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Heidelberger Bürger-Zeitung: Mittelstands-Zeitung ; unabhängiges Kampfblatt für die Interessen des deutschen Mittelstandes — 1929

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Seidelberger

Mittelstands-Zeitung
Unabhängiges KampsbliM für bis ZntenM »er deutschen MiNelftanbcs

MtteWndlerisch-Wirtschaftliche Zeitung
Zeiümg für gesunde Wirtfchaftsinteressen des gewerblichen
Mittelstandes, des Handwerks, Handels, Haus- und Grund-
besitzes, der Landwirtschaft, freien Berufe und aller sich zum
Mittelstand rechnenden Kopf- und Handarbeiter.


MweWeutsche Bürger-Zeitung
Bezugspreis monatlich 0,80 Reichsmark. Bei Postbezug vier-
teljährlich 1,80 Reichsmark. Für ausgefallene Nummern wird
kein Ersatz geleistet. Der Jnsertionspreis ist 10 Reichspfennig
für die achtgespaltene Millimeterzeile oder deren Raum.
Reklamen 0,40 RM pro mm-Zeile.

Jahrgang 1929

Sonntag, 6. Oktober.

Nr. 6

Die Reichspartei des deutsch. Mittelstandes
(MWaflspariei) u. die Aoung-Gesetze.

Heber die jüngst geführten Haager Ver-
handlungen bilden sich in Deutschland die in-
nenpolitischen Fronten für den kommenden
^ampf. Von erheblicher Wichtigkeit ist zu-
nächst die Stellung des Reichspräsidenten. Er
hat mit dem Dank an die Haager Delegation
seiner Befriedigung Ausdruck gegeben, daß
Has Recht Deutschlands auf Rheinlandräu-
NMng anerkannt worden sei. Hierin liegt die
Feststellung des deutschen Staatsoberhauptes,
°ast Deutschland auf dieses Recht seiner Sou-
veränität nicht verzichtet. Aus derselben
Crundeinstellung heraus hat Hindenburg wei-
Eerhin der Erwartung Ausdruck gegeben, dast
h>e deutschen Unterhändler fortfahren möchten,
>u den noch kommenden Verhandlungen die
Uoch bestehenden Beeinträchtigungen der deut-
schen Souveränität fortschreitend zu beseitigen.
Atan darf in diesem Zusammenhänge die
Mage aufwerfen, ob eine sehr wesentliche Be-
einträchtigung der deutschen Souveränität
nicht in der Beschränkung der Wehrhoheit
Unseres Vaterlandes liegt und ob es nicht der
Reichspräsident mit dieser Fassung der umt-
uchen Verlautbarung geradezu ein Programm
her deutschen Austenpolitik aufgestellt hat.

Die Stellung der politischen Parteien zu
hem Haager Konferenzergebnis lästt sich jetzt
einigermaßen übersehen. Die unbedingte Ab-
lehnung aller in dem Reichsausschuß für das
putsche Volksbegehren zusammesigeschlostenen
Karteien und Kreise steht ohnehin fest. Deutsch-
hntionale, christliche Bauern und National-
sozialisten sind also entschlossen, den Kampf
i^gen die Inkraftsetzung des Young-Planes
inst allen Mitteln durchzuführen. Dast die Re-
gierungsparteien im wesentlichen zustimmen
Werden, darüber dürfte gleichfalls kein Zwei-
ei sein. Bedenken sind vorhanden sowohl
heim Zentrum wie bei der deutschen Volkspar-
Ii- Für das Zentrum hat der Parteivor-
"hende Kaas seine abweichende Auffassung
gegenüber der Stellungnahme des Reichsmini-
!ms für die besetzten Gebiete Dr. Wirth ziem-
lich deutlich kundgetan. Man darf aber wohl
?^mit rechnen, dast in der Koblenzer Ver-
shwinlung der Reichstagsfraktion des Zen-
*HMs dieser Streitfall aus der Welt geschafft
hiird. Es handelt sich dabei um eine Mei-
gungsoerschiedenheit in der Frage, ob die im
I.ocarno-Abkommen vorgesehenen Schiedsge-
richte das Recht haben, sich mit den Angelegen-
goiten der entmilitarisierten Rheinlandzone
befassen, also mit den aus den Artikeln 430
Und pes Versailler Vertrages etwa ent-
gehenden Meinungsverschiedenheiten. Die
Datsche Volkspartei hat durch den Mund des
maktionsvorsitzenden Dr. Scholz eine ziemlich
Horde Kritik am Haager Verhandlungsergeb-
his üben lassen. Man weist, dast zwischen Dr.
Scholz und dem Reichsaußenminister immer
Wieder Meinungsverschiedenheiten aufgetaucht
mrd, deren Ueberbrückung im Zentralausschuß
«er Partei oft nur mit Mühe gelang. Es
ä>ird auch diesmal nicht so ernst sein, dast dar-
aus eine Gefährdung der Annahme der
ooung-Eesetze durch die Reichstagsfraktion der
deutschen Volkspartei entstehen kann.
Die Reichspartei des deutschen Mittelstan-
ds (Wirtschastspartei) hat sich kürzlich dahin
^schieden, dast sie das Volksbegehren des
^eichsausschusses wegen^der damit verbunde-
nen außenpolitischen Folgen ablehnt. Da-
gegen will die Wirtschastspartei ihre Zustim-
^Ung zu den zu erwartenden Young-Gesetzen
hvon abhängig machen, daß Frankreich sich
Nutzer zu einer fiir Deutschland annehmbaren
Losung der Saarfrage bereit erklärt.
Cs ist oft die Frage aufgeworfen worden,
o.l.o sich nunmehr die Zahlungen Deutschlands
^aalten, nachdem der Young-Plan nicht recht-

zeitig am 1. September in Kraft getreten ist.
Deutschlands Antrag, von diesem Termin ab
auf Grund des Young-Schemas zu zahlen, hat
bei den anderen Mächten keine Gegenliebe ge-
funden^ Andererseits aber haben sich die
Eläubigermächte bereit erklärt, Deutschland
die jetzt gemachten Mehrzahlungen nachher
gutzuschreiben. Wenn also der Young-Ptan
nach Ablauf von sechs oder acht Wochen in
Kraft tritt, dann hat Deutschland aus dieser
Verzögerung gegenüber dem ursprünglich vor-
gesehenen Termin vom 1. September wenig-
stens keinen neuen finanziellen Nachteil mehr.
Angesichts der erheblichen Opfer, die Deutsch-
land noch in den letzten Tagen der Haager
Verhandlungen auf finanziellem Gebiet brin-
gen mußte, ist das ja auch eine Selbstverständ-
lichkeit.
Für die deutsche Innenpolitik sollte die Tat-
sache, daß man mutmaßlich mit dem Inkraft-
treten des Young-Planes rechnen kann, der
Anlaß zu einer großzügigen Reformarbeit
sein. Leider ist -hiervon, auch auf finanzpoli-
tischem Gebiet, bisher nicht das geringste zu
spüren. Der Leiter der Reichsfinanzen, Herr
Dr. Hilferding, hat für die kommende Zeit
vom Zentralorgan seiner Partei, dem „Vor-
wärts", eine Marschroute erhalten, deren Be-
schreiten im Interesse der deutschen Wirtschaft
nur mit dem allergrößten Mißtrauen erwar-
tet werden kann. Die Sozialdemokratie hat
nämlich rundheraus erklärt, daß die Wirt-
schaft sich nicht etwa einbilden solle, sie könne
jetzt mit einer wesentlichen Herabsetzung ihrer
Belastung rechnen. Denn wir müßten nun
einmal Sozialpolitik treiben, und das deutsche
Volk hätte fiir diese Zwecke immer Geld übrig.
Schon früher haben wir darauf aufmerksam
gemacht, daß die Versprechungen der bisheri-
gen Regierungen, eine Senkung der Lasten
herbeizuführen, nichts als leeres Gerede wa-
ren. Es gehört zum stündigen Inventar -er
Regierungserklärung, daß die Belastung der
Wirtschaft und des Mittelstandes, insbeson-
dere die Realfteuern, dringend einer Herab-
setzung bedürften. Geschehen ist bisher nichts.
Vielmehr haben die Realsteuern vielerorten
inzwischen eine unerträgliche Höhe erklommen.
Daß unter der jetzigen Regierung auch künf-
tig nichts geschehen wird, obwohl im nächsten
Jahr eine fühlbare Minderung der Repara-
tionslasten eintreten wird (um etwa 700 Mil-
lionen Marks, das sagt jetzr die Sozialdemo-
kratie ganz offen und brutal.
Betrachtet man allerdings den Stand der
Reichsfinanzen, dann werden die schlimmsten
Befürchtungen in dieser Hinsicht noch übertrof-
fen. Denn es hat sich schon jetzt herausgestellt,
daß im laufenden Finanzjahr das Aufkommen
der Steuern weit hinter den Ansätzen zurück-
bleibt. Hier rächt sich die schon oft gegeißelte
Methode, willkürliche und optimistische Ansätze
für das Aufkommen der Steuern zu machen.
Der Fehlbetrag, der auf diese Art im laufen-
den Reichshaushalt bis zur Stunde entstan-
den ist, beläuft sich aus mehr als 400 Millio-
nen Mark. Durch ihn werden also die „Er-
sparnisse", die durch die Inkraftsetzung des
Young-Planes in diesem Jahre noch erwartet
werden, so gut wie vollständig aufgezehrt Die
Reichsregierung gibt sich nun der wiederum
allzu optimistischen Hoffnung hin, daß das
Steueraufkommen im letzten Drittel des Fi-
nanzjahres bester sein werde, und dast man
dadurch diesen Fehlbetrag zum größten Teil
ausgleichen könne. Diese Hoffnung erscheint
angesichts der jetzt schon wieder ansteigenden
Kurve der Arbeitslosigkeit durch nichts be-
gründet. Vielmehr muß man mit einen, wei-
teren Ansteigen des Fehlbetrages in diesem
Jahre rechnen.

Die weitere Folge wird sein, daß der
Reichsfinanzminister uns noch im Winter ein
neues Steuerbukett beschert. Im j Frühjahr,
bei der Beratung des laufenden Haushalts,
hatten die Finanzsachverständigen der Regie-
rungsparteien Dr. Hilferding seine Steuer-
pläne arg beschnitten. Nur die Erhöhung der
Branntweinabgabe blieb übrig. Die geplante
Erhöhung der Erbschafts- und Vermögens- so-
wie der Viersteuer wurde nicht durchgeführt.
Wahrscheinlich wird nun der Reichsfinanzmi-
nister mit diesen Stcuerabsichten im Winter
wiederkommen. Man rechnet in wirtsachftli-
chen Kreisen fest damit, daß Hilferding zur
Ausgleichung des laufenden Haushaltes noch
etwa 250 Millionen Mark braucht. Es ist un-
nötig zu betonen, daß jede Steuererhöhung
jetzt auf den schärfsten Widerspruch aller wirt-
schaftlichen Kreise stoßen muß. Immer wieder
ist von ihnen auf die Notwendigkeit einer
durchgreifenden Rationalisierung unseres ge-
samten staatlichen Apparates und eines Ab-
baues der parteipolitischen Sonderbwvilligun-
gen für alle möglichen Bevölkerungskreise hin-
gewiesen worden. Die Erhöhung der Erb-
schasts- und Vermögenssteuer würde sich für
den Mittelstand in Stadt und Land geradezu
katastrophal auswirken. Es ist eine dilettan-

tische Finanzpolitik, die hier getrieben wird,
und die der Wirtschaft zumutst, noch nachträg-
lich, nachdem das Finanzjahr beinahe vorbei
ist, neue Steuern auf sich zu nehmen.
Dabei steht noch nicht einmal fest, welche
Summen in diesem Jahre noch vom Reiche an
die Arbeitslosenversicherung abgeführt werden
müssens Der sozialpolitische Reichstagsaus-
schuß, der jetzt endlich eine Lösung der Frage
der Arbeitslosenversicherung tzustandebringen
sollte, mußte sich wiederum ohne Ergebnis ver-
tagen, da die alten Gegensätze zwischen den
Regierungsparteien unüberbrückbar sind und
da sich die Opposition nicht be'reit erklärt, das
berühmte Spiel mit den wechselnden Mehrhei-
ten mitzumachen. Die Sozialdemokratie steht
unverändert auf dem Standpunkt, daß an den
Leistungen der Arbeitslosenversicherung nicht
gerührt werden dürfe und daß der Ausgleich
zwischen Einnahmen und Ausgaben nur durch
eine Beitragserhöhung geschaffen werden
könne. Die Deutsche Volkspartei aber lehnt
nach wie vor jede Beitragserhöhung ab. Der
Taschenspielertrick, mit dem man nach Art des
berühmten Vogel Strauß ..Ersparnisse" erzie-
len wollte, bestand eine Zeitlang darin, daß
man die zugrunde zu legende Durchschnittszahl

der Erwerbslosen einfach von 1,1 Millionen
auf 1 Million herabsetzen wollte. Das ist das-
selbe Verfahren, das man, um Löcher im
Haushalt zu stopfen, oft genug durch eine will-
kürliche Höherschätzung der Steuereingänge an-
wandte und das jetzt zu so unangenehmen Fol-
gen geführt hat. Auch von der Seite der Ar-
beitslosenversicherung können den Reichsfinan-
zen in diesem Finanzjahr noch peinliche lleber-
raschungen entstehen, zumal sich bei den Re-
gierungsparteien immer mehr die Neigung
erkennen läßt, es in dieser der Sozialdemo-
kratie agitatorisch so unendlich wertvollen
Frage nicht zum Bruch kommen zu lasten, son-
dern unbeschadet um die finanziellen Auswir-
kungen der Angelegenheit weiter zu verschlep-
pen. Das ist schlechter Parlamentarismus in
Reinkultur!
Es gibt übrigens noch andere Dinge, die
geeignet find, neue Belastungen der Reichsfi-
nanzen herbeizuführen. Bekanntlich schwebte
seit Monaten zwischen der Reichsbahn und dem
Reichsverkehrsministerium eine Meinungsver-
schiedenheit über die von der Reichsbahn beab-
sichtigte Erhöhung der. Gütertarife um 214
Prozent. Durch diese Maßnahme sollten dis
Mehrausgaben ausgeglichen werden, die der
Reichsbahn durch den vom Reichsarbeitsmini-
ster für verbindlich erklärten Schiedsspruch zu-
gunsten einer Lohnerhöhung für die Reichs-
bahnarbeiter erwachsen sind. Reichsverkehrs-
minister Stegerwald hat die Entscheidung
lange Zeit hinausgezögert, bis sich die Aus-
wirkungen des Young-Planes auf die Reichs-
bahn übersehen ließen. Dies ist zwar jetzt auch
noch nicht mehr der Fall als vordem, aber
Stegerwald glaubte, auf Grund der erhöhten
Betriebseinnahmen der Reichsbahngesellschaft
entscheiden zu können, daß die Tariferhöhung
unnötig sei. Man darf wohl annehmen, daß
die Reichsbahngesellschaft nunmehr das für
solche Streitfälle zuständige Reichsbahngericht
anrufen wird. Allerdings besteht noch eine
andere Möglichkeit. Die Neichsregierung kann,
um der Reichsbahn einen Ausgleich zu schaf-
fen, nach der Inkraftsetzung des Young-Planes
auf einen Teil der ihr zufliestenden Verkehrs-
steuer, die 290 Millionen Mark jährlich beträgt
und die unter dem Dawesplan zu den ver-
pfändeten Einnahmen gehörte, nunmehr der
Reichsbahn zum Ausgleich ihrer Mehrbela-
stung zur Verfügung stellen. Ob der Reichs-
sinanzminister angesichts der katastrophalen
Entwicklung und des voraussichtlichen Milliar-
den-Defizits des neuen Jahres sich zu einer
solchen Maßnahme verstehen kann?
Noch eine für das gesamte Bürgertum wich-
tige Frage tritt jetzt mehr in den Mittelpunkt
des öffentlichen Interesses: Am 17. November
finden in Preußen Kommunalwahlen statt.
Die Sozialdemokratiö erhofft davon wiederum
einen gewaltigen Machtzuwachs. Bei der Zer-
splitterung, die in den bürgerlichen Kreisen
heute mehr denn je herrscht, ist diese Hoffnung
nicht unbegründet, wenn das Bürgertum sich
nicht entschließt, seine Pflicht zu tun. Man
unterschätze nicht die Bedeutung dieser Wah-
len. Haben doch die kommunalen Körperschaf-
ten einen starken Einfluß auf die Gestaltung
der Realsteuern und auf die Ausgabenpolitik
im Fürsorgewesen und im Schulwesen. Gerade
in denKommunen hat sich die verantwortungs-
lose Finanzpolitik der Nachkriegszeit mit ihrer
uferlosen Ausgabensteigerung und mit ihren
sinnlosen sozialistischen Experimenten am deut-
lichsten gezeigt. Wenn in den kommunalen
Körperschaften nach dem 17. November die
Sozialdemokratie eine stärkere Machtstellung
einnimmt als bisher, dann darf das für Eigen-
tum und wirtschaftliche Freiheit kämpfende
Bürgertum sich nicht darüber beklagen, wenn
nachher noch stärkere Rückschläge eintreten.
Deshalb ist es auch Pflicht eines jeden Haus-
und Grundbesitzers sowie der Organisationen,
ihren Einfluß dahin geltend zu machen, daß
der sozialistische Vormarsch in den Kommunen
zum Stehen gebracht wird.
 
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