenhang vermitteln.
26 Vgl. Friedrich 1987,135.
27 Vgl. Müller-Rolli 1991,39E
28 Vgl. Schubrig 1983,195.
2.1 Strukturbruch in den Bildungsprozessen
Die Verfachlichung der Bildung in der Moderne ist eine Konsequenz der fort-
schreitenden Arbeitsteilung und des Durchbruchs der Kommunikationsgesell-
schaft. Nach einer anschaulichen Formulierung Herders, im Rückblick auf die
erste große Revolution in Frankreich, hat „die Zunge", also die Kommunika-
tion und nicht die Gewalt („das Schwert") die Lebensweise der Menschen in
Bewegung gebracht. Nach etwa zwei Generationen der Wirksamkeit offenerer
Kommunikationsformen in den sozialen Beziehungen beschleunigte sich der
Wandel der Lebensweise. In der neueren Forschung verdichten sich die Belege,
dass sich in der Phase des Take-off ein für das Lebensgefühl der Menschen
wichtiger Übergang vollzogen haben muss. Durch das Zusammenwirken auf
der Handlungsebene verselbstständigten sich immer mehr Lebensbereiche zu
rationalisierten (versachlichten) Systemen, die ihrer eigenen Logik folgten. Das
ist der Kern dessen, was wir Modernisierung nennen. Die Arbeitsteilung schritt
seit den liberalen Reformen natürlich dauernd fort, aber auf allen drei Ebenen
(Volksschule, höhere Schule, Universität) lässt sich 1860-1880 eine beschleu-
nigte Verfachlichung registrieren:
(1) In der volkstümlichen Erziehung in den Volksschulen kristallisierte sich
bis etwa 1860 ein an christlich-religiöser Bildung orientierter Lehrplan aus,
der auf die elementaren Grundkenntnisse und Fertigkeiten konzentriert war.
1860-1870 öffnete sich die sittlich-religiöse Volksbildung für ein fachlich ori-
entiertes Unterrichtsangebot.26
(2) Auf der Ebene der höheren Schulbildung leiteten die akademisch ge-
bildeten Lehrer ihr berufliches Selbstverständnis spätestens seit den 1860er
Jahren aus der unterrichtlichen Tätigkeit her, das heißt: der Vermittlung von
Fachwissen und nicht aus der Erzeugung wie an den Universitäten. Die fort-
schreitende Fachdifferenzierung spiegelt sich in der organisationsstrukturel-
len Entwicklung der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner. Die
zunehmende Ausdifferenzierung der Philologie und Verselbstständigung der
Einzelfächer schlug sich in der Einrichtung von Sektionen für Germanisten,
Romanisten, Orientalisten usw. nieder. Spätestens seit 1868 war der Verlust ei-
ner eindeutigen Bezugswissenschaft für die Schulmänner offensichtlich.27 Be-
reits vier Jahre vorher (1864) war auf der Philologenversammlung in Hannover
erstmals eine eigene Sektion der Mathematiklehrer zustande gekommen.28
In diesem Zusammenhang ist gut nachvollziehbar, dass sich bei fortschrei-
tender Differenzierung als intermediäre Instanzen lernende Organisationen
herausbilden, die zwischen dem einzelnen Rollenspieler und dem allgemeinen
Lebenszusammenhang vermitteln.
26 Vgl. Friedrich 1987,135.
27 Vgl. Müller-Rolli 1991,39E
28 Vgl. Schubrig 1983,195.