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Hülsen, Julius; Wiegand, Theodor [Hrsg.]
Milet: Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899 (Band 1,5,Text): Das Nymphaeum — Berlin, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.3617#0094
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[V. Zur Entwicklung der antiken Brannenarchitektur.

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zwischen Nymphäum und Bühnenwand sehr deutlich. Alle drei Bauten haben die Eigentümlichkeit, daß
die Tabernakelsockel als einzelne Vorsprünge gebildet sind, während in Milet ein gemeinsamer durch-
gehender Sockel die Grundlage bildet. Eine gerade Front zeigt ferner das Nymphäum von Termessosi),
welches mit der milesischen Vorderwand in der Nischenbildung große Verwandtschaft hat, an der eben-
falls geradlinigen Nymphäumsfront in Selge:) scheint der Unterstock nur zwei kleine Nischen gehabt
zu haben. Leider hatte Petersen zu genauerem Studium keine Zeit; er beschreibt folgendermaßen: »Si
je ne nie trompe, il (ce monument) etait composc principalement d'une fassade qui regardait le nord
et etait orne de huit pilastres et de deux niches, l'une entre le troisicme et le quatrieme pilier, l'autre
entre le sixieme et septieme.« Nach unserer erweiterten Kenntnis der Monumentengattung kann dies
kaum der Fall sein, vielmehr muß noch eine neunte Stütze angenommen werden, so daß die Fassade
aus dreimal drei Stützen bestand, die durch zwei Nischen in dieser Weise gruppiert waren. Ähnlich
bewirkten am Theater von Termessos die Türen eine Guppierung von zweimal vier Säulen.

Beim Tabernakelaufbau des Nymphäums von Milet ist das Auffälligste die Zusammenfassung der
Säulen in der Weise, daß die Tabernakel des mittleren Stockwerkes nicht axial zu den unteren stehen,
sondern sich über deren Zwischenräumen aufbauen, jwodurch eine große Bewegung in die Masse der
Stützen gebracht wird. Die Folge ist freilich, daß an den beiden Frontenden im obersten Stockwerk
und an den Flügelbauten im untersten Stock freie Säulenbildungen entstehen, welche man mit Wilberg
»detachiert« nennen könnte. Wilberg verdanken wir den Nachweis dieser Bildung am Oberstock der
Front der um 115 n. Chr. entstandenen Bibliothek zu Ephesos (Jahreshefte XI, 1908, S. Il8ff.), wo auch
derselbe Wechsel in der Säulengruppierung der beiden Stockwerke sich ergeben hat. An anderen Orten
ist ein solcher Befund, wie es scheint, bisher [nicht festgestellt. Sein Vorkommen an zwei so nahe
benachbarten Orten aber läßt auf eine in jenen Zeiten in Kleinasien gewiß oft beliebte Anordnung
schließen; sie wird künftigen Forschungen als Wegweiser einer neuen Entwicklung dienen, die allerdings
nur dann sicher erkannt jwerden mag, wenn der Vorrat an Werkstücken so bedeutend ist, wie es
glücklicherweise in Ephesos und Milet der Fall war. Soviel wird man schon jetzt sagen dürfen: dieser
neue Rythmus ist Eigentum der Kaiserzeit und nicht des ausgehenden griechischen Zeitalters. Wir
kennen jetzt mehr von den hellenistischen Säulenfassaden durch Brünnows, v. Domaszewskis und
Butlers Forschungen in Syrien1!. Keine von ihnen zeigt diese Anordnung. Dieses energische Zer-
schneiden der ruhigen langen Horizontalen in allen Stockwerken, gerade an den dem Austritt des
Wassers zugewandten Seiten, bedeutet eine sehr bewußte Beziehung zu dem Element, dessen lebendige
Strahlen in unaufhörlicher Tätigkeit einer breiten, unruhigen Wasserfläche entgegensprangen, die in
beständigem Zu- und Abströmen war. Nur der wuchtige Sockel mit seiner durchlaufenden breiten
Unterlage2), welche in den oberen Stockwerken durch altarförmige Einzelbasen ersetzt ist, und nur die
kräftige Attika sind starke Rahmen des unerhört bewegten Bildes. Dieser Innenraum aber ist wiederum
in den deutlichsten Gegensatz gestellt zu der äußeren seitlichen Ansicht. Auf den vom milesischen
Hafen oder vom Südmarkt herankommenden Betrachter wirkten die großen, durch nichts unterbrochenen
Horizontalen der Architrave, Rankenfriese und Gesimse.

Bei aller Bewegung des Innenraumes hat der Architekt aber auch dort auf eine besondere Be-
tonung gewisser Hauptstellen in den Fassaden geachtet. Er hat je fünfzehn einfarbige, weiße, kräftige
Marmorpfeiler in den beiden Innenwinkeln aufgestellt; er hat ferner das Mitteltabernakel im Unter-
und Oberstock durch ornamentierte Pfeiler besonders gekennzeichnet, durch Pfeiler auch die beiden

>) A. a. O. II Tat. X und XI.
2) A. a. O. II S. 191.
 
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