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Die Illu strikte Welt. 291

Ibrahim war fester als je entschlossen, sie zu gewin-
nen. Er ging zu einem Magier, der ihm nach Algier
zurückzugehen befahl und erklärte, wenn er das erste
Anerbieten, welcher Art es auch sei, das ihm nach seiner
Ankunft in jener Stadt gemacht werde, annehme, so würde
er reich werden und seines Herzens Wünsche erreichen.
Ibrahim verkaufte seine Esel und reiste nach Algier.
Er wanderte Straße auf, Straße ab, bis die Nacht herein-
brach, in Erwartung des gehcimnißvollen Anerbietens,
das ihm prophezeit war. Aber cs kam nichts.
Er war indeß von einer reichen Frau bemerkt wor-
den, einer Französin, die als Wiitwe eines Genie-Offiziers
in Algier lebte. Sie sandte ein Mädchen fort, um zu er-
fahren, wer er sei und wo er wohnte, nnd bat ihn, den
nächsten Tag sie zu besuchen. Sein angenehmes Wesen
bezauberte sie noch mehr, als sein hübsches Aeußere, nnd
sie bot ihm die Ehe und einen Theil ihres beträchtlichen
Vermögens an.
Das war nun gerade nicht die Art, wie Ibrahim
sein Glück zu machen gedacht; aber er erinnerte sich der
Prophezeiung des Magiers und nahm das Anerbieten an.
Sie heiratheten und ein Jahr lang lebte Ibrahim
mit snner Frau in großer Pracht und scheinbar glücklich.
Am Schlüsse dieser Zeit gab er vor, er müsse in einer un-
aufschiebbaren Geschäftsangelegenheit nach Tunis, wo seine
Anwesenheit einige Zeit lang nöthig sei. Seine Frau
machte keine Einrede, obgleich es ihr wehe that, ihn zu
missen; sic wünschte ihn zu begleiten, aber er schlug es aus
und reiste allein, indem er eine bedeutende Summe Geldes
mit sich nahm.
Er stellte sich wieder dem französischen Consul vor,
der höchst überrascht war, als er die Veränderung in seinem
Aeußern sah. Sein Kaftan, von gewirktem Seidcnzeug und
mit Gold bordirt, wurde von einer kostbaren Seiden-
schärpe um den Leib zusammengehalten; seine weiten Bein-
kleider von feinem Stoff hingen bis auf die rothen Maro-
kinsttefeln hinab; ein Caschemirshawl von den glänzendsten
Farben schlang sich um seinen Kopf; sein sorgfältig gepfleg-
ter Bart hing bis auf die Brust; ein mit Edelsteinen
besetzter Dolch stak in seinem Gürtel, und ein weiter Bur-
nus, den er leicht umgeworfen „ erhöhte den Schwung sei-
ner Gestalt, während er zugleich dazu diente, seine reiche
Kleidung zu bedecken, welche die Erlaubniß weit überschritt,
bie das Gesetz hinsichtlich der dunklen Kleidertracht der
Inden vorgeschrieben.
Er verlor keine Zeit und begab sich augenblicklich zu
Rebecca's Verwandten. Sie war noch unverheirathet; er
wiederholte sein Heirathsanerbieten und diesmal mit
größerem Glück. Er besaß ganz das Aeußere eines reichen
Mannes, und die Reichthümer, die er scheinbar zufällig
znr Schau legte, machten ihren gewünschten Effekt. Er
hatte, so lange er in Tunis gelebt, einen guten Namen
besessen, und sie hielten es für ausgemacht, daß er nichts
gethan, um ihn zu verscherzen. Sie fragten nicht, wie
er sich seine Reichthümer erworben, sondern gaben ihm
Rebecca zur Gattin.
Nach Verfluß von sechs Monaten erhielt der franzö-
üsche Consul Anfragen aus Algier, wie es mit Ibrahim
flehe: sciue Frau, hieß es in den Briefen, sei über seine
lange Abwesenheit unruhig.
Der Consul sandte nach Ibrahim und erzählte ihm,
was er gehört. Ibrahim schien anfangs verlegen und
rann beleidigt. Er leugnete in den stärksten Ausdrücken,
raß er je eine andere Frau gehabt, als Rebecca; gestand

jedoch, daß die genannte Frau ihm ihre Gunst geschenkt.
Er leugnete auch, daß er ihr je ein gesetzmäßiges Recht auf
ihn gegeben. Der französische Consul würde verlegen.
Ibrahims Papiere waren in vollkommener Ordnung; er
hatte stets in Tunis ein exemplarisches Leben geführt; er
leugnete die Ehe ab, und cs war kein Beweis gegen ihn
vorhanden.
Hätte Ibrahim die geringste Geistesgegenwart be-
hauptet , so wäre ihm nicht das mindeste Unangenehme zu-
gestoßen. In diesem Lande der Vielweiberei würden seine
beiden Frauen kein Aufsehen erregt haben. Seine häus-
liche Stellung war etwas verwickelt, aber keineswegs ver-
zweifelt. Dennoch schien er, als er des Consuls Haus
verließ, von einem eigenthümlichen panischen Schrecken
ergriffen, der nicht nut Hülse der Regeln der Logik ver-
scheucht werden konnte.
Sein einziger Gedanke war, daß sein Schicksal ihn
zwinge — Rebecca umzubringen!
Der arme Mensch, von dieser fixen Idee erfaßt, machte
Vorbereitungen zur Ausführung derselben. Aber trotz
des seltsamen Fanatismus und Aberglaubens, die einen
Hauptzug in seinem Charakter bildeten und die dem
feurigen Wesen jener Länder eigen ist, beschloß er, ihr eine
Aussicht zu lassen, das Leben zu retten.
Er traf Veranstaltungen mit dem Capitän eines
griechischen Schiffes, den er durch eine bedeutende Summe
bestach, aus seine Pläne einzugehen. Er sprengte aus, er
wolle nach Algier reisen, um dem lächerlichen Gerücht, das
sich verbreitet habe, ein Ende zu machen, und die Ansprüche
niederznschlagen, die von seiner angeblichen Frau an ihn
gemacht würden.
Er schiffte sich mit Rebecca auf dem griechischen Schiffe,
das nach Algier bestimmt war, ohne Gefolge ein. Rebecca
wurde in die Cajüte geführt, wo ihre Neugierde sich durch
eine schwarze Kiste von sonderbarem Aussehen, die in
einer Ecke stand, sichtlich angezogen fand. Die schwarze
Kiste war groß und viereckig, und weit genug, um eine
aufrecht sitzende Person' darin zu beherbergen. Der
Deckel war zurückgeschlagen, und sie sah, daß die Kiste mit
Baumwolle gefüttert war und einen mit Wasser gefüllten
Messtngkrug und Brod enthielt. Während sie diese Sachen
untersuchte, trat Ibrahim und der Capitän ein; keiner von
ihnen sprach ein Wort; als sie jedoch hinter sie gekommen
waren, hielt ihr Ibrahim die Hand vor den Mund, hüllte
ihren Kopf in den Schleier, hob sie mit Hülfe des Kapitäns
in die Kiste und nagelte den Deckel zu. Dann trugen sie die
Kiste mit einander auf das Deck und warfen sie über Bord.
In dem Deckel der Kiste waren große Löcher; die Kiste
aber war sehr stark und so gebaut, daß sie wie ein Boot
schwimmen konnte.
Das griechische Schiff setzte seinen Curs nach Algier
fort. — Hatte nun die Mannschaft wirklich nicht auf
Ibrahims und des Capitäns seltsames Beginnen Acht ge-
geben , oder (was wahrscheinlicher) war sie erkauft, genug,
sie machten keinen Versuch, sich dazwischen zu legen.
Am nächsten Morgen, als das französisches Dampf-
schiff, „Panama" nach Tunis steuerte, entdeckte man etwas,
das dem Wrack eines kleinen Fahrzeugs glich und ihnen
entgegen trieb. Man holte es herauf, als es gerade am
Kiel des Schiffes war, und erschrak, als man schwache Schreie
hörte, die aus dem Innern hervordrangen. Rasch krack
inan es auf und fand die unglückliche Rebecca beinahe
todt vor Furcht und Erschöpfung. Nachdem sie sich so weit
j erholt, daß sie sprechen konnte, erzählte sie dem Capitän,
 
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