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Altertümer von Hierapolis. II.
Von den Sehenswürdigkeiten, um deren willen die Stadt von Fremden be-
sucht wurde, kommt in erster Linie das Plutonium oder Xapwvsiov in Betracht, das
weithin berühmt war und das uns eine ganze Reihe von Schriftstellern, zum Teil
auf Grund eigener Anschauung, beschrieben haben.
Darnach war es ein Erdspalt, aus dem giftige, jedem lebenden Wesen sofort
tödliche Dämpfe emporstiegen, und unterhalb des Apollotempels gelegen; vor dem
Erdspalt befand sich ein eingezäunter freier Platz. Die Eunuchen, die Priester
der Göttermuttcr, hatten die Aufsicht über das Heiligtum zu führen, sie allein
konnten sich ohne Gefahr in den von den giftigen Gasen erfüllten Raum hinein-
wagen und führten dies Experiment, natürlich gewifs nicht ohne Entgelt, vor den
Besuchern aus, nachdem letztere an lebenden Vögeln zuvor die Gefährlichkeit der
ausströmenden Dämpfe erprobt hatten. Es mufs die Zahl solcher Besucher jeder-
zeit eine sehr beträchtliche gewesen sein, so dafs offenbar ein regelmäfsiger Handel
mit solchen zum Experiment dienenden Vögeln in Verbindung mit dem Heiligtum
betrieben wurde. Wenigstens möchte man dies daraus schliefsen, dafs sowohl
Strabo wie zweihundert Jahre nach ihm Cassius Dio den Versuch mit lebenden
Vögeln anstellen konnten und dafs noch Damascius, der das Plutonium im sechsten
Jahrhundert besuchte, die tödliche Wirkung für Vögel erwähnt. Bei besonderen
Gelegenheiten scheinen, wie aus Strabo hervorgeht, auch Stiere zu dem Experiment
verwendet worden zu sein. Vielleicht dienten dieselben jedoch als Opferthiere.
Selbstverständlich beruhte die scheinbare Gefahrlosigkeit für die Priester nur
auf einem Kunstgriff, vermutlich dem langen Verhalten des Atmens, durch welches
Mittel, wie wir aus dem sehr interessanten Bericht des Damascius bei Photius, Eibl.
344f. ersehen, der Arzt Asklcpiodotus ohne jede Gefahr den Versuch unternommen
hatte. Die älteste Schilderung des Plutonium haben wir von Strabo XIII, 629. 630
(vgl. XII, 579), der es unter Augustus besuchte. Dann beschreibt es Apuleius, De
mund. \y, ebenfalls als Augenzeuge, wie seine Worte vidi et ipse beweisen. Etwa
ein Menschenalter nach ihm sah und versuchte Dio Cassius das Wunder und erzählt
darüber 68, 27. Damals scheint eine Art Gallerie für die Beschauer vorhanden
gewesen zu sein (Osaxpov u~£p aöioü ipxoSojxtjxo). Endlich ist noch zu nennen der
Abschnitt aus der Biographie des Isidoras von Damascius, den Photius a. a. 0. uns
erhalten hat. Daraus ist hervorzuheben die ausführliche Schilderung des bereits
erwähnten Besuchs des Asklepiodotus, der als junger Mann etwa Ende des fünften
Jahrhunderts sich in den Schlund hineinwagte und Dank seiner oben beschriebenen
vernünftigen Vorsichtsmafsregeln weit ins Innere vordringen konnte. Den Versuch
wiederholten dann in späterer Zeit Damascius und der Philosoph Dorus gemeinsam,
Phot. a. a. O. Der letzte Besucher, von dem wir wissen, ist Johannes Eydus im
sechsten Jahrhundert, wie dessen Worte De ostent. 53 beweisen. Kürzere Erwäh-
nungen der Naturmerkwürdigkeit28 finden sich aufser in der bereits besprochenen
28) Auf das Plutonium beziehen sich auch die Mün-
zen von Hierapolis mit der Darstellung des
Raubes der Persephone durch Pluto Mionnet,
Descr. 586 = Sufpl, 368 u. Supßl. 394.
Altertümer von Hierapolis. II.
Von den Sehenswürdigkeiten, um deren willen die Stadt von Fremden be-
sucht wurde, kommt in erster Linie das Plutonium oder Xapwvsiov in Betracht, das
weithin berühmt war und das uns eine ganze Reihe von Schriftstellern, zum Teil
auf Grund eigener Anschauung, beschrieben haben.
Darnach war es ein Erdspalt, aus dem giftige, jedem lebenden Wesen sofort
tödliche Dämpfe emporstiegen, und unterhalb des Apollotempels gelegen; vor dem
Erdspalt befand sich ein eingezäunter freier Platz. Die Eunuchen, die Priester
der Göttermuttcr, hatten die Aufsicht über das Heiligtum zu führen, sie allein
konnten sich ohne Gefahr in den von den giftigen Gasen erfüllten Raum hinein-
wagen und führten dies Experiment, natürlich gewifs nicht ohne Entgelt, vor den
Besuchern aus, nachdem letztere an lebenden Vögeln zuvor die Gefährlichkeit der
ausströmenden Dämpfe erprobt hatten. Es mufs die Zahl solcher Besucher jeder-
zeit eine sehr beträchtliche gewesen sein, so dafs offenbar ein regelmäfsiger Handel
mit solchen zum Experiment dienenden Vögeln in Verbindung mit dem Heiligtum
betrieben wurde. Wenigstens möchte man dies daraus schliefsen, dafs sowohl
Strabo wie zweihundert Jahre nach ihm Cassius Dio den Versuch mit lebenden
Vögeln anstellen konnten und dafs noch Damascius, der das Plutonium im sechsten
Jahrhundert besuchte, die tödliche Wirkung für Vögel erwähnt. Bei besonderen
Gelegenheiten scheinen, wie aus Strabo hervorgeht, auch Stiere zu dem Experiment
verwendet worden zu sein. Vielleicht dienten dieselben jedoch als Opferthiere.
Selbstverständlich beruhte die scheinbare Gefahrlosigkeit für die Priester nur
auf einem Kunstgriff, vermutlich dem langen Verhalten des Atmens, durch welches
Mittel, wie wir aus dem sehr interessanten Bericht des Damascius bei Photius, Eibl.
344f. ersehen, der Arzt Asklcpiodotus ohne jede Gefahr den Versuch unternommen
hatte. Die älteste Schilderung des Plutonium haben wir von Strabo XIII, 629. 630
(vgl. XII, 579), der es unter Augustus besuchte. Dann beschreibt es Apuleius, De
mund. \y, ebenfalls als Augenzeuge, wie seine Worte vidi et ipse beweisen. Etwa
ein Menschenalter nach ihm sah und versuchte Dio Cassius das Wunder und erzählt
darüber 68, 27. Damals scheint eine Art Gallerie für die Beschauer vorhanden
gewesen zu sein (Osaxpov u~£p aöioü ipxoSojxtjxo). Endlich ist noch zu nennen der
Abschnitt aus der Biographie des Isidoras von Damascius, den Photius a. a. 0. uns
erhalten hat. Daraus ist hervorzuheben die ausführliche Schilderung des bereits
erwähnten Besuchs des Asklepiodotus, der als junger Mann etwa Ende des fünften
Jahrhunderts sich in den Schlund hineinwagte und Dank seiner oben beschriebenen
vernünftigen Vorsichtsmafsregeln weit ins Innere vordringen konnte. Den Versuch
wiederholten dann in späterer Zeit Damascius und der Philosoph Dorus gemeinsam,
Phot. a. a. O. Der letzte Besucher, von dem wir wissen, ist Johannes Eydus im
sechsten Jahrhundert, wie dessen Worte De ostent. 53 beweisen. Kürzere Erwäh-
nungen der Naturmerkwürdigkeit28 finden sich aufser in der bereits besprochenen
28) Auf das Plutonium beziehen sich auch die Mün-
zen von Hierapolis mit der Darstellung des
Raubes der Persephone durch Pluto Mionnet,
Descr. 586 = Sufpl, 368 u. Supßl. 394.