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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1929

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Heidelberger

Mittelstands-Zeitung
Unabhängiges KamMatt ffr Sie gntereffen Ses Seutscheu MiNeistanSes

MtteWKdkeMch-WiMchaWche Zeitung
Zeitung für gesunde Wirtschaftsintecesfen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.


MweMuM« Mrger-Zritnm
Bezugspreis monatlich 0,50 Reichsmark. Bei Postbezug vier-
teljährlich 1,50 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern wird
kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichspfennig
für die achtgespaltene Millimeterzeile oder deren Raum.
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Zahrgang 1929

Sonntag, 22. September.

Nr. 4

Warenhäuser und Einzelhandel.
Die Sauptgemeinfchaft des deutsch. Einzelhandels fleht vor der Entscheidung.

Die Hauptgemeinschaft des deutschen Ein-
zelhandels ist und soll sein die Spitzenorga-
nisation des deutschen Einzelhandels aller Ka-
tegorien. Die mittelständischen Einzelhandels-
betriebe sehen in dieser Organisation ihre be-
rusene Interessenvertretung nach oben hin.
Leider hat die Hauptgemeinschaft diese ihre
wichtige Mission in den ganzen letzten Jahren
in einer Weise erfüllt bzw. nicht erfüllt, die
stärksten Unwillen in den beteiligten Einzel-
handelskreisen hervorrief und stürmische De-
batten hinter den Kulissen zur Folge hatte.
Die Ursachen für das Versagen der Hauptge-
weinschaft auf diesem ihrem eigentlichen Tä-
tigkeitsgebiete sind mannigfacher Art, vor
allem aber persönlicher Natur. Man must sich
vergegenwärtigen, dast die organisatorische und
taktische Leitung der Hauptgemeinschaft bei den
Herren Grünfeld und Dr. Tiburtius liegt —
beides fanatische Anhänger der verschrobenen
Ides. Einzelhandel und Warenhäuser — diese
geschworenen natürlichen Feinde! unter
einen Hut bringen zu. können. Demgemäst
war auch die Einstellung der Hauptgemein-
!chaft zu allen wichtigen, dieses Gebiet berüh-
renden wirtschaftspolitischen Fragen. Die
Hauptgemeinschaft sah ihre vornehmste Auf-
babe nicht darin, die lebenswichtigen Inter-
essen des mittelständischenEinzelhandels wahr-
Mnehmen, sondern strebte „höheren" Zielen
Zu. Diese sah sie vornehmlich in einer — un-
natürlichen — Vereinigung des Einzelhandels
Wit den Warenhäusern. Diese Taktik hat die
Hauptgemeinschaft in Situationen hineinma-
Növeriert, die für den Einzelhandel und für
den gesamten deutschen Mittelstand auster-
ardentlich gefährlich sind und waren. Die In-
teressenorganisation der Warenhäuser besitzt
die Mitgliedschaft in der Hauptgemeinschaft
des deutschen Einzelhandels! Schon das allein
ist austerordentlich bedenklich, weil es eine
widernatürliche Ehe bedeutet, die auf die
Dauer unmöglich ist.
Denn bei der bekannten finanziellen und
organisatorisches llebürmacht der Waren-
hausorganisationen fiel es diesen nicht schwer,
allmählich die ganze ideelle und materielle
blebermacht, die stille, aber zielbewusste rind
energische Führung in der Hauptgemeinschaft
an sich zu reisten. Das hat zu erregten und
verbitterten Debatten innerhalb der Hauptge-
weinschaft geführt — allerdings nur hinter
den Kulissen. Die einzelhändlerischen Mit-
llliedschaftsorganisationen der Hauptgemein-
kchaft muckten zwar auf, aber nur heimlich,
still und leise. Offen wagte kein Mensch gegen
die Usurpation der Hauptgeme-inschaft durch
die Warenhausgewaltigen au.fzutretenll Das
kam am besten auf den Verbandstagunpen
der Hauptgemeinschaft zum Ausdruck. Wäh-
rend im wirtschaftspolitischen Leben Deutsch-
lands ein gewaltiger Kampf gegen die Waren-
häuser und ihr Vordringen tobte, während
sich die Front des mfttelständifchen Einzelhan-
dels und Gewerbes immer dichter gegen die
Warenhausgefahr schloß, merkte man auf den
Tagungen der Hauptgemeinschaft wenia oder
gar nichts von diesen lebenswichtigen Kämp-
ien gegen dre zunehmende Warenhausaefahr.
Im Gegenteil, stand ja einmal die Waren-
hausfrage zur Debatte, dann sorgte die geris-
sene Regie der Warenhausorganisationen im
Verein mit der verbindlichen, zu Kompromis-
sen geneigten, und darum so gefährlichen Men-
talität der Führer der Hauptgemeinschaft da-
für, dast kein brutales, nicht einmal ein offe-
nes Wort gegen die Warenhäuser fiel. Jede
Debatte über diesen Punkt wurde von vorn-
herein abgehoben, ernsthaft durfte über die
TKarenhausgefahr als Gefahr überhaupt nicht
gesprochen werden und wurde ja einmal von
den Warenhäusern gesprochen, dann geschah

das pianisfimo und in so konzilianter, von den
Warenhausgewaltigen dirigierter Form, dast
jede solche Debatte in ein Loblied auf die
Warenhäuser umgebogen wurde! Das ist fast
auf jeder Tagung geschehen. Die Warenhaus-
vertreter bekamen die grasten Referate auf
den Tagungen zugeschänzt, in denen sie dann
in der bekannten Manier die Vorzüge und
Unentbehrlichkeit der Warenhäuser und ihr
eigenes System reisen konnten: eine Debatte
wurde entweder überhaupt nicht zugelassen
oder sie wurde so dirigiert, dast kein hartes
Wort gegen die Warenhäuser fallen konnte
und durfte. Die wenigen, austerdem in sich
selbst Nicht einigen Elemente der Opposition
aus Einzelhandelskreisen wurden in die Ecke
gedrückt und eine Entschliestung gefasst, die der
staunenden Oefsentlichkeit, vor allem aber dem
Einzelhandel und Mittelstand aufs neue ver-
sicherte, wie innig und unverbrüchlich die
Freundschaft zwischen Warenhäusern und Ein-
zelhandel sei, dast keine Trennung oder Stö-
rung ihrer innigen Beziehungen stattfinden
dürfe — und die Warenhausgewaltigen durf-
ten sich jedesmal ins Fäustchen lachen . . .
Einsichtige Kreise im Einzelhandel haben
diese Entwicklung, die immer sprunghafter vor
sich ging, mit ziemlicher Besorgnis verfolgt,
aber wie gesagt, zu einer einigen, geschlossenen
und zielbewussten Opposition kam es nie —
aus Gründen, die hier nicht näher aufgezeigt
werden können.
Allerdings gürt es unter der Oberfläche
beträchtlich und von Zeit zu Zeit macht sich
diese Gärung auch ratsächlich in irgendeiner
Weise Luft. So liegt jetzt für die >m Sep-
tember stattfindende Tagung der Hauptge-
meinschaft
ein Antrag vor, den deutschen Waren-
hausvcrband aus der Hauptgemeinschaft
auszuschliehen.
Dast dieser Antrag beträchtliches Aufsehen in
den in Frage kommenden Kreisen hervorgeru-
fen hat, ist selbstverständlich. Die ganze wa-
renhausfreundliche Presse ist auf den Plan
getreten, um diesen Antrag in Grund und Bo-
den zu donnern. Unter den Blättern, die zu
dieser Richtung gehören, befindet sich merk-
würdigerweise auch das Zentralorgan der so-
zialdemokratischen Partei, der „Vorwärts"
von dem man annehmen müsste, dast er die
Warenhäuser als großkapitalistische Einrich-
tungen bis aufs Messer bekämpft. Weit ent-
fernt davon aber nimmt dieses sozialdemokra-
tische Blatt die Warenhäuser in einer Weise
in Schutz, die gleicherweise symptomatisch ist
für die Einstellung der Sozialdemokratie zum
Mittelstand, wie zu ihrer direkten Freundschaft
für das Grohkapital. Da die Ausführungen
des „Vorwärts" aber auch symptomatisch für
die Einstellung der gesamten warenhaus-
freundlichen Presse find, wollen wir die unter
dem Titel -„Kleinbürqergeist" erschienenen
Ausführungen auszugsweise hier wiedergeben:
„Würde dieser Antrag angenommen und
durchgeführt, so wäre die bisherige wirt-
schaftspolitische Einheitsfront t! !) des deut-
schen privaten Einzelhandels im kleinen und
grasten gesprengt. Es handelt sich bei dem
Antrag also um eine Spaltung der Hauptgs-
meinschaft, die eine selbständige Wirtschafts-
vertretung der deutschen Warenhäuser unab-
hängig vom übrigen Einzelhandel zur Folge
haben könnte. Die Tatsache kennzeichnet den
Geist, der vielfach noch in den Kreisen des
deutschen Einzelhandels lebt. Es ist ein sehr
dilettantischer, weit von allen kaufmännischen
und volkswirtschaftlichen Erwägungen ent-
fernter Kleinbürgergeist l!!) der aus diesem
Antrag spricht.

Es ist natürlich, wenn sich die deutschen
Warenhäuser aus einem solchen Antrag nicht
viel machen. (?? Wer sagt das? — Anmerk,
d. Schrift!.) Die Kraft der Warenhausent-
wickkung liegt in der kapitalsmästigcn Ueber-
legenheit... Demgegenüber ist der kleinere
Einzelhandel keineswegs waffenlos. Bedauer-
lich demgegenüber, dast man sich in den letz-
ten Jahren wieder auf die alten und schlech-
ten Kampfmittel der Vorkriegszeit besonnen
hat, durch steuerliche Ausnahmebedingungen
einen vollen Erfolg erzielen zu wollen..."
*
Die wohlwollende Sorge der warenhaus-
freundlichen Kreise, wie sie hier in einer Pres-
sestimms zum Ausdruck kommt, ist direkt rüh-
rend. Bisher hat sich niemand von den wa-
renhausfreundlichen Kreisen, die leider gröster
sind, als mancher annimmt, wenig oder gar
nicht um die Lebensfragen des kleinen und
mittleren Einzelhandels gekümmert. Gerade
die Sozialdemokratie ist ja bekanntlich auf die
völlige Beseitigung aller privatwirtschaftlichen
Kräfte damit also auch des Einzelhandels —
aus. Aber das nur nebenbei. Man sieht, der
Antrag auf Ausschluß der Warenhäuser aus
der mittelständischen Hauptgemeinschaft hat ge-
wirkt wie ein Griff ins Wespennest. Es ist

Während in früheren Jahren der Zustand
der Reichsfinanzsn von den Parlamenten und
der Bürokratie zur Ermöglichung der Aus-
gabewirtschaft nicht günstig genug geschildert
werden konnte, wetteifern dieselben Stellen
unter Führung der Bürokratie seit einiger
Zeit darin, den Zustand der Reichsfinanzen
möglichst schwarz zu schildern, um die schon
wiederholt versprochene Steuerreform und
Steuersenkung ebenfalls zugunsten einer Fort-
setzung der bisherigen Ausgabewirtschaft nicht
durchführen zu brauchen.
Es ist scharf zu unterscheiden zwischen der
Kassenlage des Reiches und der Finanzlage.
Die Kassenlage des Reiches ist tatsächlich alles
andere als erfreulich. Nachdem die steuerfreie
Reichsanleihe im Gesamteingangsvetrag von
180 Millionen RM. und der Bankkredit von
52 Millionen Dollar die Kassenlage zunächst
etwas erleichtert hatten, beginnen jetzt neue
Schwierigkeiten. Die Ende September zurück-
züzahlenden Reichsschatzanweisungen im Be-
trage von 151 Millionen RM. sind zwar um
vier Monate prolongiert worden: sie sind aber
Ende Januar einschließlich anderer ähnlicher
Verpflichtungen mit insgesamt 210 Millionen
NM. fällig. Ebenfalls werden in absehbarer
Zeit fällig die bei der Reichsbank aufgenom-
menen Betriebskredite, die von der Reichspost,
der Reichsbahn und ähnlichen Stellen aufge-
nommenen Darlehn usw., während die den
Versicherungsanstalten im Laufe dieses Jahres
an Stelle der baren Neichszuichüsse ausgehän-
digten Schuldverschreibunaen «insgesamt rund
165 Millionen RM.) bis 19.85 befristet sind.
Größere Schwierigkeiten in der Kassenlage wer-
den sich vermutlich Ende November zeigen:
auch bei optimistischer Einstellung ist bis Ende
1929 mit einem kastenmässigen Fehlbetrag von
rund 150 bis 180 Millionen RM. zu rechnen,
der sich bis Ende des Etatsjahres (also bis
zum 31. März 1930) auf rund 300 bis 350
Millionen RM. belaufen wird.
Demgegenüber ist die Entwicklung der
Reichsfinanzen — soweit sie aus den Einnah-
men der ersten vier Monate dieses Etatsjahres
ersichtlich gemacht werden — viel günstiger, als
die Finanzbürokratie wahrhaben will. Das
gesamte Soll an Steuern und Zöllen beträgt

leiher anzunehmen, dast die offizielle Leitung
der Hauptgemeinschaft bis zum Herbst dem
Druck der warenhausfreundlichen Presse wie-
der erliegen wird. Es ist anzunehmen, daß
dem Antrag auf dieser Tagung noch kein Er-
folg beschieden sein wird. So schnell lässt sich
der Kurs einer großen Organisation leider
nicht ändern, besonders, wenn die Opposition
einer einheitlichen festen Führung ermangelt
und stck in sich selbst zersplittert.
Dennoch dürfen die einzelhändlerischen
Kreise den Kampf nicht aufgeben. Die ganze
Entwicklung drängt gebieteirisch nach Siner
klaren Scheidung der Geister. Die ideologische,
von den jetzigen Führern der Hauptgemein-
schaft vertretene Auffassung von einer bedin-
gungslosen Symbiose zwischen Warenhauska-
pital und selbständigem Einzelhandel wird
einmal doch fallen müssen, wenn sich der Ein-
zelhandel nicht selbst aufgeben will. Auf die-
ses Ziel haben alle Kräfte, denen an einer
Erstarkung und nicht am Untergang der selb-
ständig schaffenden wirtschaftlichen Stände ge-
legen ist, sich zu konzentrieren. Eine klare
Ziehung der Grenzlinien gibt dem mittelstän-
dischen Einzelhandel volle Bewegungsfreiheit
und Aktionsfähigkeit wieder die er heute
bei der unnatürlichen Zwangsehe mit den
Warenhäusern leider nicht besitzt!

für dieses Ctatsjahr 9288 Millionen RM: für
die ersten vier Monate beläuft sich das Soll
also anteilmäßig auf knapp 3100 Millionen
RM. Das tatsächliche Ist betrug in derselben
Zeit aber 3257 Millionen RM: es entspricht
einem Jahresist von rund 9800 Millionen
RM: das voraussichtliche Jstaufkommen für
1929 wird also um rund eine halbe Milliarde
RM. höher sein, als es dem angeblich über-
setzten Voranschlag entspricht. Nach dem jetzi-
gen Stand der Dinge ist nicht anzunehmen,
daß die Reichseinnahmen in den kommenden
Monaten nachlassen werden.
Gerade den größeren Steuerzahlern sind
erst in den letzten Wachen die Veranlagungen
zugegangen, auf Grund deren teilweise sehr
erhebliche Nachzahlungen geleistet werden müs-
sen, dementsprechend hoch sind natürlich auch
die Vorauszahlungen, die in sehr vielen Fäl-
len wesentlich höher liegen als die bisher ge-
leisteten Vorauszahlungen. Die Umsatzsteuer
hat in den ersten drei Monaten nickt nur
einen ihrem Jahressoll entsprechenden Betrag
gebracht, sie ist sogar darüber noch hinausge-
gangen: auch hier ist zum mindesten mit einem
Eleichbleiben zu rechnen, da sich die Umsätze —
ob sie preismäßig befriedigend sind, ist natür-
lich eine andere Frage : verhältnismäßig gün-
stig entwickelt haben. Vor besonderem Wert
ist aber die Feststellung, daß in der Hauptsache
das Mehrist aufgebracht worden ist nicht von
den Zöllen und Verbrauchsabagben, sondern
von den Besitz- und Verkehrssteuern: denn
diese haben von einem Jahressoll von rund
6300 Millionen RM. im ersten Drittel dieses
Jahres fast 2300 Millionen RM. erbracht (al-
lein die Einnahmen aus der Vermögenssteuer
waren um 40 bis 50 Prozent höher als im
Vorjahr). Allein bei den Besitz- und Ver-
kehrssteuern ergibt sich also trotz der gerade
hier vorgenommenen hohen Schätzungen ein
voraussichtliches Jahresist, das um mehr als
500 Millionen RM. über dem — was immmer
wieder betont werden sollte — nur aus Etats-
gründen so hoch geschätzten Soll liegt. Gerade
auf die schon seit längerer Zeit zu beobachtende
Steigerung des Aufkommens auf Besitz- und
Verkehrssteuern kann aber nicht deutlich genug
hingswiesen werden, weil sich aus ihr eine

Steuersenkung ist möglich!
Die Kinanzbürokraüe als Hindernis.
 
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