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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.42440#0005
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LnaWnMes KanWlatt ffr Ne Meressen des deutschen Mittelstandes


Mttelstandlerijch-VirtschaMiche Zeitung
Zeitung für gesunde Wirtschastsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller stch zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.


MSwcftSeiMe Biirgcr-Zeitmg
Bezugspreis monatlich 0,50 Reichsmark. Bei Postbezug vier-
teljährlich 1,50 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern wird
kein Ersatz geleistet. Der Änsertionspreis ist 10 Reichspsennig
für die achtgespaltene Millimeterzeile oder deren Raum.
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Jahrgang 4929

Sonntag, 4. September.

Ar. 4

Der Einsicht eine Gasse!



shklki-reiliW!


diese Ein-
christlichen
verurteilt,
bischöfliche
Es weist

eimarer

wenn sie ihre Betriebstechnik in die Höhe brin-
gen, sie wollen die Gewerkschaften zerschlagen
(deshalb mühen sie sich bei jedem Konflikt um
die öffentliche Meinung!, sie wollen die Finan-
zen sabotieren, und außerdem sind sie gesamt-
wirtschaftlich belanglos../' Ist es nicht ein
Martyrium, in einer solchen Stickluft von nie-
derträchtiger Verleumdung und stupider Feind-
schaft auf verantwortungsvollem Posten an der
unerhört schweren Aufgabe arbeiten zu müs-
sen, eine von Krieg, Revolution und Inflation
erschütterte Wirtschaft wiederaufzurichten und
in Gang zu halten? Wär's ein Wunder,
wenn die ewig Angegriffenen eines Tages die
Nerven verlören und die Flinte ins Korn
würfen? Und was dann?
Man sieht, wie zeitgemäß und bedeutungs-
voll es ist, wenn Kardinal Schulte sich un-
zweideutig gegen den falschen Gedanken wen-
det, daß die Not der Zeit lediglich durch den
mangelnden Willen oder gar durch das Uebel-
wollen dieser oder jener Personen oder Volk-
kreise verursacht sei, und wenn er
stellung als unverträglich mit dem
Gedanken de: gegenssitrgsn Liebe
Man kann nur hoffen, daß dieses
Wort lebendig, weiterwirken wird,
auf den rechten Weg, auf dem die kirchlichen
Organe mit Aussicht auf reichen Erfolg an
der Milderung der sozialen Gegensätze und
der Herbeiführung des inneren Wirtschaftsfrie-
dens Mitarbeiten können. Das Volk, das in
der giftgeschwängerten Klassenkampfatmosphäre
das Sehen verlernt har. muß wieder sehend ge-
macht werden. Es muß von der Despotie ver-
dummender Schlagworte befreit und aus dem
Vanne der Vorurteile und Illusionen erlöst
werden, um sich endlich auf den harten Boden
der Tatsachen zu stellen, auf dem allein sich
für uns alle wenigstens eine bessere Zukunft

Ein Bischofswort.

des deutschen Volkes immer noch nicht klar die
Ursache aller unserer Schwierigkeiten und Lei-
den erkannt hat, obwohl sie mit Händen zu
greifen ist. Wir alle haben den schmählichen
Gewaltfrieden von Versailles, die schamlose
Ausplünderung Deutschlands durch die Sieger
erlebt, die sich zurzeit im Haag um die Beute
balgen. Ungeheuer ist das Unrecht, das man
uns zugefügt hat, ungeheuer die Verluste, die
wir erlitten, ungeheuer der Tribut, den man
uns für Generationen auferlegt hat. Mele,
sehr viele Deutsche haben das alles zwar auch
erlebt und doch nicht erlebt, jedenfalls nicht in-
nerlich erlebt und verarbeitet. Alle diese Keu-
lenschläge waren noch nicht wuchtig genug, sie
aus ihrer gedankenlosen Oberflächlichkeit auf-
zuscheuchen und sie von ihrer vorgefaßten Ein-
stellung abzubringen, die — ein deutsches Erb-
übel — die Schuld an allem Elend deutschen
Volksgenossen' aufbürden will. Ungeheuerlich
ist das Ausmaß dieser Verblendung und frem-

Sozialdemokraten, Zentrumsleutc und De-
mokraten hatten sich zusammengetan. So sehr
sie übereinstimmten, so gingen sie doch von ver-
schiedenen Weltanschauungen ans. Die beiden
bürgerlichen Parteien standen trotz aller Ab-
neigung gegen den gestürzten Obrigkeitsstaat
auf dem Boden der bisherigen Staats- und Ge-
sellschaftsordnung, die Sozialdemokraten dage-
gen hätten am liebsten die Welt nach ihren
Theorien umgemodelt. Tie Ueberbrückung der
Gegensätze wurde allerdings dadurch erleichtert,
daß auch die letzteren sich scheuten, die durch die
politische Revolution angerichtete Verwirrung
noch durch eine soziale zu vermehren: aber da-
rum wollten sie weder, noch konnten sie schon
aus Rücksicht auf ihren Anhang ihre Ideale
preisgeben. Man gelangte auf diese Weise
oon Fall zu Fall zu einem Kompromiß, in dem
man den sozialistischen Bestrebungen möglichst
weit entgegenkam. auf der anderen Seite aber
ihre praktische Durchführung versagte oder so
bedingte, daß man zu keinem unmittelbaren
Bruch mit der gegenwärtigen Wirtschaftsord-
nung gezwungen war. Im Zeichen dieses Kom-
promisses zwischen bürgerlichen und sozialisti-
schen Anschauungen stehen die Bestimmungen
der Verfassung über das Eigentum (KZ 153
-156).
Als eine Angelegenheit des bürgerlichen,
nicht des öffentlichen Rechtes bedarf das Pri-
vateigentum grundsätzlich keiner Regelung
durch die Verfassung. Da aber die Staats-
grundgesetze ursprünglich überall als eine Ab-
wehr gegen absolutistische Eingriffe und als
Schutz der Bürger und ihres Vermögens gegen

den Beobachtern kaum verständlich: sie verheh¬
len Mangel an Einsicht, der zu dem hohen An-
sehen der deutschen Schulbildung und der In¬
telligenz des deutschen Volkes im Ausland in
schärfstem Gegensatz steht. Es ist beschämend
für jeden Deutschen von Ehrgefühl, über die¬
sen Punkt mit Ausländern sich zu unterhalten.
Besonders beliebt als Sündenbock und Prü¬
gelknabe ist in Deutschland die Schwerindustrie,
vor allem diejenige des Ruhrreviers. Es gibt
kaum etwas, wofür man sie haftbar machen
möchte. Mit scharfem Spott, aber ohne Ueber-
treibungen sagt Dr. Stolper im Deutschen
Volkswirt von dieser Rolle der Schwerindu¬
strieellen: „Sie haben bekanntlich den Krieg
herbeigeführt, um sich an ihm zu bereichern,
sie haben bekanntlich den rechtzeitigen Frieden
verhindert, um ihre Macht zu stabilisieren, sie
haben den Ruhrkampf, die Inflation, kurz al¬
les Elend, von dem Deutschland seit 1914 heim¬
gesucht ist, gewollt und herbeigefiihrt. Bekannt¬
lich. Wer wogt zu zweifeln? Sie wuchern,
auch wenn sie sich verschulden und keine Divi¬
dende verdienen, sie verschleudern Kapital, > Parteien mundgerecht zu machen.

Man würde den Schöpfern der Weimarer
Verfassung unrecht tun, wollte man ihr Werk
mit dem Bismarcks aus dem Jahre 1871 ver-
gleichen. Der Kanzler stand damals am Ende
einer Entwicklung, deren erfolgreicher Abschluß
von der gesamten Nation mit Jubel und Be-
friedigung begrüßt wurde. Er hatte nur einen
Zustand, der sich aus den Ereignissen selber
ergab, in die erforderlichen juristischen Formen
zu fassen, und er erledigte diese Aufgabe mit
dem gewohnten praktischen Blick ohne Ueber-
schwung und ohne' überflüssige Phrase. Er
konnte sich auf das staatsrechtlich Notwendige
beschränken.
Ganz anders war die Lage 1919. Man
stand inmitten eines Chaos. Es galt nicht, wie
vor einem halbenJahrhundert, die reiche Ernte
der Vergangenheit in die Scheune zu bringen,
sondern mußte eine neue Aussaat für die Zu-
kunft vornehmen, man mußte die Grundlagen
für das Fortbestehen des Deutschen Reiches
Waffen. Die Weimarer Verfassung ist ein
Programm. Sie regelt zwar auch den staats-
rechtlichen Aufbau des Reiches und der Län-
der, daneben aber entwirft sie Richtlinien für
die künftige Entwicklung, stellt dem neuen staat-
lichen Gebilde alle möglichen Zukunftsaufgaben
und ergeht sich in Verheißungen, an deren Ver-
wirklichung in absehbarer Zeit die Verfassungs-
geber selbst sehr begründete Zweifel haben
mußten und in der Mehrzahl wohl auch hat-
ten. Diese Versprechungen waren aber nötig,
um das Werk überhaupt zustande zu bringen
und um es den verschiedenen mitarbeitenden

Im Kirchlichen Anzeiger der Erzdiözese Köln
vom 15. Juli hat Kardinal Schulte im Anschluß
an das Vorgehen des Erzbischofs von Freiburg
Stellung gegen dis sogenannte „Christlich-sozi-
ale Bewegung" und die von Vitus Hel-
ler herausgegebene Zeitung ,D«s neue Volk"
genommen. Er warnt dringend alle Katholiken
vor dieser Zettschrift und untersagt den Geist-
lichen der Erzdiözese jede Mitarbeit daran: im
Anschluß daran ermahnt er den Klerus, auch
der ähnlich gearteten Bewegung der sogenann-
ten „katholischenSozialisten" klar und bestimmt
entgegenzutreten.
Die Eeistesrichtung von Vitus Heller, dem
Führer der christlich-sozialen Bewegung, läßt
stch am besten durch die folgenden Sätze kenn-
zeichnen, die er in einem Schreiben an den
Schriftleiter W. Elfes der Westdeutschen Arbei-
terzeitung (Nr. 41 vom 9. Oktober 1926 aus-
gesprochen hat: „Dis Quells heutiger Krank-
heit ist der Kapitalismus. Den reden wir nicht
tot, sondern den können wir nur durch die sitt-
liche Macht des Willens der Massen, der poli-
tischen Macht, überwinden. Solange wir diese
Macht nicht haben, müssen wir sie politisch zu
erringen suchen. Dazu ist die Zusammenfassung
des ganzen Proletariats, die Stärkung unserer
Partei, die eine zielbewußte Linkspolitik mit
dem übrigen Proletariat treibt, damit die Be-
arbeitung der Massen für unsere Bewegung."
Wie man sieht, gehört Vitus Heller zu den un-
belehrbaren Fanatikern, die sich für berufen
halten, den Nöten unserer Zeit abzuhelfen, ob-
wohl sie wegen der Enge ihres Horizontes und
ihrer kritiklosen Widerstandslosigkeit gegenüber
Vorurteilen und Schlagworten am allerunge-
eignetsten dazu sind. Mit demselben Scharf-
blick, der seinen Richtlinien zum sozialen Ver-
ständnis vom Jahre 1927 besonderen Wert ver-
lieh, hat Kardinal Schulte kurz und treffend
die Schwächen der Hellerschen Richtung charak-
leressiert. „Bon dem falschen Gedanken gefan-
gen", so sagt er, „daß die Not der Zeit lediglich
durch den mangelnden Willen oder gar durch
das Uebelwollen dieser oder jener Personen
oder Volkskreise verursacht sei, werden die An-
hänger dieser Bewegung in eine Eesinnug hin-
eingeführt, die sich nicht mehr mit dem katho-
lischen Gedanken der gegenseitigen Liebe ver-
einbaren läßt und die auch da und dort bereits
durch häßlichen Hader und Streit Schaden an-
gerichtet hat."
Hier hat der Kölner Kirchenfürst den Fin-
ger auf eine eiternde Wunde gelegt, an der
das ganze deutsche Volk schwer leidet. Seine
Worte treffen nicht nur auf Vitus Heller und
feine Gefolgschaft zu, auch viele andere sind
demselben Irrtum erlegen und fallen dadurch
'M Ungerechtigkeit und Gehässigkeit. Denn nur
Lu häufig ist Irrtum und Unwissenheit die
Quelle des Hasses. „The man you hate is the
man you don't know", sagt nicht mit Unrecht
ein englisches Sprichwort: Der Mann, den du
haßt, ist der Mann, den du nicht kennst. Die-
ser Satz hat eine ganz besondere Bedeutung
in dem klassischen Lande des Klassenkampfes,
in oem der Haß als macht- und sozialpolitischer
Faktor systematisch gepflegt wird. Haß aber
wacht blind, wie der Volksmund richtig sagt;
aus Unwissenheit entstanden, erzeugt er selbst
wider Unwissenheit. Das deutsche Volk ist in
einer trostlosen Lage. Es lebt unter einem
von schwarzen Wolken verhüllten Horizont in
einer vergifteten Atmo^vbärs des Hasses und
beides, und aus dieser Atmosphäre steigen im
wer wieder Dünste auf, die den Horizont noch
wehr verdunkeln und dem befreienden Licht der
Erkenntnis den Zugang erschweren.
So kommt es, daß jetzt — fast elf Jahre
dach dem Ende des Krieges — ein großer Teil

erarbeiten läßt. In diesem Sinne zu wirken,
liegt auch im Interesse der Kirche selbst. Denn
die Vernebelung derGehirne und die Schiirung
der Unzufriedenheit ist dem Marxismus zu-
gleich ein Mittel, um die Geister dem Einfluß
der Kirche zu entziehen. Die von Kardinal
Schulte erwähnte Bewegung der sogenannten
katholischen Sozialisten zeigt am besten, welche
Gefahr hier droht.
Ist die Aufgabe, die hier dem Klerus er-
wächst, denn so schwer zu erfüllen? Doch wohl
nicht. Vor mir liegt der Bericht der Westdeut-
schen Arbeiterzeitung über den Frühjahrsdele-
giertentag der Kath. Arbeitervereine in Opla-
den, auf dem Studienrat Dr. Mergentheim
einen Vortrag über „Arbeitervereine und Poli-
tik" hielt. Der geistliche Redner führte u. a.
aus: „Im übrigen ist der Grund für die Miß-
stimmung und das mangelnde Vertrauen vor
allem die Tatsache, daß es uns heute noch
schlecht geht. Wir vergessen aber zu leicht, daß
wir einen Weltkrieg hinter uns haben, der un-
schätzbare Werte vernichtet hat, und daß das
deutsche Volk der Leidtragende, weil der Unter-
legen,-, ist. Man darf nichl vergessen, daß der
einzige Krieg, den man mit dem Weltkrieg in
seiner Auswirkung auf Deutschland vergleichen
kann, der Dreißigjährige Krieg, rund 260
Jahre in Deutschland nachgewirkt hat. Die
Besserung kann nur langsam kommen, das
müssen wir ganz klar sehen und das unsere da-
ran tun, daß der Heilungsprozeß durch eine
kluge und gute Politik nach gefördert wird."
Hier ist mit wenigen schlichten Worten, die
auch dem einfachen Manne verständlich find,
der Kernpunkt getroffen. Das ist die rechte
Weise, um Bresche in die Mauer von Vorur-
teilen zu 'chlagen und so dem Licht der Er-
kenntnis und des inneren Friedens Durchgang
zu schaffen.

Das Eigentum in -er
Verfassung.
Von Prof. Dr. Max I. Wolff, Berlin.
 
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