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Jorg Kilian
Wenn in W. C. C. v. Turks Bericht iiber den Unterricht auf mitteldeutschen
„Elementar=Schulen" aus dem Jahr 1806 noch immer iiber die Mundarten
als Unterrichtssprache geklagt und gefordert wird, es sei Aufgabe des Lehrers,
„iiberall Provincialismen, fehlerhafte Dialecte zu verbannen und endlich eine
reine deutsche Aussprache allenthalben zu verbreiten" (v. Turk 1806: 57), so
lasst dies zwar Rtickschlusse auf den nur geringen Erfolg der Umsetzung der
Schulordnungen in der Unterrichtspraxis zu,belegt indes ein weiteres Mai den
erzwungenen Sprachenwechsel von der Mundart zur Hochsprache.
Diese Hochsprache selbst war zwar von der zeitgenossischen Sprachfor-
schung in erster Linie als Schriftsprache normiert, doch sollen die beiden zeit-
genossischen Termini, „Hochsprache" und „Schriftsprache", bereits auf die
unterschiedlichen medialen Existenzformen der gesprochenen und geschrie-
benen Sprache hinweisen, die im Zusammenhang mit dem Sprachenwechsel
von der Mundart zur Hochsprache auseinandergehalten werden miissen. Die
normierte Schriftsprache namlich erhielt im Medium der Miindlichkeit, er-
hielt als Hochsprache im Gesprach eine ganz andere Klangfarbe. Man findet
in den Lehrgesprachen beispielsweise die Elision (Apokope und Synkope) des
schwachtonigen /?/ auch in Prasensformen des Verbs, die diesen Vokal in der
Schriftsprache noch heute fordern, beispielsweise gegen Ende des 18. Jahrhun-
derts in einem Lehrgesprach aus der Feder des Landschulinspektors Walkhof:
„L. Du wiinschest auch wol, daft sie noch lange leben mogen? K. Das wiinsch
ich. [... ] L. Nicht wahr, sie halten dich auch zur Schule an? Aber du gehst wol
nicht gern in die Schule? K. O ja, da lern ich ja etwas. L. Sieh einmal, wie viel
Gutes dir deine Aeltern thun! Solltest du sie nicht ehren und werthschatzen ?
K. Das thue ich auch. [...] L. Verstehn sie besser, was dir mitzlich ist, oder
du? [...] L. [...] Was thun aber Kinder, die ihre Aeltern ehren? K. Sie sind
gern bei ihnen, sie sind still, sie helfen ihnen, sie gehn einen Weg fur sie aus.
[...] L. Wie soil es den Kindern gehn, welche ihre Aeltern ehren?" (Walkhof
1797: 8ff.; Hervorhebungen von mir, J.K.)
Hier lasst nicht nur der Schiller das auslautende schwachtonige /a/ zumeist weg,
sondern auch dem - immerhin von einem Landschulinspektor erfundenen -
Lehrer wird die sprechsprachliche Synkope in den Mund gelegt („verstehn",
„gehn"). Diese „Stutzung" des hi haben die Grammatiker der Zeit fast einhel-
lig missbilligt; sie „machet die Sprache rauh", schreibt Gottsched, und Adelung
weist darauf hin, dass sie den „Wohllaut" gefahrde, insofern die Schlusskon-
sonanten dann stimmlos ausgesprochen werden ([lo:p] statt [loiba]), also die
Auslautverhartung einsetzt.17 Wenngleich Adelung sich hier auf die gespro-
chene Sprache bezieht, ist sein Urteil freilich schriftsprachlich verwurzelt; in
der Poesie wie in der gesprochenen Sprache zahlte es durchaus zum „Wohl-
laut", einen Hiatus zu vermeiden und, z. B., „wunsch ich" zu notieren (vgl. z.B.
Bodiker 1746: 580).
Vgl. Gottsched 1762: 535f.; Adelung 1782,1: 780.
Jorg Kilian
Wenn in W. C. C. v. Turks Bericht iiber den Unterricht auf mitteldeutschen
„Elementar=Schulen" aus dem Jahr 1806 noch immer iiber die Mundarten
als Unterrichtssprache geklagt und gefordert wird, es sei Aufgabe des Lehrers,
„iiberall Provincialismen, fehlerhafte Dialecte zu verbannen und endlich eine
reine deutsche Aussprache allenthalben zu verbreiten" (v. Turk 1806: 57), so
lasst dies zwar Rtickschlusse auf den nur geringen Erfolg der Umsetzung der
Schulordnungen in der Unterrichtspraxis zu,belegt indes ein weiteres Mai den
erzwungenen Sprachenwechsel von der Mundart zur Hochsprache.
Diese Hochsprache selbst war zwar von der zeitgenossischen Sprachfor-
schung in erster Linie als Schriftsprache normiert, doch sollen die beiden zeit-
genossischen Termini, „Hochsprache" und „Schriftsprache", bereits auf die
unterschiedlichen medialen Existenzformen der gesprochenen und geschrie-
benen Sprache hinweisen, die im Zusammenhang mit dem Sprachenwechsel
von der Mundart zur Hochsprache auseinandergehalten werden miissen. Die
normierte Schriftsprache namlich erhielt im Medium der Miindlichkeit, er-
hielt als Hochsprache im Gesprach eine ganz andere Klangfarbe. Man findet
in den Lehrgesprachen beispielsweise die Elision (Apokope und Synkope) des
schwachtonigen /?/ auch in Prasensformen des Verbs, die diesen Vokal in der
Schriftsprache noch heute fordern, beispielsweise gegen Ende des 18. Jahrhun-
derts in einem Lehrgesprach aus der Feder des Landschulinspektors Walkhof:
„L. Du wiinschest auch wol, daft sie noch lange leben mogen? K. Das wiinsch
ich. [... ] L. Nicht wahr, sie halten dich auch zur Schule an? Aber du gehst wol
nicht gern in die Schule? K. O ja, da lern ich ja etwas. L. Sieh einmal, wie viel
Gutes dir deine Aeltern thun! Solltest du sie nicht ehren und werthschatzen ?
K. Das thue ich auch. [...] L. Verstehn sie besser, was dir mitzlich ist, oder
du? [...] L. [...] Was thun aber Kinder, die ihre Aeltern ehren? K. Sie sind
gern bei ihnen, sie sind still, sie helfen ihnen, sie gehn einen Weg fur sie aus.
[...] L. Wie soil es den Kindern gehn, welche ihre Aeltern ehren?" (Walkhof
1797: 8ff.; Hervorhebungen von mir, J.K.)
Hier lasst nicht nur der Schiller das auslautende schwachtonige /a/ zumeist weg,
sondern auch dem - immerhin von einem Landschulinspektor erfundenen -
Lehrer wird die sprechsprachliche Synkope in den Mund gelegt („verstehn",
„gehn"). Diese „Stutzung" des hi haben die Grammatiker der Zeit fast einhel-
lig missbilligt; sie „machet die Sprache rauh", schreibt Gottsched, und Adelung
weist darauf hin, dass sie den „Wohllaut" gefahrde, insofern die Schlusskon-
sonanten dann stimmlos ausgesprochen werden ([lo:p] statt [loiba]), also die
Auslautverhartung einsetzt.17 Wenngleich Adelung sich hier auf die gespro-
chene Sprache bezieht, ist sein Urteil freilich schriftsprachlich verwurzelt; in
der Poesie wie in der gesprochenen Sprache zahlte es durchaus zum „Wohl-
laut", einen Hiatus zu vermeiden und, z. B., „wunsch ich" zu notieren (vgl. z.B.
Bodiker 1746: 580).
Vgl. Gottsched 1762: 535f.; Adelung 1782,1: 780.