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266

Die Illustrirte Welt.

Hanns Auge düster, wahrend er die Gegend überblickt,
deßhalb ruht ein Schatten auf seiner Stirne, während er
den Kopf umwendet und ins Thal hernieder schaut. Dort
liegt ein kleines Bauernhaus, frisch geweißt und geputzt,
mit blanken Fensterscheiben und einem kleinen Garten
rings herum. Dort wohnt seine Mutter und seine Braut,
bald seine Frau, denn der Hochzeitstag ist bereits bestimmt.
Doch sind es nicht die Vorbereitungen zu diesem, welche
Alles im Hause in Bewegung gesetzt, — es ist ein Fest
für das ganze Dorf, den» man will heute die Heimkeh-
renden bewillkommnen, die draußen gewesen, um das
Vaterland zu vertheidigen. Sie waren lange fort, hat-
ten Noth und Gefahr erduldet; einige waren sogar in
Feindes Land gefangen gewesen. Aber weßhalb steht Jo-
hann aus, als ob er der blühenden Fruchtbarkeit rings
um sich her nicht achtete, als ob er den Gesang der Vögel
nicht hörte, als ob er es nicht wäre, der Glücklichste von
Allen, der ein doppelt Fest feiern sollte? — Weßhalb
wirft er sich zu Boden und verbirgt sein Antlitz in seinen
Händen?
Die Erinnerung erwacht in ihm an den Tag, da er
und sein Bruder, zwei frische Jungen, hier an dieser
Stelle bei dem Anblick eines weinenden Mädchens stehen
blieben. Sie war so dürftig gekleidet, daß es die Knaben !
verwunderte; ihre Neugierde wurde zur Theilnahme, und
sie fragten sie um die Ursache ihrer Thränen. Es dauerte
lange, ehe sie sich mtttheilen wollte; als sie sich jedoch zu
ihr setzten, ihr auf die Wange klatschten und ihr freund-
lich zusprachen, erzählte sie endlich, daß sie erst kurz in
diese Gegend gekommen. Drüben auf der andern Seite
der Berge liege das kleine Haus, wo ihre Mutter ge-
wohnt, aber nun sei sie todt, fremde Menschen hätten sie
herübergebracht, die Armenpflege habe sie zu einem Bauern
in den Dienst gethan, aber sie sei so allein, so verlassen.
Sie möchte so gerne zurück nach dem kleinen Haus, das
einsam auf der Haide liege; aber sie dürfe den Dienst nicht
verlassen. Johann nahm sie bei der Hand, sah sie ernst
an und fragte, was denn so Seltenes an dem kleinen
Hause sei.
„Ach, es ist kein Haus hier in der Gegend, wie
jenes!" antwortete das kleine Mädchen lebhaft: „Siehst
du, es lag so allein; nie kam ein Mensch dorthin und
draußen vor der Thüre wuchs das dichte, wohlriechende
Haidekraut. Wenn ich am Tage dort lag, so war es so
warm und still und man hörte nichts Andres, als die
großen Fliegen und Bienen surren und brummen. Im
Herbste schnitlen meine Mutter und ich das Haidekraut ab,
banden es in Besen und verkauften sie im Dorfe. Dicht
vor der Thüre stand ein hölzerner Brunnen, und wenn
man in diesen hinunter sah, so war es so dunkel, so tief
und so kalt, und wenn man den Schöpfkübel heraufzog,
so ächzte und stöhnte er, als ob er nicht gerne heranf
wollte, und ließ man ihn wieder hinab, so dauerte es
unheimlich lange, lange, ehe er in's Wasser tauchte. Im
Winter saß die Mutter drinnen und spann; der Schnee
verschloß die kleinen Fenster; man durfte nicht zur Thüre
hinausgucken, daß der kalte Nordwind nicht herein-
pfiff, und selbst wenn man sich in die Küche schlich, um
etwas Haidetorf in den Kachelofen zu legen, klapperten
Einem die Zähne vor Kälte. In den langen, finstern
Nächten gingen wir frühzeitig zu Bett, um Licht zu spa-
ren : daun lagen wir lange wach, krochen im Bett zusam-
men, lauschten auf jeden Ton und waren froh, daß wir
so arm, und uns deßhalb vor keinem bösen Menschen zu

fürchten brauchten. Glaubst du, es kann irgendwo so schön
sein, als in dem kleinen Haus?"
Johann deutete in das Thal hinab und antwortete:
„Stehst du unser Haus, ist es nicht schön?"
Das kleine Mädchen schüttelte den Kopf: „Ja,
vielleicht für dich", meinte sie: „du bist wohl daran ge-
wöhnt?"
„Ich hätte wohl Lust, dein Haus, zu sehen", sagte
der andere Bruder, Jörgen, der sie mit großen aufmerk-
samen Augen angesehen: „Kannst du den Weg dahin nicht
finden?"
„Gewiß, das kann ich freilich!" erwiederte die
Kleine , „wenn ich mit dem Vieh auf die Berge gehe,
kann ich es fern, fern im Osten sehen."
Es wurde nun bestimmt, daß man nächsten Sonn-
tag dahin gehen wolle, um all' die beschriebene Herrlich-
keit zu sehen, und mit der Zeit wurden die Drei bestän-
dige Spielkameraden. Endlich, als das Mädchen größer
war, nahm die Mutter des Knaben sie zur Hülfe in ihr
Haus, und Ellen ward hübscher und heiterer. Johann
schnitt Holzschuhe für sie, trug Wasser statt ihrer und half
ihr beim Spinnen; Jörgen weißte ihre kleine Kammer,
pflanzte Blumen vor ihrem Fenster, und keiner von den
Brüdern kam aus der Stadt ohne eine kleine Gabe für
sie.
Sie gingen zusammen zum Pfarrer und wurden an
einem Tage confirmirt, obgleich sie älter als Ellen waren;
aber von diesem Tage an war ihre Ruhe gestört, denn des
Küsters Karl ging nun häufig mit ihr, verehrte ihr
Blumen und einen Silberring, und, was noch schlimmer,
da am nächsten Sonntag im Dorfe Tanz war, tanzte er
beinahe die ganze Zett mit ihr. Woher kam es, daß die
finstern Blicke der Brüder einander nicht suchten? Weß-
halb öffneten sich ihre Lippen nicht zu gemeinschaftlicher
Klage? Und als Ellen freudestrahlend endlich aus sie zu-
kam, Jörgens Hand ergriff und bat: „Willst du nicht
einen kleinen Tanz mit mir tanzen, Jörgen?" weßhalb
sprang Johann da mit zornigem Blicke herbei, riß ihre
Hand an sich und sagte: „Nein, nun bin ich des Da-
stehens müde, Ellen, wir wollen heim!" Jörgen aber
schlang seinen Arm um sie, stieß Johann fort und sagte:
„Geh! Ellen und ich wollen tanzen!" Da fuhren die
beiden Brüder gegen einander los, und es wäre ein Kamps
entstanden, wenn Ellen sie nicht mit Thränen getrennt
und ihnen nach Hause gefolgt wäre. Von diesem Tage
an mieden sich Beide mit Wort und Blick, und bereite-
ten einander unendliche Qualen. Der Eine konnte den
Andern keinen Augenblick verlassen, daß er nicht etwa ein
freundlich Wort von Ellen bekäme, das der Andre nicht
thetlte. Selbst der freundliche Wettstreit mit den kleinen
Aufmerksamkeiten hörte auf. Hätte Ellen sich entschieden!
Durfte sie aber in ihrer edlen Gutmüthigkeit den Einen um
des Andern willen kränken? Waren sie nicht Beide gleich
freundlich gegen sie? Und hatte sie Einer gefragt? Keiner
wagte es.
So saßen sie eines Abends alle Drei bei einander;
die alte Mutter lag meist zu Bette. Endlich sprach Jo-
hann von den Neuigkeiten, die er heute vom Pfarrer ge-
hört, wie der Krieg ausgebrochen und daß der König alle
seine Kinder zu den Waffen rufe. Zum ersten Male seil
langer Zeit begegneten sich die Blicke der Brüder offen.
Jörgen streckte die Hand aus und sagte: „Bruder, wollen
wir in den Krieg gehen?"
Ein warmer Handschlag war Johanns Antwort.
 
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