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184 Die Illu strikte Welt.

und beinahe die Geisteskräfte zerrütteten, daher das Leben
ihm werthlos erschien. Das war der Beweggrund, der
den Nothhut vermochte, den armen Barbier um Tödtung
anzugehen. Da dieser aber keine Lust dazu hatte und bet
aller seiner Armuth eine ganz andre Ansicht über den
Werth des Lebens zu erkennen gab, so schob auch der Roth-
hut die Ausführung eines Selbstmordplans wieder auf.
Inzwischen erfuhr er, daß Neider und Ohrenbläser ihm
ganz falsche Gerächte hinterbracht hatten und daß der Arg-
wohn, welcher ihm das Leben verleidete, allen Grundes
ermangelte; neue Lust zum Leben wachte in ihm wieder auf
und von Monat zu Monat wurde ihm klarer, daß mensch-
liche Schlechtigkeit durch Lüge und Verläumdung versucht
hatte, ihm, dem Kinde des Erdenglücks, den Frieden des
Herzens zu rauben, um ihm die Freude an seinen Vesitz-
thümcrn zu verkümmern. Als der Nothhut das Gewebe
der Unwahrheit zerrissen hatte, trieb ihn die Dankbarkeit,
dem armen Barbier die Hälfte seines Vermögens abzutre-
ten und die Nachrichten darüber seinem ehrlichen Lebenser-
halter in dem rothen Hute zuzusenden.
Der Barbier war nun überglücklich. Er führte von
nun an den Namen „Chapeau rouge", deutsch: „Roth-
hut", kaufte in der Straße, in welcher er wohnte, mehrere
Häuser und richtete in denselben Wohnungen für arme
Leute ein, um diesen unentgeltliches Obdach zu sichern. —
Dem Nothhut zu Ehren wurde in späterer Zeit die
ganze Straße, wo der Barbier gewohnt hatte, Chapeau
rouge genannt. Sie trägt diesen Namen heute noch.

Mütter ans -cm Ducht -er Weisheit.
Daß doch die Liebe ihre Höhe nie ermäße an des
Hasses Abgrundstiefc! Daß doch der Mensch des Guten
Sonnenschein an des Bösen Schatten nie zu erkennen
brauchte! Daß wir doch nie empfänden, wenn wir gut sind,
weil wir einst schlecht, oft schlecht gewesen!
— Wer immer sich gewährt, was er sich gewähren kann,
bringt sich nimmer in Gefahr, die Grenzen seiner Mittel
zu verrathen.
— Weder Talent, noch Kräfte, noch Ausgaben dürfen
aufs Aeußerste gesteigert werden.
— Es gibt Momente, wo es Gesetz wird, das Gesetz
zu verlassen.
— Trage Sorge, daß in deinem Hause immer etwas
fehle, dessen Entbehren dir nicht allzuschwer werde, und
das du ersehnst.
Sokrates' Kerker in Athen.
Auf einem Hügel des lycobetischen Berges zwischen
dem Areopag und dem Marshügel unfern der Akropolis
von Athen findet sich eine ziemlich große Grotte, die in
vier ungleiche Thcile abgetheilt ist, welche man Zimmer
nennen könnte. Die meisten Reisenden behaupten, daß die
Hälfte dieser Grotte, bestehend anS zwei Zimmern, das
Gefängniß des Areopags und namentlich dasjenige ge-
wesen, in welchem Sokrates gefangen gehalten wurde.
Diese Grotte ist auch noch jetzt bei dem gemeinen Volke


Sokrates' Kcrkcr in Athen.

unter der Benennung „der Kerker des Sokrates" bekannt.
An der Decke des zweiten Zimmers sieht man eine Oeff-
nnng, durch die man den Gefangenen, welche nur zum
Tode zur Thüre hinausgingen, die Speise herabließ. Da-
rum nannte man diese Thüre das Thor des Hades. Die

andere Hälfte dieser Grotte diente wahrscheinlich als Bade-
häuschen, denn man sieht noch jetzt darin die Ueberbleibsel
einer Cisterne und dreier Wasserleitungen; in der ersten
Abtheilung war eine große Nische, in der ehemals eine
Statue des Merkur stand.

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