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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.42440#0087
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Zeitrmg für gestmds Wirtschaftsirrteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Hans- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe mrd aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.

Jahrgang ^929


Sonntag, 29. Dezember.

MMMNWe Bürger-Zettung
Bezugspreis monatlich OchO Reichsmark. Bei Postbezug vier-
teljährlich 1,50 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern wird
kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichspfennig
für die achtgespaltene Millimeterzeile, oder deren Raum.
Reklamen 0,40 RM pro mm-Zeile.

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Aekenniliis eines Sozialisten.


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kommen, hatte seinerzeit Richard Calver an
einem bestimmten Beispiel gezeigt. Calver hat
berechnet, daß ein Privatunternehmen, wenn
es ein öffentlich-rechtliches gewesen wäre, an
Grund-, Hauszins-, Vermögenssteuern und Jn-
dustriebelastung rund 400 000 RM. gespart
hätte. Es lässt sich leicht ermessen, um wieviel
besser man arbeiten kann, wenn man diese
400 000 RM. nicht zu zahlen hat. Die Her-
stellung einer Vergleichsmöglichkeit ist aber
unbedingt erforderlich. Man must wissen, ob
Betriebe, die aus allgemeinen Geldern geschaf-
fen worden sind, auch die höchsten Leistungen
erzielen. Die Bereitstellung öffentlicher Mit-
tel zur Aufrechterhaltung veralteter Wirt-
schaftsmethoden kann nicht geduldet werden.
Wenn aber öffentliche Unternehmen aus sozia-
len Gründen Massnahmen treffen dürfen, die
von der Privatwirtschaft wegen Unrentabili-
tät abgelehnt würden, so soll man ihnen Aar
erkennbare Zuschüsse geben, aber sie nicht von
allgemeinen Abgaben befreien. Es gibt Ge-
biete und Tätigkeiten, bei denen der öffentliche
und andere, bei denen der Privatbetrieb am
besten zu arbeiten vermag. In den meisten
Fällen aber hat die Privatwirtschaft der
öffentlichen gegenüber eine Reihe von Vor-
teilen, die nicht aus der Welt geschafft wer-
den können. Die öffentliche Hand ist selten
glücklich oder geschickt: denn die Leistung ihrer
Betriebe ist in der Regel schwerfällig. Die
Schwerfälligkeit verhindert leicht die Anpas-
sung an die Bedürfnisse der Konsumenten. Bei
allen öffentlichen Betätigungen ist die Neigung
vorhanden, alles über einen Leisten zu schla-
gen, während das was uns wirklich nottut,
die Differenzierung, die Anpassung an die Er-
fordernisse des einzelnen Falles ist.
Die öffentliche Wirtschaft wird in der Re-
gel auch nicht so sparsam sein, wie es die Pri-
vatwirtschaft ist. Die Neigung, aus dem Vol-
len zu schöpfen, ist nur allzu stark. Das ist
aber umso schändlicher, wenn man nicht die
gleiche Verantwortung zu tragen hat, wie das
in der Privatwirtschaft üblich ist. Von beson-
derer Bedeutung ist es. dass die öffentlichen
Instanzen, wenn sie selber wirtschaften, das
Recht der Aufsichtsführung nicht in der Weise
auszuüben vermögen, als wenn sie das Wirt-
schaften selber den Privatbetrieben überlassen.
Hier liegt übrigens einer der Punkte, die am
stärksten gegen die allzu umfangreiche Betäti-
gung der öffentlichen Hand sprechen. Wenn
sie selber wirtschaften, fällt die scharfe öffent-
liche Kontrolle weg.

ch
tungspflichr heraus - erneut seine warnende
Stimme erhebt, so geschieht das nicht aus Nei-
gung zum Pessimismus, sondern aus der
Zwangslage heraus, in die uns die vollstän-
dig verfehlte Wirtschafts- und Finanzpolitik
der letzten Jahre gebracht hat. Noch halten
wir eine Umkehr für aussichtsreich, noch lebt
die Wirtschaft, wenn auch in allerschärfstem
Kampf um ihre Existenz. In der heutigen
Reichstagssitzunff werden die Finanzvorschläge
der Regierung vorgelegt werden. Das ist we-
nistens ein Lichtblick in dieser trotzlosen Lage,
wenn wir uns auch mit dem, was geboten wer-


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e ci.

Neichstellung der öffentlichen mit
den privaten Betrieben.

Nie deutsche Industrie zur Sozial-
und Finanzpolitik

Auf der austerordentlichen Mitgliederver-
^Mmlung des Reichsverbandes der Deutschen
Industrie, die am 12. Dezember 1929 in Ber-
m stattsand, und die s. Zt. mit Spannung er-
wartet wurde, wurden sehr bedeutsame Reden
^halten.
Geheimrat Duisberg führte aus:
Von vornherein möchte ich schon jetzt er-
lären, dast das deutsche Unternehmertum in
Kiner Gesamtheit jeden Zweckpessimismus ge-
!*au sowie jede Katastrophenpolitik aufs
Härffte ablehnt. Wenn heute das Unterneh-
mertum aus dem Gefühl seiner Verantwor-

Die vorzugsweise steuerliche Behandlung
^eler Betriebe der öffentlichen Hand ist schon
ftt langem ein vielerörtertes Thema. Die nur
berechtigte Forderung, eine Gleichstellung
^idsrBetriebsarten herbeizuführen, wird auch
M den Leitsätzen des Reichsverbandes der deut-
en Industrie zur Umstellung der deutschen
Wirtschaftspolitik erneut erhoben. Bei der
Öffentlich recht bald in Angriff zu nehmenden
^eichsfinanzreform dürste gerade diese For-
Kung eine bedeutsame Rolle spielen.
. Neuerdings wird auch von sozialijstischer
kstte, dem bekannten Schriftsteller Max
^Hen-Neust, dazu in einer Weise Stellung ge-
Mmen, die man nur durchaus billigen kann.
dem Organ der Berliner Handelskammer
Mden wir höchst beachtenswerte Ausführun-
sn von Cohen-Reust, welche der von uns in
'ieser Frage eingenommenen Stellung durch-
bestätigen. Sie enthalten eine Reihe neuer
?sher weniger beachteter Gesichtspunkte, neben
kr hercirs mehrfach als richtig erkannten
ftUndlegenden Beurteilung. Es dürfte sich da-
wohl verlohnen, sie auszugsweise kennen-
Rernen.
Max Costen-Reust schreibt u. a.: „Wenn es
Mch zwecklos ist, neueWirtschaftsformen gründ-
lich abzulehnen und unter allen Umständen
Beibehaltung der bisherigen privatwirt-
Maftlichen zu fördern, so ist es umso notwen-
diger, beide Wirtschaftsformen, die öffentliche
^ie die private, auf ihre Leistungsfähigkeit zu
Wissen. Es kommt ganz allein auf die Produk-
te Leistung an. Diese Leistungsfähigkeit
^ird nicht immer leicht Herau-Mfinden sein,
M ist zu ihrer Feststellung aber unbedingt not-
wendig, dass beide Wirtschaftsformen unter
l gleichen Voraussetzungen arbeiten Die
Zeichen Voraussetzungen find aber nicht vor
Mnden. solange der eine Teil unter schwerer
Neuerlicher Belastung arbeiten must, während
km anderen wichtige Steuerarten ganz oder
Klweisc erlassen werden. Es handelt sich da-
ei um die Körperschaftssteuer, Vermögens-
quer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuer, die 'teil-
weise oder insgesamt sie nach der Art des Si-
chtlichen Unternehmens^ bei den Betrieben
kr öffentlichen Hand nicht erhoben werden.
. Es ist klar, dass derart grosse materielle
Steile, die einseitig nur den öffentlichen Be-
heben gewährt werden, eine Vergünstigung
^deuten, durch die die privatim rtsch östlichen
^«triebe von vornherein stark benachteiligt
^rden. Welche Summen hier in Betracht


den soll, nicht im vollen Umfang einverstanden
erklären können, weil wir in den Vorschlägen
der Regierung die grosse wirtschaftspolitische
Linie einer Finanzreform vermissen. Wir
brauchen eine sofortige, eine weitgehende
Hilfe. Es darf auch nicht halbe, sondern es
muss ganze Arbeit sein, die gemacht wird. Kom-
promisse helfen uns nicht mehr. Es geht ums
Prinzip, ums ganze System.
Darauf nahm Neichswirtschaftsminister Dr.
Moldenhauex das Wort. Anknüpfend an die
Tagesordnung führte er zunächst aus. der Auf-
schwung sowohl Deutschlands wie auch der an-
deren europäischen Länder in wirtschaftlicher
Beziehung in der Vorkriegszeit sei zu danken
gewesen der kapitalistischen Weltwirtschafts-
ordnung. Er teile nicht die Meinung, dass die-
ses System seinem Ende nahe sei. Er glaube
vielmehr, dass auch das kapitalistische Wirt-
schaftssystem dazu berufen sei, die Gesundung
in Deutschland wieder herbeizuführen. Natür-
lich sei dieses System gewissen äusseren Wand-
lungen unterworfen und zu diesen Wandlun-
gen gehört auch die Sozialpolitik, die das Sv-
stem beeinflussen könnte. Auf der anderen
Seite schwebe aber eine Sozialpolitik, die keine
Rücksicht auf das kapitalistische Wirtschaftssy-
stem und auf die Wirtschaft nehme im luftlee-
ren Raume. Das ganz grosse Problem des
Tages sei die Finanzreform, und er danke dem
Reichsverband, dass er sich ernstlich bemüht
habe, zur Lösung dieser Frage bezutragen. Die
Tenkschrit des Reichsverbandes sei der Regie-
rung ausserordentlich wertvoll gewesen, wie
auch die früheren Denkschriften des Verbandes,
weil sie leidenschaftslos viel brauchbares Ma-
terial geliefert hätten. Das Programm, das
die Reichsregierung vorgelegt habe, werde vie-
len unzulänglich erscheinen. Dian möge den
Versuch nicht mitKritik zudecken, damit er nickt
im Keime erstickt werde Man müsse daran
denken, dass dieses Programm zustande gekom-
men sei in einem Kabinett, in dem vier sozia-
listische Minister sitzen. Man müsse den Ver-
such machen, auf einer grossen Linie sich zu-
sammenzufinden, um einen Plan durchzufüh-
ren, wenn er auch den einzelnen Anschauungen
nicht entspreche Es sei der ernste Wille der
Reichsregierunq, diesen Plan in allen Punk-
ten durchzuführen und sich nicht etwa auf das
Sofortprogramm zu beschränken. Wenn er,
der Reichswirtschaftsminister, dasGefühl hätte,
dast dem nicht so sei. so würde er die Verant-
wortung für das Amt keinen Augenblick wei-
ter tragen. Er bitte die deutsche Industrie,
mitzuarbeiten und mitzuhelfen und Vertrauen
zu der Regierung zu haben, wie auch die Re-
gierung Vertrauen auf die ernstliche Mitarbeit
der Industrie habe. Nur in einem Zusam-
menarbeiten aller sei ein Aufstieg begründet.
Im ersten Referat der Tagung wies Georg
Müller (Ocringhausen) in einem Vortrag
„Wiltschafts- und Sozialpolitik" darauf hin,
dast das deutsche Volk gegenüber den Anfor-
derungen. welche ihm durch die Annahme des
Zahlungsplanes bedingt wurden, versagt
habe. Die Entwicklung Deutschlands zum
Versorgungsstaat hätte innerpolitisch zu einer
leichtsinnigen Geschäftsführung geführt. Bei
einem Durchschnittslohn von 2000 Mark seien
jährlich 3 Millionen arbeitender Menschen le-
diglich für die Durchführung der Sozialpolitik
nötig. Die Industrie bejahe den Gedanken ge-
sunder Fürsorge, müsse es aber ablehnen, die-
sen Gedanken durch eine Verkehrung, wie sie
sich heute zeige, zu Tode Hetzen zu lassen. Die
Industrie als solche könne nur die wirtschaft-
lichen Faktoren möglichst rein herausschälen,
ohne sich um die politischen Möglichkeiten,
welche die klare wirtschaftliche Lösung behin-
dern, zu kümmern.
Zusammenbruch des Erzberaerfchen
Steuersystems.
Ganz bedeutend und in die Zukunft weisend
waren die Ausführungen des Generaldirektors
Dr. Siloer-erg.

Es ist öffentliche Meinung geworden, dass
auf dem Gebiete der Wirtschasts-, Sozial- und
Finanzpolitik Grundsätzliches und Eingreifen-
des geschehen muss. Es ist aber auch allge-
meine Ueberzeugung geworden, dass die Wirt-
schaft im Staate keinSonderleben führen kann,
dass es ihr nicht gut gehen kann, wenn es dem
Staate schlecht geht, wenn die Finanzen und
die Wirtschaft des Staates nicht in Ordnung
sind und wenn nicht die Wirtschaftspolitik zum
Besten aller in ihr Arbeitenden nach den glei-
chen Grundsätzen und Zielen geführt wird, wie
in der auf Gewinn und Aufbau abgestellten
Privatwirtschaft. Das bedeutet auf eine kurze
Formel gebracht: Die Privatwirtschaft, die in-
dividualistische, kapitalistische Wirtschaft kann
nicht mit Erfolg betrieben werden, wenn der
Staat eine sozialistische kollektivistische Wirt-
schaft und insbesondere eine sozialistisch-kollek-
tivistische Steuer- u. Finanzwirtschaft betreibt.
An diesem inneren Widerspruch leidet aber die
deutsche Wirtschaftsführung. Man kann nicht
die Hälfte des deutschen Volkseinkommens
durch Steuern und soziale Abgaben der Wirt-
schaft entziehen und in fast allen Zweigen der
Wirtschaft eine steuerfreie staatliche Konkur-
renzwirtschaft betreiben, gestützt aus die Steu-
erkraft der Bevölkerung und nicht auf die Ren-
tabilität dieser Unternehmungen. Man kann
nicht den inländischen Konsum durch mecha-
nische staatliche Lohnregelung übersteigern und
auf der anderen Seite durch Ueberschüste der
Zahlungsbilanz ausländische Verpflichtungen
des Staates abdecken wollen: man kann nicht
gleichzeitig eine ertragreiche private Wirtschaft
erhalten wollen, wenn man ihr Leben und
Fortentwicklung fortschreitend unmöglich macht
Wie fasziniert sieht man auf das Inkraft-
treten des Poung-Planes und glaubt, von
ihm käme alles Heil und die Ordnung der
Reichsfinanzen. Der Poung-Plan, wenn er in
Kraft tritt, ändert nichts, aber gar nichts an
den Notwendigkeiten, die wir innerwirtschaft-
lich erfüllen müssen.
Die Steuer- und Finanzpolitik, in der sich
die so gekennzeichneten Gegensätze und Wider-
sprüche niederschlagen, beruht auf der
Eezdergerschen Steuer- und Finanzreform.
Sie hat sich, grundsätzlich umstürzend gewollt,
nicht bewährt. Statt evolutionär sich den aus
dem verlorenen Kriege und der Revolution
notwendig sich ergebenden Strukturwandlun-
gen der Wirtschaft und der sozialen und staats-
rechtlichen Verhältnisse vorsichtig anzupassen,
hat sie revolutionär in die Existenzgrundlage
und den Aufbau des Staates eingegriffen:
1. Politisch sind wesentlich durch sie alle
die schwerwiegenden, staatsrechtlichen inner-
deutschen Probleme, die als Verfassungsreform
erörtert werden und finanzpolitisch in das
Problem „Finanzausgleich" ausmünden. fast
unlösbar verwirrt worden.
2. Die gefährlichen Erscheinungen auf dem
Gebiete der Kommunalfinanzgebarung sind
aus der sogenannten Reform entstanden: die
Ausgabcnbewilligung durch diejenigen, welche
die Leistung nicht aufbringen, dann Las
Schlimmste, die Diskordanz zwischen Einkom-
mensteuer und zusätzlichen direkten Gewerbe-
und Realsteuern: und vor allen Dingen die
Beschränkung, fast die Zerstörung, jeder ver-
antwortlichen Steuerhoheit der Gemeinden,
und damit der Anreiz zur unsoliden Wirtschaft.
3. Die Steuerreform zeigt die zerstörende
Wirkung eines Steuersystems, das unter der
Formel entstanden ist:,, der Finanzminister ist
der beste Sozialisiernngsminister": mit ande-
ren Worten, die Zerstörung der produktiven
Kapitalbildung in den Unternehmungen und
Kapitalbildung, soweit sie noch stattfindet, an
der falschen Stelle.
Das sind die Hauptpunkte, die ich hier Her-
ausstellen möchte und an die ich die Frage
knüpfe, was ist zu tun?
Für unsere Ueberlegungen müssen wir da-
von ausgehen, dass wir eine kapitalisttscheWirt-
 
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