Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hülsen, Julius; Wiegand, Theodor [Hrsg.]
Milet: Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899 (Band 1,5,Text): Das Nymphaeum — Berlin, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3617#0095
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
IV. Zur Entwicklung der antiken Brunnenarchitcktur.

vordersten Stellen der Seitenwände im Unterstock betont. Der Wucht dieser Stützen hat er allerdings
in der oberen Endigung eine leichte Auflösung durch die schwungvolle Bekrönung der Palmetten-
voluten gegeben; diese finden sich ausschließlich über Pfeilertabernakeln. Er legte sogar deutlichen
Wert darauf, die kantigen Stützen in der Hauptfront gegenüber den schlankeren runden überwiegen zu
lassen (iS : 14), während in den Flügelbauten Pfeiler und Säulen (8:8) sich das Gleichgewicht halten;
dabei erhielt jedoch der äußerste Teil des Mittelstockes im Streben nach einer leichten, farbigen Wir-
kung des oberen Abschlusses ein buntfarbiges Säulentabernakel.

Erfreuend und lehrreich ist es, daß diese farbige Tönung dem Ganzen wie ein Nebenakkord unter-
geordnet ist, als ob ferne Kunde vom Wesen der alten diskreten Polychromie noch in diese Zeiten ge-
drungen wäre. Das vornehme Rot glatter, polierter, synnadischer Säulen war über den ganzen Bau
verteilt wie ein heiteres Gegenspiel zu der straffen Wirkung kanellierter Pfeilergruppen aus weißem
Marmor. Trotz der Bewunderung so reizvoller Feinheiten wird man sich aber doch des Eindrucks
übermäßigen Prunkes in der Hauptsache nicht ganz erwehren.

Wir haben den Weg durchmessen. Vom griechischen Brunnenhaus einfachster Art sind wir bis
zu der aufs höchste komplizierten Leistung eines raffinierten Baukünstlers gekommen. Ein Weg ge-
waltiger Wandlungen war es, bei dem sich unwillkürlich der Vergleich aufdrängt: wie das griechische
Brunnenhaus mit seiner einfachen Säulenhalle zur griechischen Skene paßt, so verhält sich das römische
Nymphäum mit seiner fernwirkenden Fülle von Säulen, Giebeln, Stockwerken und Versuren zur Theater-
schmuckwand der Kaiserzeit. Die Entwicklung wird aber dann erst ganz verständlich, [wenn man be-
denkt, daß der Kopf einer römischen Wasserleitung ein ausgesprochener Hochbau war, dessen Mas-
kierung den Architekten zur Prunkwand verlockte. Am Theater war sie vorgebildet, dort war man
auch schon gewohnt, die Götter als Zuschauer zu haben. Um so weniger verzichtete man auf sie an
einer Stelle, die man als »vao?« bezeichnen durfte. Daß sich hier schließlich der ganze Olymp
mit Heroen und Heroisierten ein Stelldichein gab, gehört freilich zu den Übertreibungen. Unserem
Empfinden entsprechen sie um so weniger, als die Fülle der Erscheinungen ihrer künstlerischen Wirkung
durchaus nicht zum Vorteil gereichen konnte.

Solche Prunkbauten sind bis an das Ende der antiken Kultur immer wieder errichtet worden,
solange man Aquädukte baute. Noch die Valens-Leitung in Konstantinopel schloß mit einem groß-
artigen Nymphäum ab1). Als es aber Sitte der barbarischen Belagerer wurde, die Leitungen zu zer-
stören, wie Vitiges es 537 vor Rom tat, und als ikonoklastischer Fanatismus den Bilderschmuck herab-
stürzte, war der Untergang besiegelt. Durch das Mittelalter spielten Zisternen und Ziehbrunnen die
wichtigste Rolle. Als Märchen klingt die Erinnerung an eine andere Zeit aus den altfranzösischen
Epen des 12. Jahrhunderts, wo z. B. in Floire et Blanceflor2) ein turmartiger Palast in Babylon ge-
schildert wird, in dem das Wasser sich vom dritten Stockwerk aus nach unten verteile — eine Remi-
niszenz an die berühmten »hängenden Gärten« der Semiramis und deren künstliche Bewässerung durch
Hebewerke am Euphrat, über die wir durch Diodor (II 10) und Strabo (XVI 1,2) unterrichtet sind. Erst
das Zeitalter des Papstes Nikolaus V., des Piero Ligorio und L. B. Albertis hat die Wasserkunst wieder
aufleben lassen, die dann durch die reiche Phantasie eines Bernini ihre höchsten Triumphe gewann.

») Zonaras III, p. 80, Bonn (= Cedrenus I, p. 543) 6 be Tfjc; nöKeujc, £irapxo; NuurpaTov iv tuj KaXouuevw Taupw
KareaKeuotKei Täc; £k toö tüüv tibäxujv öKkov xdpxrac, « toütujv Tüapa&eixvuc.

2) Ed. Du Meril, Paris 1856, I.Version v. 1629 ff. Vgl. O. Soehring, Werke bildender Kunst in altfranzösischen Epen,
Erlangen 1900, S. 18.
 
Annotationen